Chapter 4

106 2 12
                                    

,,Und wie war dein erster Tag hier?", frage ich, als er weiter fährt.
,,Sehr gut, ist nett hier. Und die Leute sind eigentlich auch ganz freundlich. Aber diese Mädchen sind schrecklich. Die rücken einem bis zum letzten Millimeter auf die Pelle.-" Er schüttelt sich. ,,Du dagegen bist ganz anders. Lässt mir meinen Freiraum. Viel besser. Ich mag dich echt gerne, Jess!" Er zuckt mit den Schultern und fährt mittlerweile nur noch mit einer Hand am Lenkrad. Er lächelt die Straße an, aber natürlich bin ich mit diesem umwerfenden Lächeln gemeint.
,,Und danke nochmal fürs herumführen!" Er sieht mich eindringlich an.
,,Kein Ding."
,,Vertraust du mir?" Er fährt langsam, wir sind mittlerweile auf einer leeren Landstraße. Ich weiß nicht recht, was ich jetzt antworten soll. Ich meine, keine Ahnung. Wir kennen uns gerade mal knapp einen Tag und so schnell kann man eigentlich ja kein Vertrauen aufbauen, aber das kann ich ihm nicht sagen. Ich muss auch mal was riskieren können, obgleich das hier nicht gerade spannend und riskant zu sein scheint.
,,Ähm, ich glaube schon, wieso?"
,,Na ja, du erzählst mir viel von deinem Leben, ich würde das einer Person, der ich nicht vertraue, nicht erzählen."
Heißt das jetzt das er mir vertraut? Ich meine, wenn er das so sieht, würde das ziemlich zutreffen, er erzählt ja auch was von sich.
,,Ich habe aus reiner Neugier und Interesse an dir gefragt. Wenn dir das nicht gefällt oder ich eine Frage stelle, die dir unangenehm ist, dann musst du das sagen, ja?"
,,Ja."
,,Versprochen?" Er sieht mich erneut an und fährt nach wie vor langsam und mich ausgehend zu mustern.
,,Versprochen, kleiner Finger...", sage ich ganz beiläufig. Ich spüre förmlich, wie seine fragenden Augen in meine versuchen zu schauen.
,,Na, der 'Kleine - Finger - Schwur', kennst du den denn nicht?" Ich lache laut auf und bemerke, dass ich das ja nur mit meiner besten Freundin mache und er ja gar nicht wissen kann, was das bedeutet.
,,Okay, kleiner Finger. Wie süß", sagt Tyler und sieht von mir wieder auf die Straße. Ich nicke nur und komme mir ein bisschen komisch vor.
,,Hast du Hunger?", fragt er.
,,Ein bisschen, warum?"
,,Ähm, wirst du gleich sehen."
,,Jaja, ich weiß schon, ich lass mich überraschen, okay!" Ich lache und als er nickt, muss er auch lachen.
,,Wir sind da!" Tyler parkt neben einem niedlichen, kleinen Häuschen, ein bisschen abgelegen, am Anfang eines Waldes.
,,Wo genau sind wir hier?" Ich sehe mich um und es gefällt mir hier. Eigentlich bin ich der totale Stadtmensch, Land ist wirklich nicht meins, aber hier ist es wirklich schön.
,,Das ist ein Famlienhaus unserer Familie. Hier haben wir immer Urlaub gemacht."
,,In Jacksonville Urlaub?" Ich muss unwillkürlich lachen, warum sollte man schon in Jacksonville Urlaub machen? Reichlich ungewöhnlich, es gibt in Florida doch so viele andere, schönere Städte, also warum hier hin? Tyler schließt die Tür auf und sagt: ,,Komm rein und fühl dich wie Zuhause! Möchtest du was trinken?", fragt er, lässt die Tür zugehen und geht in die vermeintliche Küche. Dieses Haus ist zwar klein, aber bestimmt fein.
,,Hast du Cola oder sowas?"
,,Aber na klar, eine Cola für das süße Mädchen von nebenan." Er kommt mit einer Cola auf mich zu und lächelt breit, als sich unsere Finger sich berühren.
,,Das nehme ich mal als Kompliment." Ich zittere schon wieder, es schmeichelt mich ja, aber ich bin immer noch total nervös, vor allen jetzt, wo wir alleine in einem abgelegen Haus sind.
,,Solltest du auch." Er zwinkert mir zu uns setzt sich eng neben mir auf das Samtsofa.
,,Wann kommst du hierher?" Fragend sehe ich ihn an und nehme einen langen Zug aus meiner Cola.
,,Ich komme her, wenn ich das Bedürfnis habe, allein zu sein. Wenn ich mich mit meinen Eltern streite oder so, zum Beispiel. Hier sagt mir keiner, was ich zu tun oder zu lassen habe, weißt du? Hier kann ich für den Moment abschalten. Meine Eltern wissen, wenn ich nicht bis spätestens 11 zuhause bin, bin ich hier. Da ich ein Auto habe und 18 bin, also erwachsen bin, lassen sie mich hier alleine meine Sachen machen." Er hört sich ein wenig traurig an, aber er lächelt wie immer makellos.
,,Glaube ich dir sofort und ich kann doch voll und ganz verstehen. Eltern können so damit nerven. Dann muss man einfach mal raus und weg von allem", sage ich verständnisvoll und schüttele den Kopf.
,,Du hast Recht. Aber jetzt sind wir ja hier und keiner stört uns!"
,,Genießen wir es...", flüstere ich und lass mich tiefer in das Sofa sinken. Als ich wieder aufsehe, mustert er mich. Er sieht mir nochmal tief in die Augen und sagt dann: ,,Du bist... so schön!", er sieht mich immernoch eindrucksvoll an. Er ist schön, nicht ich, denke ich mir.
,,Oh... ähm... Danke! So direkt hat mir das noch nie jemand gesagt..."
,,Dann bin ich wohl der einzige mit Geschmack, hm?" Tyler lacht.
,,Na, wenn du meinst." Ich lache ebenfalls.
,,Das meine ich ernst, Jess." Ich öffne meine Augen nochmal und sage: ,,Glaub ich dir doch, Tyler!" Er nickt.
,,Die Sonne scheint wieder. Wollen wir raus?" Ich hatte nicht bemerkt, dass sie aufgehört hat, zu scheinen... ,,Klar!"
Wir gehen also raus, es war mittlerweile doch tatsächlich noch wärmer geworden. Ich ziehe noch schnell meine Jacke aus und schmeiße sie auf das Sofa, bevor er die Tür abschließt.
,,Wo gehen wir hin? Oder muss ich mich wieder überraschen lassen?"
,,Müssen?-" Er lächelt mich an und lacht kurz auf.
,,Nein, soll... Du weißt schon!" Ich zucke mit den Schultern. Er nickt und sagt: ,,Nicht weit von hier ist eine wunderbare Wiese, wollen wir dorthin?"
,,Ja, gerne!" Ich nicke auch und folge ihm in den Wald hinein.
,,Oh Mist!", schreit Tyler und dreht sich zu mir um.
,,Was ist denn?", rufe ich als er an mir vorbei läuft. Daraufhin bleibt er kurz stehen und sagt: ,,Ich habe etwas vergessen. Ich hole es eben, warte hier!" Ich kann nicht mal richtig mit dem Kopf nicken, so schnell ist er schon wieder aus dem Wald verschwunden.
Jetzt wo wir schon so offen reden und miteinander umgehen, bin ich nicht mehr ansatzweise so nervös, wie am Anfang. Eher ruhig, gelassen und habe total gute Laune. Je mehr Zeit ich mit ihm verbringe, desto mehr verliebe ich mich in ihn. Obwohl ich ihn gar nicht richtig kenne. Aber na ja, das tun wir ja jetzt, wir lernen uns kennen. Aber mal ehrlich, ich steige bei jemandem völlig fremdes ins Auto, lasse mich zur Schule fahren, danach in einen Wald bringen und diesen wunderschönen Fremden kenne ich gerade mal einen Tag. Aber dieser wunderschöne Fremde ist mein Nachbar, mein Sitznachbar, mein Kursnachbar und mein Schwarm, verrückt oder?
Tyler kommt zurück, mit einem Picknickkorb in der Hand und Decken unter dem Arm.
,,So, fertig! Da vorne ist es schon, komm, mir nach!" Er macht eine Handbewegung, die mir zeigen soll, dass ich ihm folgen soll. Also tue ich es. Wir sitzen auf einem sonnenbedecktem Stück Wiese. Auf zwei Kuscheldecken ausgebreitet und mit dem Picknickkorb.
,,Hast du jetzt mehr Hunger?", lächelt Tyler.
,,Mhm!" Ich nicke.
,,Möchtest du ein Sandwich mit Käse/Salami oder Salami/Käse?"
,,Schwere Entscheidung. Ich glaube, das zweite esse ich lieber." Wir lachen beide, als würden wir uns schon ewig kennen, als wären wir alte Freunde, die sich nach vielen Jahren endlich mal wieder sehen und sich viel zu erzählen haben. Nur trifft das so ziemlich am allerwenigsten auf uns zu. Ganz im Gegenteil.
,,Sorry, aber ich habe nichts anderes hier. Ist aber alles frisch, war erst gestern einkaufen und dann hier. Mir gehen bei diesem Wetter echt die Ideen aus... Hier hast du eins!" Er gibt mir ein liebevoll in Alufolie gewickeltes Sandwich.
,,Danke!", lächele ich. Während wir genüsslich essen, fragt er: ,,Sag mal Jess, hast du ähm, also... hast du eigentlich... einen Freund, wenn ich fragen darf?" Ich laufe mal wieder merklich rot an und schaue weg. Ich überlege was ich sagen soll, obwohl ich ja nichts zu verbergen habe, wenn es um dieses Thema geht. Es gibt eben nur die bittere Wahrheit und die lautet: ,,Nein, habe ich nicht, und du? Äh, also... hast du eine Freundin?", frage ich leise und unsicher. Ich schaue ihn an und wieder weg. ,,Nein. Wir sind ja aus New Mexico hergezogen, da hatte ich eine Freundin, aber sie hat mich anscheinend nicht so sehr geliebt, wie ich sie." Er zögert weiter zu sprechen, schaut bedrückt und windet sich innerlich, ein deutliches Zeichen dafür, dass er sie wirklich geliebt haben muss. Welches Mädchen würde einen Typen wie Tyler schon freiwillig zurück lassen? Nun spricht er doch weiter: ,,Na ja ich habe gesagt, dass wir umziehen und wir ja aber trotzdem in Kontakt bleiben können... Aber dann hat sie sofort Schluss gemacht und jeglichen Kontakt abgebrochen. Sie sagte, sie würde nichts von Fernbeziehungen halten, weil die daran kaputt gehen, was ja auch irgendwo stimmt. Wir hätten es ja wenigstens probieren können, aber sie sagte nur, dass es jetzt aus sei und knallte mir die Tür vor der Nase zu. Ja, das war's dann wohl..." Tyler schaut weg und weit in die Ferne, seine Gedanken sind eindeutig noch bei ihr, seiner Ex. Er tut mir so leid. Und das sage ich ihm und füge danach hinzu: ,,Bist du denn inzwischen, na ja, drüber weg?" Was für eine blöde Frage. Wie soll er drüber weg sein, wenn er sie so geliebt hat? ,,Ja, schon längst. Ihr lag ja nichts an mir, dann lohnt es sich auch nicht zu trauern, - nur Zeitverschwendung.", sagt er sicher. ,,Oh okay, verstehe..." Das wundert mich jetzt schon ein bisschen, er sagt doch er hat sie so geliebt, wie kann man dann so schnell drüber weg sein? ,,Und du? Hattest du schon mal einen Freund?", fragt er, um von sich abzulenken, denn er hat glaube ich gemerkt, dass ich über ihm grübele. ,,Ja, als ich zwölf war, zwei Jahre lang. Wir liebten uns wirklich, aber waren beide noch nicht bereit für eine Beziehung. Und so waren wir eigentlich zwei Jahre für nichts zusammen, wir haben zwar sehr viel zusammen unternommen, aber da ist nie was bei rüber gekommen, es kam nicht mal zu Kuss...", lache ich nervös, weil das damals einfach so lächerlich war und ich zu naiv, um zu denken, das wäre echt. Ich meine, ich war zwölf!
,,Nicht einmal in zwei Jahren?", fragte Tyler unglaubwürdig. Doch es war wahr.
,,Nicht einmal." Ich schüttele den Kopf und realisiere, wie dumm ich damals war.
,,Das war doch dann gar keine richtige Beziehung, oder?"
,,Nee, alles andere als das!" Ich wende mich ab, um diese Gefühle von damals bloß nicht revue passieren zu lassen.
,,Das tut mir auch leid."
,,Muss es nicht, ist vorbei und er ist einfach weggezogen, ohne mir was zu sagen. Ohne ein Sterbenswörtchen - einfach abgehauen, toll oder?" Ich schüttele abermals den Kopf.
,,Er ist einfach weg, ohne seiner Freundin davon was zu erzählen? Das ist ja schlimmer als bei mir..."
,,Ja", sage ich trocken und denke an den Moment zurück, als ich ihn Tage lang nicht mehr in der Schule sah und ich wusste, er ist weg.
,,Oh, also das ist echt... unbeschreiblich. Dummes Gefühl für dich, würde ich sagen?!"
,,Egal, lassen wir das. Themawechsel, bitte." Ich höre auf, über ihn, über uns damals zu denken und verbanne alle Gedanken an ihn aus meinem Kopf. Sowas will ich wirklich nicht nochmal erleben.
,,Alles klar. Ähm, hat das Sandwich geschmeckt?", sagt Tyler vorsichtig.
,,Super, echt!"
,,Toll, freut mich!" Ich nicke.
,,Ich habe heute einen Raum in der Schule nicht gefunden und bin etwas zu spät zum Unterricht gekommen und damit das nicht nochmal passiert, wollte ich fragen... ob ich deine Nummer bekomme, falls ich nochmal den Raum nicht finde oder dich was fragen will, wenn du gerade nicht da bist. Also?", fragt er schüchtern. Das ist echt süß von ihm.
,,Ja, klar... Hier!" Ich halte ihm mein Handy mit meiner Nummer auf dem Display hin und er notiert sie in seines.
,,Okay, danke!"
,,Gerne doch!"
,,Jetzt kann ich dich inmer erreichen, danke!"
,,Bitte. Schreib mir mal, dann habe ich deine Nummer auch!" Ein paar Sekunden später, bekomme ich eine SMS in der steht: "Du süße!" Darauf antworte ich ganz einfach: "Du süßer!" Tyler lacht. ,,Wir sind einfach beide süß!" Ich bin selber überrascht, wie offen und frei ich mich immer noch bei ihm fühle, wenn er in meiner unmittelbaren Nähe ist. Bei ihm kann ich sein, wie ich bin. Manche kriegen mein richtiges Ich erst nach ein paar Jahren zu spüren. ihn scheint es nicht zu stören, dass ich ein bisschdn verrückt bin. Obwohl diese Seite von mir noch nicht so am Zug war. Ich bin eigentlich ein ziemlich schüchternes Mädchen, vor allem in Gegenwart von Jungs, aber bei Tyler ist das was anderes. Er hat irgendwas an sich, was mich entspannen lässt. So kann ich einfach Ich - selbst sein. Das ist ein wirklich schönes Gefühl, das nach so kurzer Bekanntschaft schon zu können. Amanda muss irgendwie schon Recht haben. Er muss irgendwas an mir finden, weil er meiner Meinung nach, jede haben könnte. Aber nein, er hat alle aus der Schule nicht mal richtig beachtet. Nur mich. Und das nicht nur einmal. Ich erinnere an die große Pause, wo wir alleine an dem Tisch ganz hinten, weit entfernt von den Mädchen saßen. Ich finde, das heißt schon was. Ich bin zwar nicht komplett hässlich, aber es gibt viele schönere Mädchen, auch auf unserer Schule. Amanda zum Beispiel, ich finde sie unbeschreiblich hübsch, wieso steht Tyler nicht auf sie, wie alle anderen? In dem Punkt verstehe ich ihn nicht richtig. Was findet er nur so an mir? Ich bin doch nichts besonderes? Etwa, dass ich so freundlich war und ihm die Schule gezeigt habe? Oder dass ich zu seiner Mutters Kaffeeklatsch komme? Das scheinen für mich keine Gründe zu sein, um mich so zu mögen, wie er es offensichtlich tut. Aber egal ich kann da sowieso nichts gegen machen. Und wenn ich ehrlich bin, will ich das auch nicht. Ich glaube im Ernst, ich könnte gut ein hoffnungsloser Fall werden, wenn man weiß was ich meine. - Wenn ich immer soviel über Tyler nachdenke.
,,Wie spät ist es eigentlich?" Wir sind so in unsere Gespräche vertieft, dass wir die Zeit ganz vergessen haben.
,,Genau 18:45 Uhr, wieso?"
,,Oh, schon so spät?" Wir haben hier schon fast 4 Stunden verbracht, kommt mir gar nicht so lange vor. Sorry, aber ich muss nach Hause, ich habe noch Hausaufgaben zu erledigen, du auch, wenn ich mich nicht täusche?!" Ich lache und nicke zu ihm.
,,Schon? Na ja, wenn man Spaß hat, vergeht die Zeit wie im Flug... Wir packen nur eben zusammen und dann bringe ich dich nach Hause, ja?" Er steht auf und macht sich daran die Sachen von der Decke zu nehmen und die Decke zusammen zu falten. Ich helfe ihm natürlich.
,,Okay, alles klar!" Als wir fertig sind, nehme ich die Decken unter die Arme, Tyler trägt die restlichen Sachen und wir gehen zurück ins Häuschen. Ich trinke noch schnell meine Cola aus und hole dann meine Tasche.
,,So meinetwegen können wir!", verkündige ich und trete von einem Fuß auf den anderen.
,,Meinetwegen auch!"
Also fahren wir los. Während der Fahrt lachen wir noch und reden über die Schule. Ich erzähle, wie die Leute dort so sind und mit wem er sich anfreunden kann. Er findet das ziemlich lustig. Ich sage außerdem, dass ich ihm morgen noch ein paar weitere Freunde vorstellen wollte und er willigt nur ein, weil ich sage, dass er sich auch noch ein paar männliche Freunde suchen sollte. Erst tut er so, als wäre er eingeschnappt und sowas nicht bräuchte. Aber dann meint er, es wäre Spaß und er würde es morgen versuchen, sich mit den Jungs aus unserer Clique anzufreunden. Dennoch hat er eine Bedingung: ich solle dabei sein. Ich frage warum das nötig ist, aber stattdessen sagt er nur: ,,Wir sind da!" Tyler parkt auf seinem Grundstück und ich steige aus, was er mir gleich tut.
,,Danke für's bringen!" Ich schaue ihn an und bleibe stehen.
,,Bitte gerne! War echt ein toller Tag mit dir, hat Spaß gemacht!" Er strahlt übers ganze Gesicht.
,,Ja, das hat es!"
,,Ich freue mich schon auf die Wiederholung am Samstag!" Er strahlt immer noch breit.
,,Ich mich auch!" Ich spüre förmlich, wie ich wieder einmal erröte.
,,Ähm ja, ich muss dann auch mal rüber, ist doch schon recht spät, bis morgen!" Ich winke zum Abschied und gehe in Richtung Haustür, aber ich komme nicht weit.
,,Hey Jess?", kommt es von hinten gerufen. Ich drehe mich zu ihm um. Wie er da so makellos steht, in all seiner Pracht von strengen Muskeln und gutem Körperbau in der feinen Abendsonne.
,,Ja?" Ich zittere ein wenig bei diesem Anblick.
,,Kriege ich einen richtigen Abschied?" Er lächelt und hält die Arme weit offen. Ich weiß zwar schon was jetzt kommt und ahne was er damit meint, aber sage trotzdem: ,,Kommt drauf an, was du darunter verstehst?!"
,,Na ja, eine Umarmung ist drin, oder? Du weißt schon, wie ihr Mädels das so unter euch macht. Oder machst du das mit Jungs nicht?" Nur dass wir das 'unter uns Mädels' schon lange nicht mehr so machen, aber ich weiß ja was er meint. Also mache ich auf dem Absatz kehrt und komme auf ihn zu, während ich sage:
,,Doch klar." Ich umarme ihn und muss dabei auf Zehenspitzen gehen. Er ist so groß. Und riecht unglaublich gut. Ich schmiege mich fest an ihn und will schon fast gar nicht loslassen, es ist ein zu schönes Gefühl, in seinen breiten Armen eingehüllt zu sein. Er war angenehm warm.
,,Tschüss dann!" Ich löse mich widerwillig, aber ich möchte beim ersten mal nicht übertreiben.
,,Ja, bis dann!" - ich gehe zum zweiten mal los, aber werde auch zum zweiten mal wieder unterbrochen.
,,Ach Jess, ich kann dich morgen gar nicht zur Schule fahren. Ich habe erst zur zweiten Stunde. Oh, ähm, soll ich dich sonst trotzdem hinfahren?" Ich schüttele mit dem Kopf.
,,Nein, brauchst du wirklich nicht, ich will keine Umstände machen, ich fahre einfach mit meinem Auto. Wir sehen uns dann spätestens in der Mensa." Ich winke erneut und setze zum Gehen an.
,,Alles klar, dann bis morgen und gute Nacht!"
,,Dir auch!" Gerade als ich im Haus bin und meine Tasche ablege, fällt mir auf, dass ich meine Jacke nicht mehr dabei habe. Ich habe sie in Tylers Häuschen liegen gelassen. Dann werd ichs ihm wohl jetzt schreiben. Denn so gerne ich nochmal zurück zu ihm gehen würde, ich habe erstens keine Zeit und zweitens kann ich nicht immer wieder bei ihm ankommen. "Hey, kannst du mir vielleicht meine Jacke mit in die Schule mitbringen? Ich habe sie bei dir im Häuschen vergessen. Muss nicht gleich morgen sein, aber ich hätte sie gerne wieder. Danke!", schreibe ich ihm in einer SMS. Nur eine Minute später bekomme ich die Antwort: "Hi, klar. Ich hole sie vor der Schule und bringe sie dir dann mit!" Darauf schreibe ich: "Okay, alles klar! Danke nochmal!" "Kein Problem." Zufrieden gehe ich in dir Küche und mache mir ein Müsli. Ich habe gar nicht so einen großen Hunger, schon alleine nicht, wenn ich an die Hausaufgaben denke, die ich noch zu erledigen habe.
Als ich dann fertig bin, gehe ich hoch in mein Zimmer, um die Aufgaben zu machen, die uns unter anderem Mr. Manson aufgegeben hat. Die restlichen Fächer, wie Erdkunde, Deutsch und Englisch fallen mir leicht. Um punkt Acht Uhr sind auch meine Eltern zuhause angekommen.
,,Jess? Willst du was mit essen?", ruft meine Mutter hoch.
,,Nein, danke. Ich habe vorhin etwas gegessen", antworte ich ihr.
Eine Stunde später bin ich endlich mit meinen Hausaufgaben fertig, lasse mich ins Bett fallen und höre Musik, bis ich müde werde. Und da heute ein langer, spannender Tag war, werde ich schon um Zehn müde, sehr müde. Am nächstes Morgen stehe ich erst um Sieben auf. Gehe, wie immer, ins Bad, mache mir danach etwas zu essen und packe meine Tasche. Ich fahre pünktlich um viertel vor Acht los und bin genau zum ersten vom drei Klingeln der Glocke da. Alice wartet auf mich, Am ist nicht da. Vielleicht ist sie mal wieder 'krank' - Sie ist nicht 'krank', sie hat nur keinen Bock auf Mathe, was wir heute haben.
Also gehe ich mit Alice zu Haus 1 und sie geht zu Chemie und ich habe Physik. Wahrscheinlich, oder sehr sicher, ohne Tyler, denn er sagte ja, dass er erst zur zweiten Schule hat. Dann haben wir wohl erst Mathe zusammen, wenn überhaupt. Ms. Fray ist eine wirklich nette Lehrerin, die ich in Physik, sowie in Mathe habe, ich mag sie schon, seit ich sie in der 6. das erste Mal in Vertretung hatte. Irgendwie freue ich mich sogar auf Mathe, wenn Tyler in meinem Kurs ist, sonst nicht. Ich freue mich doch nicht umsonst auf Mathe, bin ich verrückt?
Nach dieser öden Physikstunde und einer weiteren Unterrichtsstunde, treffe ich Am in der Mensa. ,,Hey", begrüße ich meine beste Freundin. ,,Hey, oh sorry, aber ich hatte null Bock zu Physik, tut mir echt leid!"
Ach was. Was habe ich gesagt? Sie ist wieder mal 'krank' gewesen, zwar nicht den ganzen Tag, aber na ja. Immerhin kommt sie rechtzeitig zu Mathe, wundert mich aber gleichzeitig auch, dass sie zu Mathe kommt, sie hasst Mathe?!
,,Beruhig dich, alles ist gut. Die Stunde war zwar echt langweilig, aber was soll man machen...", sage ich und sehe sie dabei an. Dann kommt auch der Rest unserer Clique.
,,Na, mal wieder hier, Jess?", fragt Eric spöttisch.
,,Hey, sei nicht so fies!", zischt Alice und stößt ihren Freund an dem Arm.
,,Ja, wie sonst auch immer. Außerdem kommt Tyler später zur Schule", sage ich, wobei ich mich noch schuldiger anhöre, weil ich mich verteidigen muss... vor Eric?!
,,Achso, apropos, da kommt er auch schon!", ruft Josh von hinten zu uns durch. Ich drehe mich rasch um und sehe, dass er schon näher hier ist, als erwartet. Schlagartig bekomme ich Herzklopfen. Schnell drehe ich mich wieder zurück. Dann ist er auch schon da: ,,Hier ist deine Jacke!"
,,Äh, danke!", stammele ich. Und schon wieder laufe ich rot an. Wie soll es denn auch sonst sein? Ich sehe, wie mich alle gebannt anstarren, als ich meine Jacke annehme. Das was sie denken, wenn sie denn denken, ist völlig falsch. Verzweifelt schaue ich Tyler an.
,,Ähm, ich habe mich noch gar nicht richtig vorgestellt: ich bin Tyler. Könnt ihr euch netterweise vielleicht auch vorstellen?", fragt er vorsichtig und sieht in die Runde.
,,Das Vorstellen hatte Jess ja schon für dich übernommen...", flüstert Eric hörbar. Darauf sagt Tyler nichts.
,,Ich bin Josh."
,,Äh ja, ich bin immer noch Eric...", sagt er wieder unfreundlich. Was hat er nun schon wieder gegen Tyler?
,,Okay und ihr?" Diesmal fragt er die Mädchen an unserem Tisch freundlicherweise.
,,Ich bin Amanda, also Am, aber das weißt du ja bereits!"
,,Äh ja." Tyler nickt Am zu und lächelt meine beste Freundin an. Nach der Reihe stellen sich auch alle anderen, die zu unserer Clique angehören, vor.
,,Okay, darf ich mich zu euch gesellen?", fragt Tyler und setzt ein überzeugendes Tyler - Lächeln auf.
,,Klar darfst du dich zu uns gesellen, ist doch so Eric?" Josh sieht Eric vorwurfsvoll an und zieht beide Augenbrauen hoch.
,,Klar..." Eric ist eindeutig eingeschnappt, vielleicht weil es mal nicht um ihn geht?
Josh ist übrigens einer von der Schülerzeitung; er wird bestimmt demnächst einen Artikel über das 'schöne neue Spielzeug - den Neuen' verfassen.
- Aber das weiß Tyler natürlich noch nicht. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob er das will... Während jeder, außer mir, etwas über sich am Tisch erzählt - damit Tyler einen kleinen Einblick über alle bekommt - ist mir endlich klar, warum er das tut. Ich hatte ihn doch gestern darum gebeten. Von wegen er soll sich mal mit Jungs anfreunden. Hätte nicht gedacht, dass er es doch so schnell umsetzt, wo er doch so "dagegen" war. Finde ich aber echt gut von ihm. Schließlich braucht er männliche Freunde, so wie jeder andere Schüler auch. Er braucht ja mehr Freunde als nur mich. Und bevor er sich noch unbeliebter macht, als er sowieso schon bei zum Beispiel Eric ist - wegen mir - möchte ich lieber, dass er den Anschluss noch kriegt. Wenigstens gelingt ihm das bis jetzt. Ich finde, dass es recht gut für ihn aussieht. Josh ist da schon die richtige Adresse, er ist einer der nettesten Menschen, die ich kenne und sozusagen einer meiner besten Freunde.
Was man von Eric nicht behaupten kann, er ist noch zu skeptisch, um sich mit Tyler anzufreunden. Josh und er sind beste Freunde, manchmal streiten sie sich zwar, aber das ist ja total normal. Die beiden kennen sich ja schon seit sie in der Grundschule eingeschult wurden. Aber in Josh hat er ja einen guten Freund gefunden. Als Josh und ich noch klein waren, war er praktisch wie ein Bruder für mich, wir kennen uns schon unser ganzen Leben lang, könnte man so sagen. Unsere Mütter haben sich beim Schwangerschaftskurs kennengelernt. Und von da an, weiß man ja wie's weiter geht. Mit Tyler verbringen wir also die Pause und er muss tatsächlich zu Mathe, mit Am und mir. Wir gehen also in Haus 3 um Mathe zu büffeln. Nach zwei anstrengenden Stunden Mathematik - Unterricht, haben wir Musik in Haus 4, aber diesmal nur Am und ich. Danach treffen wir uns wieder einmal in der Mensa. Heute essen wir alle gemeinsam, zusammen an einem Tisch, mit allen, Tyler und mir inbegriffen. Am starrt mich schon die ganze Zeit gespannt an, hatte aber anscheinend noch keine Chance, mir zu sagen, was es denn bei mir so zu gucken gibt. Vermutlich wird sie mich später, wenn sie mich ohne Tyler erwischt, fragen warum in aller Welt ich meine Jacke bei ihm liegen gelassen habe. Die anderen denken wahrscheinlich genauso... Aber egal. Jedenfalls sitze ich jetzt noch gegenüber von Am und neben Tyler. Er strahlt so eine gewisse, beruhigende Wärme aus. Ich bin mir nicht sicher, ob die anderen auch so empfinden, aber mir geht's auf jeden Fall so...
Nach dem Essen verbringen Am und ich - ohne Tyler - die letzten beiden Schulstunden für diesen Tag; Kunst. Die sind immer trocken und langweilig. Jetzt haben wir noch keinen praktischen Unterricht, das heißt, wir sitzen einfach nur da und sollen zuhören. Das ist eine Eigenschaft, die Am nicht besitzt. Sie kann einfach nicht eineinhalb Stunden still und brav da sitzen und zuhören, gelegentlich noch abmalen. Nein, das wäre nicht sie.
Also fragt sie mich leise das, was mir schon gedacht und erwartet habe: ,,Warum hatte Tyler denn deine Jacke?" Sie kichert und ich zucke nur die Schultern. Ich antworte darauf nur mit einer etwas gekürzten Weise des gestrigen Abends. Da wir ein Glück, wie in fast jedem Kurs, mit in der letzten Reihe sitzen, können wir uns unauffällig leise unterhalten und stumpf von der Tafel alles was Mr. Stone anschreibt und anmalt kopieren. So macht eine Stunde doch mehr oder weniger Spaß.
Am Parkplatz verabschiede ich mich noch von meinen Freunden und fahre mit Tyler, hinter mir, nach Hause. Am ist immer noch ganz baff von meinen Geschichten.

Als ich bei mir zuhause aussteige, winke ich Tyler noch kurz und verschwinde ins Haus. Dort mache ich mir etwas kleines zu essen und mache mich dran, meine Aufgaben fertig zu stellen. Nach ca. eineinhalb Stunden bekomme ich eine SMS. Sie ist von Tyler: 'Hey, hast du mal ganz kurz Zeit für mich? Ich habe eine Frage an dich und möchte sie lieber persönlich fragen. Hatte vergessen, dich in der Schule zu fragen. Also? Kommst du kurz raus?' Wie süß. Was will er mich wohl fragen? Ich antworte also schnell: 'Ja, ich komme eben raus!' 'Okay' bekomme ich als Gegenantwort auf meine Antwort. Er steht schon dort, als ich aus der Haustür trete.
,,Hi",begrüßt er mich.
,,Na, was gibt's?",frage ich neugierig. Ich höre mich an, als wenn ich keine Zeit hätte und ihn schnell wieder loswerden will, dabei stimmt das nicht.
,,Ähm Josh hat mir gestern in Religion erzählt, dass es hier ja bald den Frühjahrsball gibt, und dann ergab alles einen Sinn. Warum du das Ballkleid gekauft hast und so..." Er zögert und sieht auf den Boden. Oh mein Gott, will er mich etwa fragen ob -
,,Bist du da schon mit jemanden verabredet?", fragt Tyler und sieht jetzt mich an. Die Hände fest in den beiden Hosentaschen vergraben.
Ich falte meine Hände hinter meinem Rücken, damit er nicht sieht, wie sie zittern und wie aufgeregt ich bin.
,,Ich wollte fragen, ob du mich in deinem wunderschönen Kleid vielleicht begleiten möchtest?" Selbst wenn ich schon eine Verabredung hätte, würde ich sie für Tyler absagen.
Das wäre zwar ein bisschen fies, aber das kann ich mir nicht entgehen lassen.
Er hat mich tatsächlich gefragt!
,,Eigentlich wollte ich da nicht hin, aber wenn man mich schon so fragt..." Ich lächele ihn an und sehe wie ein Lächeln sein Gesicht umspielt. Er ahnt, dass ich ja sage.
Wer könnte ihm denn widerstehen?
Und wer wäre ich, wenn ich so eine Chance nicht annehmen würde?
Ich kann ja gar nicht anders. Ich mag ihn schließlich. Da muss ich einfach ,,Ja!" sagen.
,,Und um ehrlich zu sein, ich würde mit niemanden lieber hingehen...", sage ich schüchtern, aber ich muss ihm auch mal etwas zurück geben. Er ist so lieb zu mir, da kann ich auch ruhig mal total ehrlich sein. Es schmeichelt mich so, dass er gefragt hat. Ich würde ihm am liebsten um den Hals fallen, so doll freue ich mich, aber ich traue mich nicht. Doch da packt er mich schon an der Hüfte und hebt mich vor Freude in die Höhe.
,,Danke Jess! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll... Ich ja auch am liebsten mit dir!" Er setzt mich wieder auf festen Boden und freut sich sichtlich. Ich lächele auch übers ganze Gesicht.
,,Ja dann bis morgen, ich muss auch wieder rein, meinen Eltern noch ein bisschen helfen. Du kommst ja Samstag immer noch, oder?" Er macht große Augen und mustert mich.
,,Natürlich, ich habe ja schon zugesagt. Dann bis morgen", antworte ich. Er lächelt breit und gibt mir schnell, plötzlich und flach einen Kuss auf die Wange.
Das hat sich echt zärtlich angefühlt, obwohl seine Lippen nur einen Sekundenbruchteil lang meine Wange berührt haben.
Ich sehe ihn an, warte auf irgendeine Reaktion, nachdem was gerade passiert ist, doch es kommt nichts. Er steht einfach nur da, lächelt im Kreis und winkt zun Abschied, ehe er ins Haus verschwindet. Ich bin immer noch verblüfft von dem Kuss und stehe stocksteif, einfach nur da.
Noch eingehüllt im Zauber dieses unbeschreiblich schönen Moments.

Aber in einem bin ich mir jetzt sicher und ganz klar - ich habe mich Tyler Bendson verliebt. -

Schnell bringe ich zuhause meine Aufgaben zu ende und rufe Amanda an. Ich erzähle ihr alles was sie wissen muss, aber leider hat sie nicht viel Zeit. Ich habe gerade aufgelegt, als meine Eltern zur Tür hereinkommen. Also essen wir alle gemeinsam lecker zu Abend und wir schauen zusammen fern.

- In dieser Nacht, nach diesem wieder mal wundervollen Tages, träume ich, das erste Mal, von Tyler.

the neighborWo Geschichten leben. Entdecke jetzt