Kapitel 13

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Kurz darauf waren Biggi und ich ins Bett gegangen und beide eigentlich sofort eingeschlafen. Es war ein anstrengender Tag gewesen, sowohl für sie als auch für mich. Zickenkrieg zehrte an den Nerven, kaum zu glauben, aber wahr. Und außerdem hatte ich in der Nacht davor viel zu wenig geschlafen, was ebenfalls Grund für das schnelle Einschlafen meinerseits war. Sich mit einer eigentlich noch fremden Person ein Bett zu teilen war ja eigentlich nicht üblich, nur nachdem was wir uns gegenseitig erzählt hatten sah ich Biggi nicht mehr wirklich als fremd an. Irgendwie war sie ja jetzt die einzige, die wenigstens über Bruchstücke meine Vergangenheit Bescheid wusste. Gewissermaßen war sie demnach eine Freundin und das obwohl wir uns Stunden vorher noch verabscheut hatten.
Ein paar Stunden hatte ich so auch tatsächlich durchschlafen können, bis ich ich von einem Albtraum geweckt worden war. Leider hatte ich Biggi damit ebenfalls aufgeweckt und sie hatte es mitbekommen. Nachdem ich ihr versichert hatte, dass alles in Ordnung wäre, waren wir beide wieder eingeschlafen. Als der Wecker kaum mehr zwei Stunden danach klingelte, schaltete ich ihn nochmal aus und krabbelte erst beim zweiten Mal aus dem Bett. Wenigstens fühlte ich mich wieder ganz normal und mir war nicht mehr schwummrig. Irgendwie hatte es gut getan, nicht alleine in der Wohnung schlafen zu müssen, vom Albtraum mal ganz abgesehen. Ich hatte wenigstens wenige Stunden durchgeschlafen und das war seit einiger Zeit ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.
"Guten Morgen.", sagte ich zu Biggi, die sich verschlafen aufgesetzt hatte und zog den Rollo hoch. "Morgen.", erwiderte Biggi und gähnte. "Kaffee?", fragte ich und sie nickte. Ich ging dann erstmal in die Küche, um Kaffee zu machen. Wenn man das Zeug, was ich da mit Wasser aufbrühte, überhaupt so nennen durfte. Ich bezweifelte es, denn nichts ging über Kaffee aus einer richtigen Kaffeemaschine, mit der ich aber ja leider noch nicht dienen konnte. Es hätte mich jedoch schlimmer treffen können, das war mir klar und ich war mit dem zufrieden was ich momentan hatte. Ein Dach über dem Kopf und einen Job. Einem geregelten, eigenständigen Leben stand somit nichts mehr im Wege.
Ich gab in beide Tassen noch Milch und Zucker, da ich inzwischen wusste das auch Biggi ihren Kaffee so trank. Sie kam gleich darauf in die Küche und ich hielt ihr gleich ihre Tasse entgegen. "Was für ein Service.", meinte Biggi anerkennend und nahm sie dankend an. "Ich muss schon sagen, dein Bett ist durchaus bequem. Wo hast du das gefunden?", fragte Biggi mich. "In so einem kleinen Möbelladen, da hab ich auch die Küche her. War nicht ganz billig, aber man gönnt sich ja sonst nichts." Wir mussten lachen. "Naja, in der nächsten Zeit musst du dir noch so einiges gönnen, bis die Wohnung hier komplett eingerichtet ist. Wie gesagt, ich helfe dir gerne. Ich steh auf Inneneinrichtung.", meinte Biggi und trank einen Schluck Kaffee. "Warum bist du dann nicht Innenarchitektin geworden oder so?", erkundigte ich mich. "Fliegen ist halt einfach toller und so das einzige, was ich kann. Ich sagte ja nur das ich auf Inneneinrichtung stehe, ob da am Ende was gescheites bei raus kommt keine Ahnung." Wir blieben in der Küche stehen, tranken gemütlich unseren Kaffee und machten uns anschließend soweit fertig, damit wir zur Arbeit fahren konnten. Ausgiebig frühstücken würden wir sowieso auf der Basis.
Wir packten alles zusammen was wir brauchten und gingen hinunter zum Auto. Meine Arbeitskleidung inklusive Schuhe und Ausweis legte ich auf die Rückbank. Eigentlich hätte ich mich auch gleich umziehen können, aber das wollte ich doch lieber erst vor Ort tun. Schließlich saßen wir im Auto und ich fuhr los.
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Thomas, Michael, Peter, Gabi und Ralf saßen bereits auf der Basis am Tisch. "Taucht Helena heute wieder hier auf, was meint ihr?", fragte Peter in die Runde. "Besser wär's.", wandte Ralf ein. "Wenn Biggi es versaut hat, dann können sie und Thomas einpacken. Wortwörtlich.", fügte der Sanitäter hinzu. "Ihr meint echt, dass ich mich da kampflos raus werfen lasse oder was?", wollte Thomas wissen. "Im Leben nicht!", stellte der Pilot klar. "Das kann Ebelsieder nicht machen, uns wegen dem Mädel einfach kündigen, pff!"
Doch Thomas wusste, dass es ging und er versuchte seine Unsicherheit mit seinen Sprüchen zu überspielen. "Seit ich Biggi gestern bei Helena abgeliefert habe, hat sie sich nicht mehr gemeldet, obwohl ich ihr geschrieben habe. Das kann ein gutes Zeichen sein, aber auch ein schlechtes. Entweder sie haben sich ausgesprochen und Biggi hatte einfach keine Zeit aufs Handy zu schauen oder sie hat das Land verlassen, weil es nicht geklappt hat.", meinte Gabi. "Ich denke eher zweiteres.", antwortete Michael. "So wie die sich bekriegt haben, glaub ich nicht das da irgendeine Einigung gefunden werden konnte. Wir hätten Biggi da nicht alleine hin schicken dürfen, wahrscheinlich liegen sie jetzt Beide im Krankenhaus."
Peter und Ralf nickten zustimmend, Gabi schüttelte nur vielsagend den Kopf da sie immer noch hoffte das zwischen Lena und Biggi alles geklärt war und Thomas schwieg einfach. Ihn plagte das schlechte Gewissen. Das was er gesagt hatte, war nur dazu da gewesen um Biggi aus der Reserve zu locken, damit er endlich erfuhr was mit ihr los war. Nie war das für Helenas Ohren bestimmt gewesen, zumal er sie eigentlich doch ganz nett gefunden hatte. Es blieb ihnen jedoch nichts anderes übrig, als abzuwarten.
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Der Verkehr ging am heutigen Morgen eher zäh voran. Zum Glück waren wir ein bisschen früher los gefahren und schafften es so wahrscheinlich noch pünktlich zur Basis. Biggi nutzte die Gelegenheit, um auf ihr Handy zu schauen und lachte.
"Was ist?", fragte ich. "Gabi hat mir gestern noch einen Nachricht geschrieben und gefragt, ob ich noch lebe.", antwortete Biggi. "Was denkt sie denn? Klingt ja gar so, als ob sie denkt ich hätte dich ermordet.", meinte ich belustigt. "Eher, als hätten wir uns gegenseitig gekillt. Das denken wahrscheinlich alle, aber ich kann's ihnen nicht verübeln." Das konnte ich auch nicht, denn immerhin hatten Biggi und ich ihnen genügend Gründe für solche Gedanken gegeben. Sie steckte das Handy weg, ohne zu antworten. "Ich antworte da jetzt nicht drauf, lassen wir sie noch ein bisschen zappeln.", kommentierte Biggi und ich stimmte zu. Wenn alle dachten, wir würden uns immer noch nicht leiden können, war der Überraschungseffekt umso größer. Ich selbst konnte ja immer noch nicht glauben, dass Biggi und ich uns tatsächlich vertragen hatten. Wir verhielten uns außerdem plötzlich, als würden wir uns schon ewig lange kennen. Seitdem gestern der Knoten geplatzt war, redeten wir eigentlich pausenlos und lachten viel miteinander. Es war, als hätten wir diese anfänglichen Schwierigkeiten beide einfach gebraucht, um dann gezwungen zu werden über bestimmte Dinge zu reden. Und es hatte uns beiden nicht geschadet. Im Gegenteil, uns ging es merklich besser.
"Meinst du, die glauben uns das wir heute Nacht in derselben Wohnung geschlafen haben, ohne uns gegenseitig zu erwürgen?", fragte Biggi, als ob sie gerade genau die gleichen Gedanken gehabt hätte. "Auf keinen Fall.", entgegnete ich amüsiert. "Nein, denk ich auch nicht.", pflichtete Biggi mir belustigt bei. "Aber ich fand's schön, war wie so ne Pyjama-Party die man als Kind  immer gemacht hat. Nur halt ohne richtige Pyjamas.", meinte Biggi und meine Stimmung kippte plötzlich schlagartig. Ich hatte so etwas nämlich nie machen dürfen, weder ausrichten durfte ich so etwas geschweige denn zu einer solchen Party hingehen. Bei Leuten übernachten durfte ich auch so nicht und genauso wenig dufte das jemand bei mir. "Ich kenne das höchstens nur aus Filmen.", antwortete ich. "Aber ja, es war lustig." Von den Gesprächen mit unseren Ex-Freunden mal abgesehen, hatten wir wirklich ziemlich viel Spaß gehabt.
"Willst du mir gerade sagen, dass du so was als Kind nie gemacht hast?" Biggi hatte mich also richtig verstanden. "Nein, hab ich nicht." Dabei wusste ich von anderen, dass es eigentlich normal war bei anderen zu übernachten, Filme zu schauen und Blödsinn zu machen. Allgemein Zeit mit Freunden zu verbringen und Spaß zu haben. Nur hätte man dafür Freunde gebraucht und ich hatte nie wirklich welche. Höchstens die Kinder der Kollegen meiner Mutter, die aber genauso von ihren Eltern im Zaum gehalten worden waren wie ich. Kinder, die ich von mir aus kennengelernt hatte, waren meiner Mutter meistens nicht recht gewesen und mir wurde dann oft der Kontakt zu ihnen verboten. Kurz um hatte ich nie eine richtige Kindheit erleben dürfen.
Biggi dachte wohl genau das, weshalb mich die nächste Frage nicht sonderlich verwunderte. "Was hast du denn als Kind dann gemacht?!", wollte sie wissen. "Das Periodensystem auswendig gelernt oder was?!" Ich musste darüber lachen, aber eigentlich war es nicht lustig. So Unrecht hatte Biggi damit nämlich nicht. "So ungefähr, ja.", bestätigte ich. "Du verarschst mich doch!", meinte Biggi entsetzt und ich beschloss es ihr einfach zu beweisen das ich es tatsächlich auswendig konnte. "Wasserstoff, Helium, Lithium, Beryllium, Bor, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Fluor, Neon, Natrium, Magnesium, Aluminium, Silizium, Phosphor.." Biggi schnitt mir das Wort ab. "Ist ja gut, ich hab's kapiert, du bist ein Superhirn! Es reicht!", rief sie mit gespielter Verzweiflung. "Das waren gerade mal 15 Elemente!", entgegnete ich lachend. "Von? Sorry, aber ich hab in Chemie nie wirklich einen Durchblick gehabt.", meinte Biggi. "Aktuell 118.", antwortete ich ohne großartig überlegen zu müssen. "Du.. Haha, als ob du die alle wirklich auswendig kannst! Wahrscheinlich hast du nur die ersten 20 gelernt, um dir mir Leute wie mir einen Scherz erlauben zu können!"
Ich sah das als Herausforderung an und zählte die Elemente von dort an weiter auf, wo ich vorhin stehen geblieben war. "Schwefel, Chlor, Argon, Kalium, Kalzium, Scandium, Titan, Vanadium, Chrom, Mangan, Eisen, Kobalt, Nickel, Kupfer, Zink, Gallium, Germanium, Arsen, Selen, Brom, Krypton, Rubidium.." Nun schien Biggi komplett durchzudrehen. "Ahhh, sei still!", rief sie und hielt sich die Ohren zu. "Das is ja kaum auszuhalten, total gruselig!" Ich lachte wieder. "Ich weiß.", meinte ich.
"Und mit wie viel Jahren hast du das gelernt, drei?", fragte Biggi mich. "Ehrlich gesagt erst, als ich Chemie in der Schule als Fach bekommen hab. Ich wollte dir nur zeigen, dass dein sarkastisch gemeinter Vorschlag meines Könnens der Wirklichkeit entspricht.", erklärte ich ihr. "Heilige Scheiße!", entfuhr es Biggi. "Das war noch gar nichts, ich kann dir auch gerne alle Knochen des Menschen aufzählen.", bot ich ihr an und holte schon Luft. "Ne, lass es! Untersteh dich!", rief Biggi sofort.
Am liebsten hätte ich sie noch ein bisschen weiter geärgert, hatte dann aber doch Erbarmen. "Na schön, ich will mal nicht so sein.", meinte ich belustigt. "Danke!", antwortete Biggi. "Da wird man ja verrückt!", meinte sie. "Was bist du?! Mensch oder Maschine?!", fragte sie mich. "Kein Normalsterblicher merkt sich so was! Ich kann zwar auch das Fliegeralphabet auswendig, aber das sind weitaus weniger Wörter!" Biggi wurde damit gar nicht fertig und ich fragte mich plötzlich auch, was ich eigentlich war. Mensch oder Maschine? Jahrelang hatte ich nach den Regeln anderer gelebt, was mich wirklich zu einer Art Roboter hatte werden lassen. Aber das dachte ich nur bei mir.
"Aber jetzt mal ehrlich..", begann Biggi. "Was hast du als Kind gemacht, während andere im Sandkasten gebuddelt oder sonst was gemacht haben?", wollte sie nach ein paar Minuten wissen. "Ich war die meiste Zeit in der Obhut einer Nanny, die mir Shakespeare vorgelesen hat. Mit drei habe ich meine ersten Stunden Klavierunterricht genommen und mit vier meine ersten Tanzstunden. Ich habe schon andere Sprachen gelernt, da konnte ich noch nicht mal richtig Deutsch. Und wenn es mal nicht anders ging, war ich bei meiner Mutter im Krankenhaus. Da habe ich meine Zeit nicht in der Kita verbracht, sondern saß in der Galerie und habe ihr beim operieren zugesehen.", erzählte ich.
"Galerie?", fragte Biggi. "Ein Raum oberhalb eines Operationssaals.", antwortete ich. "Da sitzen sonst eigentlich nur Studenten oder Kollegen, die die Operation beobachten möchten um was dazu zu lernen. Eigentlich kein Ort für kleine Kinder, aber es hat mich nicht gestört. Andere in meinem Alter haben ihren Müttern höchsten beim Kochen zugesehen, ich hab meine beobachtet wie sie Menschen aufgeschnitten und wieder zusammen geflickt hat. War jedenfalls mal nicht so anstrengend, ich musste ja nur da sitzen und viele haben mir immer Schokolade oder so mitgebracht. Inzwischen weiß ich zwar, dass die meisten es nur gemacht haben um sich bei meiner Mutter einzuschleimen und nicht weil sie einem kleinen Mädchen eine Freude machen wollten, aber was soll's. Meistens hat es sowieso nicht die Wirkung gehabt, die sie sich erhofft hatten."
Da sie sich dafür interessierte, erzählte ich Biggi was meine Mutter damals schon für eine Stellung in der Klinik gehabt hatte und auch das die Assistenten sich nur für Operationen empfehlen wollten und deshalb nett zu mir waren. Jedenfalls die meisten. So verging die restliche Autofahrt wie nichts und ich parkte auf einem der freien Parkplätze direkt vor der Basis.
Biggi wollte bereits aussteigen, entschieden sich dann allerdings nochmal kurz dagegen. "Du..", sprach sie mich zögernd an. "Ja?", fragte ich und blickte zu ihr. Sie wirkte unsicher. "Du steigst jetzt aber wirklich mit aus, oder? Und du kommst nicht nur mit rein, um deine Sachen nochmal abzugeben oder so." Man hörte die Panik in ihrer Stimme deutlich. "Doch.", sagte ich ernst. "Ich hab dich nur bei mir übernachten lassen und dich jetzt nur her gefahren, um genau das zu tun. Das Friedensabkommen war fake!" Ich musste mich wirklich beherrschen, um nicht lauthals los zu lachen. Als ich jedoch Biggis entsetzten Gesichtsausdruck sah, konnte ich nicht anders.
"Oh man, Biggi!", rief ich lachend. "Jetzt steig schon aus und glaub mir nicht alles, was ich sage! Du wirst deinen Job schon nicht verlieren, ich komme mit rein, ziehe mich um und mache meine Ausbildung hier ganz normal weiter." Auch Biggi musste nun lachen. "Find ich super!", entgegnete sie und wir stiegen aus und ich holte meine Sachen aus dem Auto. Immer noch bestens gelaunt betraten wir die Basis.
"Guten Morgen!", riefen wir den Anderen fröhlich zu und gingen schallend lachend weiter zur Umkleide. Leider blieben uns so die Reaktionen der anderen erstmal verwehrt.
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Sie hatten alle mitbekommen, dass ein Auto vor der Basis geparkt hatte. Mit dem was kurz darauf passierte, hatte aber keiner gerechnet. Helena und Biggi waren gemeinsam herein gekommen, fröhlich wie als wäre nie etwas gewesen waren sie kurz am Aufenthaltsraum vorbei gelaufen und nach einem kurzen Guten Morgen-Gruß gleich wieder außer Sichtweite verschwunden. Die Kollegen warfen sich irritierte Blicke zu.
"Habt ihr das auch mitgekriegt oder hab ich mir das nur eingebildet?", wollte Peter wissen. Aber Peter war nicht der Einzige, der es gesehen hatte. Sie frühstückten weiter und waren gespannt, ob das gerade wirklich ein Zeichen dafür gewesen war, dass Lena und Biggi ab jetzt tatsächlich miteinander auskommen würden.

Ich hab dich lieb bis zu den Sternen... und zurück!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt