Kapitel 1

96 2 0
                                    

Unsanft wurde ich von meinem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Ich stöhnte genervt auf und zog mir die Decke über den Kopf. Es war wieder spät geworden, genau wie die letzten drei Tage zuvor. Ich hatte in meiner Wohnung gearbeitet, da ich so schnell wie möglich komplett eingerichtete vier Wände haben wollte. Heute Nacht hatte ich bis drei Uhr das Wohnzimmer gestrichen und war danach ohne mich umgezogen zu haben ins Bett gefallen.
Dann jedoch fiel mir etwas ein. Das war bereits der dritte Wecker der klingelte und ich hatte mir nicht ohne Grund so viele gestellt. Heute war schließlich mein erster Arbeitstag und zuvor stand noch ein Gespräch mit dem meines neuen Arbeitsplatzes an. Ich setzte mich schlagartig auf. "Mist!", fluchte ich und nahm mein Handy in die Hand, um zunächst mal den nervtötenden Ton abzustellen. Dann fiel mein Blick auf die Uhr. 'Kurz nach halb sieben!', schoss es mir durch den Kopf. Ich war spät dran, weshalb ich gleich aus dem Bett hüpfte. Ich hatte noch die Klamotten mit den Farbflecken an und außerdem überall Farbe in den Haaren und im Gesicht. Deshalb musste ich dringend duschen.
Als das erledigt war, stieg ich nur mit einem Handtuch bekleidet über die herumstehenden Kisten und Sachen, bis ich meinen Koffer gefunden hatte. Dort holte ich mir frische Klamotten heraus und zog mich um. Dann ging ich zurück ins Bad, nachdem ich den Föhn gefunden hatte und machte meine Haare trocken. Wenigstens halbwegs. Anschließend schminkte ich mich noch ein wenig, ansonsten hätte ich ausgesehen wie ein Zombie. Als nächstes suchte ich mir meine Sachen zusammen die ich brauchte. Tasche mit Schlüssel und Handy, sowie meine Unterlagen mussten für heute reichen.
Gegen halb acht verließ ich meine Wohnung, ging zu meinem Auto und machte mich auf den Weg. An einer Kreuzung musste ich anhalten und währendessen klingelte mein Handy, den Anrufer drückte ich weg. Überzeugt davon, dass noch immer keiner von rechts kam, wollte ich ohne nochmal extra nachzusehen die Kreuzung überqueren. Schließlich hatte ich nur ein paar Sekunden weg gesehen. Allerdings tauchte vor mir plötzlich ein Motorrad auf. Ich erschrak und trat sofort auf die Bremse, um eine drohende Kollision zu vermeiden. Die Person auf dem Motorrad hatte offenbar den gleichen Plan, da auch dieses Fahrzeug plötzlich abbremste. Während die Reifen meines Autos nur ein bisschen quietschten, fuhr das Motorrad ein Stück weiter, fiel um und schlitterte noch die Straße entlang ehe es anhielt. Der Fahrer blieb erstmal regungslos liegen.
"Um Himmels Willen!", entfuhr es mir und ich stieg sofort aus. Um uns herum war keiner sonst, weshalb ich hier keine Hilfe hatte. Aber das würde vorerst auch alleine gehen, zumindest konnte ich alleine nach der Person sehen und herausfinden wie schwer sie verletzt war. Von weiter weg hatte es nämlich übel ausgesehen. Doch kurz bevor ich bei dem Verunfallten an kam, setzte sich derjenige auf. Oder besser gesagt diejenige, denn nun konnte ich erkennen das es eine Frau war. Ich rannte schnell zu ihr, da sie kurz davor war den Helm ab zu nehmen. Jedoch durfte man das nach so einem Unfall nicht, solange man Verletzungen der Wirbelsäule nicht ausgeschlossen hatte. "Lassen sie den Helm auf!", bat ich die Fremde und wuchtete erstmal das Motorrad beiseite. "Was?", fragte mich die Frau verwirrt. "Den Helm nicht abnehmen. Ich rufe gleich einen Krankenwagen und vorher lassen sie ihn einfach auf. Ist ihnen viel passiert?", wollte ich wissen und kniete mich neben sie. "Nein!", antwortete sie schroff. "Und einen Krankenwagen brauch ich auch nicht, mir geht's gut und deshalb nehme ich jetzt den Helm runter!"
Sie ließ sich davon nicht abhalten und ich musterte die Frau kurz. Sie war um die 30 Jahre alt, hatte kurze Haare und braune Augen. Hübsch war sie, das stand außer Frage. Aber sie war auch verletzt, jedenfalls hatte sie ein paar Schürfwunden da ihre Hose durch das Schlittern über den Asphalt an manchen Stellen zerrissen war. Dasselbe ließ sich über ihre Jacke sagen, zumindest am rechten Arm.
"Ich würde sie trotzdem gerne ins Krankenhaus bringen, das wäre wirklich angebracht. Der Sturz sah ziemlich böse aus.", versuchte ich die Frau umzustimmen, da ich Schuldgefühle ihr gegenüber hatte. Jedoch scheiterte ich erneut, denn sie stand auf ohne mir eine Antwort zu geben und ging zu ihrem Motorrad, um es aufzustellen. Ich ging ihr hinterher. "Hören sie mir eigentlich zu?", wollte ich wissen und sie drehte sich zu mir um. "Wissen sie, was noch angebrachter wäre?", fragte sie mich. "Dass sie ihren Führerschein nochmal machen oder es am besten komplett sein lassen und ihn abgeben! Erst Anstalten machen stehen zu bleiben und dann plötzlich weiter fahren, so passieren die grausamsten Unfälle! Wegen Personen, die genau wie sie vollkommen unachtsam sind und keine Schilder kennen!"
Sie war definitiv sauer. Irgendwie nachvollziehbar, denn es hätte weitaus mehr passieren können. Es grenzte an ein Wunder, dass ihr nichts schlimmeres passiert war. "Es tut mir leid.", sagte ich aufrichtig. "Aber ich würde es wieder gut machen, zum Beispiel indem ich sie ins Krankenhaus fahre oder die Reparatur ihres Motorrads bezahle." An der Seite der Maschine befanden sich einige Kratzer im Lack, eine Lackierung war beim Auto schon teuer und vielleicht konnte ich ihr so helfen. Jedoch lehnte sie auch das ab.
"Ich habe gesagt, dass ich nicht ins Krankenhaus gehen werde und die Reparatur zahle ich ganz allein! Keine Panik, zur Polizei werde ich nicht gehen! Aber ich hoffe inständig, dass wir Beide uns nicht mehr begegnen!"
Sie setzte ihren Helm wieder auf. "Ich kann sie nicht einfach fahren lassen!", stellte ich klar. "Ich bin Ärztin und ich weiß, dass bei solch einem Unfall mehr passieren kann als das was man auf Anhieb sieht!" Die Frau sah mich prüfend an. "Sie sind Ärztin und ich bin spät dran!", blaffte sie mich anschließend an. "Ich hänge an meinem Job und ich muss zur Arbeit, also machen sie nicht so ein Drama! Mir geht's gut und wenn sich was ändern sollte, dann werde ich schon zum Arzt gehen. Allerdings zu einem, der seine Patienten nicht selbst herstellt!" Sie setzte sich aufs Motorrad. "Und so was ist Ärztin!", murmelte sie noch, startete dann das Motorrad und fuhr davon.
"Dann ist mir das jetzt auch egal!", murmelte ich sauer und lief zurück zu meinem Auto. Egal war es mir eigentlich nicht, aber einreden wollte ich mir das. Mehr als meine Hilfe anbieten konnte ich auch nicht und genau wie diese Frau hoffte ich, dass sich unsere Wege nie wieder kreuzen würden.

Ich hab dich lieb bis zu den Sternen... und zurück!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt