Prolog - Frankreich - Juli 1976 -

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Genervt klappte ich den völlig überfüllten Lederkoffer zu und ließ mich stöhnend auf mein weißes, fein verziertes Eisenbett fallen. Ein Wunder, dass all meine Sachen überhaupt in den Koffer gepasst hatten. Zu viel hatte sich die letzten fünf Jahre angesammelt. Und doch war es ein Schrecken zu sehen, dass mein ganzes Leben in einen einzigen Koffer passte.

Ich starrte reglos an die alte, bemalte Decke aus dem 18. Jahrhundert als ich mich fragte, wieso in meinem Leben gerade alles auf schiefe Bahn geriet. In letzter Zeit war einfach zu viel passiert.

Erst der schreckliche Überfall auf meine Tante, ihre Beerdigung vor gut einer Woche, dann die Trennung von diesem Idioten Louis und zu guter Letzt natürlich noch die brilliante Idee meines Vaters in ein verlassenes Herrenhaus nach Wales zu ziehen. Wales, England, versteht sich.

Ich war noch nie in Großbritannien gewesen und obwohl ich zur Hälfte britisch war, mein Vater sein halbes Leben in England verbracht hatte, hatte ich Frankreich noch nie verlassen. Mein ganzes Leben spielte sich in Frankreich ab, meine gesamte Familie war hier und jetzt sollte ich auf einmal all das hinter mir lassen?

Die fein gemalten Engelchen an der Decke lachten spöttisch, als die filigrane Barockmalerei zum Leben erwachte. Die zarten Wölkchen flogen von der einen Zimmerecke zur nächsten, die Engel spielten Fangen, während antik gekleidete Zauberer helle Blitze aus ihren Zauberstäben schossen und sich gegenseitig applaudierten. Beauxbâtons war schon ein seltsames Schloss, selbst für eine Zauberschule. Seltsam aber wunderschön. Ich stand auf und blickte aus dem bodenlangen Fenster, das hinaus auf einen blumenbeschmückten Balkon führte. Von hier hatte man einen einmaligen Blick auf die kleinen Seen und die durch Magie angelegten Gärten. Weiter hinten rauschte ein majestätischer Wasserfall von den Spitzen der Pyrenäen hinab in das kleine Tal. Das hier war mein Zuhause. Mehr als es das alte französische Manoir meines Vaters jemals gewesen war. Und nun sollte ich es einfach verlassen. Wer weiß, ob ich es jemals wieder sah. „Dunkle Zeiten", hatte mein Vater gesagt. Was ich bei diesem herrlich sommerlichen Anblick einfach nicht glauben konnte.

Ich seufzte noch einmal tief, wandte mich von dem herrlichen Blick ab, hievte meinen Koffer vom Bett und schloss die Tür zu dem einzigen Zimmer, in dem ich mich nach dem Überfall auf meine Tante noch sicher gefühlt hatte. Sie war getötet worden. Von einem dunklen Zauberer ohne Namen und fünf seiner Anhänger. Tragisch aber zu erwarten gewesen, wie mein Vater meinte. Meine Tante, wie auch der Rest meiner französischen Großfamilie, lebte für einen von meiner Familie gegründeten Orden, der schon Jahrhunderte existierte aber erst seit diesem in der gesamten Zauberwelt an Berühmtheit gewann. „Le Colombe Blanche", die weiße Taube, wie man uns seit 1949 nennt, kämpfte auch schon gegen Gellert Grindelwald, den dunkelsten Zauberer aller Zeiten und seit seiner Gründung „pour la liberté", was seitdem unser Familienmotto ist. Aber der Drang für die Freiheit zu kämpfen brachte auch meine gestorbene Tante nicht zurück, eher im Gegenteil. Für meinen Vater ein Grund all das hinter uns zu lassen.

Viele viele weiß polierte Marmorstufen führten den Weg hinab von meinem Turmzimmer. Das Geländer war goldbemalt, weißes Morgenlicht strömte durch die bodentiefen Fenster und erhellte die pompös umrahmten Gemälde von Zauberern aus dem 18. Jahrhundert, die freundlich knicksten und zum Abschied winkten. Ich lächelte traurig zurück während ich die Augen schloss, meinen Koffer neben mir her schweben und noch ein letztes Mal alles auf mich einwirken ließ und dabei fast melancholisch Stufe für Stufe hinab stieg. Ich spürte das kalte Geländer unter meinen Fingern, die wärmenden Sonnenstrahlen im Gesicht, die rutschigen Stufen auf denen ich schon so viele Male rauf und runter gerannt war. Ich konnte mich noch erinnern, wie aufgeregt ich diese Treppe bei meinem ersten Tag nach oben gegangen war. Wie ich vor lauter Staunen meinen Mund nicht mehr zu bekommen hatte. Zu schnell waren die letzten fünf Jahre verflogen. Wunderschöne Jahre, in denen alles noch in Ordnung gewesen war. Ich fragte mich, ob es das je wieder sein würde. Nichts hätte ich lieber getan als auch noch die letzten beiden Jahre hier verbringen zu können. Doch nun führte mich mein Weg nach England und somit nach Hogwarts, der britischen Zauberschule hoch im Norden Schottlands. Alles würde anders werden. Für mich hätte alles einfach immer weiter so gehen können, wie die letzten Jahre auch. Doch meinem Vater war alles zu riskant geworden. Ich verließ die einladende Eingangshalle nach draußen, wo er am Heilbrunnen stand und zu dem Skulpturpaar hinauf blickte. Nicolas Flamel, Alchemist, Magier und der berühmteste Zauberschüler Beauxbâtons, stand dort erhobenen Hauptes, den Zauberstab in den Himmel gestreckt zusammen mit seiner Frau Perenelle im Arm, die es ihm gleich tat. Mein Vater drehte sich um als er mich kommen hörte.

„Da bist du ja", begrüßte er mich lächelnd. Er hatte seine Hände in den Hosentaschen verstaut, was untypisch war, wenn die leichte Sommerbrise seine mittlerweile grau durchzogenen Haare verwehte. Heute ließ er es einfach in sein Gesicht fallen, was nur ein wenig seine erschöpften Augen verdeckte. Er hatte schon so viel mit gemacht. So viel Schlechtes war ihm schon widerfahren und trotzdem hörte er nicht auf zu lächeln und zu hoffen, dass alles noch gut werden würde. Und nur, weil ich das wusste veranstaltete ich kein so ein Drama, wie ich es gern getan hätte. Obwohl er natürlich wusste, wie schwer mir dieser Schritt fiel.

„Hast du dich von allen verabschiedet?" Ich nickte nur, warf dem heilenden Brunnen noch einen letzten Blick zu.

„Ich weiß, dass du nicht hier weg willst Elara. Aber es ist hier einfach nicht mehr sicher für uns. Und besonders für dich." Traurig und schuldig sah er mich an als ob er etwas dafür könnte. Sie hatten meine Tante gefunden und nachdem was mit meiner Mutter vor sieben Jahren geschehen war...

„Ja ich weiß, Papá. Ich verstehe es doch." Ich lächelte ihm aufmunternd zu, obwohl mir innerlich zum Weinen zumute war. Er strahlte erleichtert zurück, nahm mir mit einem Schwenker seines Zauberstabs den schwebenden Koffer ab und hakte sich bei mir ein.

„Du wirst in Hogwarts bestimmt eine ganz tolle Zeit haben! Meine sieben Jahre dort waren mit Abstand die schönsten! Na gut.. es ist nunmal nicht Frankreich und auch nicht ganz so pompös wie Beauxbâtons, aber du wirst es lieben, versprochen!"

Ich ließ ihn weiter über dieses Hogwarts, meine zukünftige Schule reden, während wir in die fliegende Kutsche einstiegen, die uns nach Wales bringen würde. Ich sah aus dem Fenster, blickte auf mein geliebtes Barockschloss und betrachtete es, wie es immer kleiner wurde. Strahlend hell reflektierten die weißen Marmorwände die Sonnenstrahlen und leuchteten, wie ein Diamant in Mitten der felsigen Vorläufern der Pyrenäen. Kaum verließen wir das französische Festland im Norden, fing es an zu regnen.

When Hidden White Turned To Black - *Harry Potter Fanfiktion*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt