Der Klavierspieler vom Gare du Norde (Scorbus)

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Es gab nichts wie Sommer in Paris. 

Nichts wie Crêpes unter dem Eifelturm zu essen.

 Nichts, wie durch die Nacht zu rennen, wenn in der Ferne noch der Lärm der Straße und das Lachen der Menschen nachhallte und ihn in einen warmen Kokon aus reiner Glücksseligkeit einschloss. 

Er hätte Paris gegen keine Stadt der Welt eintauschen wollen, wenn man es ihm angeboten hätte. Denn Himbeermacarons und Kaffee Latte aus der Bäckerei direkt gegenüber ihrer Wohnung würde nie aufhören, nach Zuhause zu schmecken. Geigenmusik würde nie aufhören, nach Zuhause zu klingen. 

Auch, wenn er seit drei Monaten nicht mehr gespielt hatte und sein Vater ihn persönlich in der Seine ertränken würde, sollte er es jemals herausfinden.

-d-e-r-k-l-a-v-i-e-r-s-p-i-e-l-e-r-v-o-m-g-a-r-e-d-u-n-o-r-d-e-

Es klingelte in seinen Ohren, als er die Straße hinab rannte, die schwarzen Sohlen der maßgeschneiderten und immer polierten Schuhe auf dem rissigen Teer aufknallten. Der Lederriemen seiner Tasche schnitt ihm in die Schulter, darin raschelten die Notenblätter, als er die Treppen zur nächsten U-Bahnstation hinab hastete und gerade noch einem blassrosa Kaugummi auf der zweitletzten Stufe auswich.

17:05. 

Der goldene Zeiger seiner Uhr tickte unbarmherzig weiter, egal mit welcher Hektik er einen Blick darauf warf, und erinnerte ihn mit voller Wucht an den Fakt, dass er zu spät war. 

Wenn er tatsächlich Richtung Champs-Elysée gefahren wäre, dann wäre er sogar bereits über eine Stunde zu spät gewesen. 

Zur Champs-Elysée, zum Geigenunterricht. 

Den er seit drei Monaten schwänzte. Rechts von ihm fuhr eine U-Bahn ein und ein Schub stickiger und längst verbrauchter Luft wehte ihm entgegen, schlug eine neue Seite der zerknitterten und mit Kaffee befleckten Zeitung auf, die auf dem abgenutzten Boden lag, über den jeden Tag tausende von Schuhpaaren kratzten. 

Er warf einen kurzen Blick auf die Titelseite und die Wörter schienen förmlich an ihm vorbei zu rauschen, es war ihm fast unmöglich, ein einziges aus dem bunten Strudel an Katastrophen zu greifen. 

Mit einem Seufzen auf den Lippen drehte er sich von der Zeitung weg, versuchte zu vergessen, wie jeder andere vergas. 

Wenn man Zeitung las, dann mit einer Art perversen Neugier, bezogen auf das Unglück anderer Menschen. Wer las schon gerne die glücklichen Nachrichten, wie oft fand man sie überhaupt in einer Zeitung? 

Menschen lechzten geradezu nach Katastrophen, solange es sie nicht selbst betraf, es nicht ihre Wohnung war, die in Flammen stand, nicht ihr Sohn, der verschwunden war. 

Denn wenn es das tat, dann war plötzlich der Wunsch nach Privatsphäre groß, die Forderung nach Schmerzensgeld. Man möge doch Mitleid mit der Familie haben und sie in Ruhe trauern lassen, man möge seine Neugier mit etwas anderem stillen. 

Er warf der Zeitung einen angeekelten Blick zu und widerstand nur knapp der Versuchung, sie zu packen und in den nächst besten Mülleimer zu stopfen, so tief, bis auch der letzte Zipfel des mit schwarzen Lettern bedruckten, versifften Papiers unter leeren Zigarettenschachteln und Kaffeebechern begraben war.

Das Quietschen der Bremsen riss ihn aus seinen Gedanken, der plötzlich aufkommende Wind, der durch die einfahrende U-Bahn durch die alten Gemäuer fegte, ließ ihn frösteln, trotz der 24 Grad, die es mit Sicherheit hatte. 

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𝟙𝟘 𝕞𝕒𝕘𝕚𝕤𝕔𝕙𝕖 𝕙𝕒𝕣𝕣𝕪 𝕡𝕠𝕥𝕥𝕖𝕣 𝕠𝕟𝕖𝕤𝕙𝕠𝕥𝕤Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt