Chapter 6

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,,Wo sind wir?", frage ich Tyler.
,,Wir sind hier, du brauchst keine Angst zu haben. Du bist in Sicherheit!", sagt er beruhigend. Mit zitternder Hand an seiner, stehe ich neben ihm in der Dunkelheit. ,,Ich hole nur eben eine Cola aus der Abstellkammer. Bleib' einfach hier stehen, ich komme gleich." Er lässt meine Hand los und verschwindet. Nach gefühlten fünf Minuten kommt er zurück, denn die Tür quietscht. Er hat etwas hell reflektierendes in der Hand. Ich habe keine Ahnung was ist das ist. Auf jeden Fall keine Cola? Er kommt näher.
,,Auf diesen Moment habe ich schon die ganze Woche darauf gewartet!" Er kommt noch näher und erst jetzt sehe ich, dass er ein Messer in seiner Hand hält.
,,Du kannst hier nicht weg. Wir sind ganz allein hier, tut mir leid. Jetzt komm' her, es wird nicht so wehtun", drängt er und rennt auf mich zu.
,,Nein, nein, bitte nicht! Was habe ich denn getan? NEIN!"

Ich reiße meine Augen auf. Voller Schweißperlen auf der Stirn wache ich auf. Ich sitze dort, mit zitternden, nassen Händen und zerstrubbelten Haaren auf dem Bett. Erst jetzt realisiere ich, dass alles nur ein dummer Traum Albtraum war. Ein schrecklicher Albtraum. Würde ich das erleben wollen? Sobald ich überhaupt überlebe...
Was, wenn ich seit heute in die Zukunft sehen kann?
Nein, Schwachsinn.
Total absurd.
Unrealistisch.

Ich versuche nun diesen Traum zu verdrängen und mich auf heute zu konzentrieren. Heute wird toll! Nur darauf darf ich nich jetzt konzentrieren, auf das hier und jetzt. Nicht auf diesen lächerlichen Traum. Ganz langsam und mit Ruhe stehe ich auf und mache mich soweit fertig. Völlig in Gedanken, merke ich kaum, dass mein Handy eine neue SMS anzeigt und ich dabei versehentlich die Milch meines Müslis überschwappen lasse. Sie ist von Tyler. Er fragt in der Nachricht, wie es mir an diesem wunderschönen Samstagmorgen so gehen würde. Ich weiß natürlich sofort, worauf er hinaus will und berichte ihm, dass bei mir alles gut sei. Und ich frage dann nur noch hinterher: "Und bei dir auch?" Er antwortet blitzschnell, dass es auch ihm super gehen würde. Die Vorbereitung laufen gut und er freut sich schon mich zu sehen - schreibt er. Und ich? Ich eigentlich auch, wenn da nicht dieser blöde Traum im Hinterkopf wäre. Aber es war doch nur ein Traum, stimmt's? Und heute wird sowieso alles anders, als sonst. Hoffe ich. Also antworte ich mit einem einfachen "ich mich auch..." und beende damit die Konversation. Ich sage noch schnell, dass ich mich jetzt fertig machen müsse, was ich auch tue. Ich versuche diesen Traum zu verdrängen und nicht daran zu denken. Es gelingt mir sogar eine Zeit lang, bis ich durstig wurde und mir Cola holen wollte. Dann beschließe ich einfach Wasser zu trinken, nicht weiter dran zu denken und gehe wieder hoch. In der Dusche lasse ich mir kaltes Wasser über den Körper laufen und überlege dabei, was ich heute anziehen könnte. Es ist wirklich warm draußen geworden. Ich denke an eine kurze Hose und ein schönes Shirt. Ja, das war eine gute Idee. Also ziehe ich mir eine schwarze Hotpan und ein süßes rosafarbenes T-Shirt. Mit einer kleinen Kette von meinen Eltern und Ballerinas als Schuhe ist mein heutiges Outfit vollzogen. Ich schminke mich dezent und glätte meine Haare. Wie es immer so ist, bin ich natürlich wieder viel zu früh fertig. Es ist nämlich erst Ein Uhr. Aus Vorfreude und ein bisschen Angst frage ich Tyler per SMS ob ich schon rüber kommen und helfen könnte. Er sagt, wie auch nicht anders erwartet, sofort zu. Also packe ich mein Handy, Schlüssel und Portemonnaie in meine Tasche und mache mich auf den kurzen Weg. Ich gehe auf die Veranda und klingele. Ich trete aus hoffentlich netter Erscheinung zwei Schritte zurück. Tyler kommt an die Tür gerannt.
,,Hi!", sage ich erfreut.
,,Hey", ruft er ganz gelassen und vergräbt eine Hand in seiner Hosentasche. ,,Komm doch rein!" Er lächelt, hält stolz die Tür auf und bittet mich hinein.
,,Gerne!", antworte ich. ,,Kann ich irgendwie mithelfen? Aufdecken, Brötchen schmieren, Kuchen schneiden, irgendwas?", frage ich hilfsbereit und seine Mutter kommt aus der vermutlichen Küche.
,,Mum? Das ist Jess von nebenan. Sie wurde gerne mithelfen, hattest du was?"
,,Jessica, hi!", stelle ich mich vor und schüttele ihre ausgestreckte Hand.
,,Mona, nett, dass du gekommen bist." Tyler's Mum lächelt. Nun kommt jemand aus einem Hinterzimmer. Es ist sein kräftiger, aber dennoch schlanker Vater. Er stellt sich mir ebenfalls vor: ,,Oh, du musst das nette Mädchen von nebenan sein. Tyler hat schon soviel von dir erzählt. Ich bin Billy!" Er lächelt ebenfalls und gibt mir seine ausgeprägt große Hand.
,,Oh ähm, wie nett. Ich bin Jessica, sehr erfreut!" Ich schaue verlegen auf den Boden und anschließend zu Tyler. Er läuft ein bisschen rot an. So wie ich.
,,Dad, das hätte wirklich nicht sein müssen...", flüstert Tyler. Ich muss mir ein leichtes Lachen verkneifen.
,,Ach, sie kann doch ruhig wissen, dass du sie gern hast."
,,Daaad!", drängt er.
,,Liebling, lass' die beiden einfach eben nach oben gehen. Ihr müsst noch nicht helfen, wir machen das schon." Die beiden wechseln einen Blick und Mona redet weiter: ,,Ich rufe euch zum Essen. Und Tyler? Warst du nachher so lieb und empfängst alle Gäste, wenn es soweit ist?"
,,Ja klar, Mum. Sind dann oben, wenn etwas ist." Dann nickt Mona nur und wir gehen die steile Treppe hoch. Ich lasse sein Zimmer auf mich wirken. Es ist eigentlich ganz normal, weiße Tapeten mit braunen Streifen an einer Wand, ein passend brauner Kleiderschrank, ein Schreibtisch. Aber er hat noch einen riesigen Flachbildschirmfernseher und eine schwarze X-Box. In einer Ecke ist eine weiße Tür und gegenüber noch eine weitere. ,,Ein eigenes Bad?", frage ich und zeige auf die Tür links von mir. Er geht darauf zu und öffnet sie. Das ist wohl ein Zimmer zum Entspannen. Dort stehen zwei Sofas, ein weiterer Fernseher hängt an der Wand. Auf der linken Seite ist eine Art Mini-Bar. An der Wand dort hängt ein Regal mit Gläsern, Servietten und Tellern. Außerdem steht auf dem Boden ein Mini-Kühlschrank. Zu meiner rechten sehe ich zwei Regale, die mit Filmen überfüllt sind. Dahinter steht ebenfalls ein großes Regal mit Büchern, von den bekanntesten Schriftstellern.
,,Ignorier' die Bar einfach..." Er sieht mich an und zieht verzweifelt die Augenbrauen zusammen. ,,Bitte denk' jetzt nicht, dass ich irgendwie total verwöhnt wäre oder so. Oder dass wir reich wären, nein. Meine Eltern wollten einfach nur was Gutes tun..." Ich nicke und kann es irgendwie nicht glauben, dass er eine kleine Bar in seinem Nebenzimmer hat. ,,Und was steckt hinter der anderen Tür?" Ich verlasse diesen Raum und zeige auf die mir nun gegenüber liegende weiße Tür.
,,Ähm, na ja..." Er geht zu der Tür und öffnet auch diese.
,,Was... was ist das für ein Zimmer?" Ich beäuge dieses Zimmer und zögere, weiter in dieses Zimmer einzudringen. Es ist dunkel und vollgestellt mit alten Sachen. Klar denkt man jetzt, es wäre nichts außergewöhnliches, so nach einen Umzug, aber es ist doch irgendwie komisch. Es ist nicht so ein klassisches neues Zimmer, wie man es sich vorstellt, ich kann es einfach nicht beschreiben.
,,Es ist... ähm. Einfach nur vollgestellt von alten Kindersachen und Sachen, wo ich noch nicht weiß wohin damit... Also können wir ja jetzt wieder raus gehen, oder?" Er räuspert sich und zieht leicht an meinem Arm. Doch ich schaue mich immer noch in diesem unheimlichem Zimmer um und es lässt mich frösteln, so kalt ist es hier drin. So ein merkwürdiges Zimmer habe ich noch nie erlebt, das fast wie ein normales Zimmer aussieht, aber eben auch nur fast... Aber so merkwürdig es auch ist, ich will nicht weg von hier. Irgendwie fühle ich mich hierhin gezogen. Obwohl es hier echt total kalt ist, durchführt mich plötzlich und unwillkürlich ein warmes Bauchkribbeln, als wäre ich hier in einem mir bekannten Zuhause, aber ich war hier noch nie. Und weiß auch nicht warum ich so empfinde. Er zieht mich erneut, dieses Mal aber nicht ganz so sanft und ich lasse mich mitziehen. Er schließt lautstark die Tür hinter sich und schaut etwas bedrückt und nachdenklich. Wir gehen wieder in das andere Zimmer und setzen uns auf eines der langen, weichen Samtsofas.
,,Gemütlich hier, wirklich. Nur etwas außergewöhnlich, aber nur ganz wenig."
,,Danke." Er lacht kurz auf, aber dieses Lachen ist nicht ganz echt, es reicht nicht bis zu den Augen.
,,Was machen wir jetzt?", ich mustere ihn.
,,Was willst du denn machen?", frage ich und ignoriere das merkwürdige Gefühl, was durch meinen Körper strömt, seitdem ich nicht mehr in diesem anderen Raum bin.
,,Schlag was vor. Oder nee, Moment. Wir hatten ja eine Abmachung. Erinnerst du dich?" Ich sehe ihn an, lächele und sehe, wie er ganz kurz überlegt und dann leise und kurz auflacht.
,,Du meinst die, wo du mir alles von dir erzählst und ich alles von mir?" Ich nicke, bemerke, dass er versucht, sich wieder normal zu benehmen, nachdem er in dem anderen mehr oder weniger gruseligen Zimmer etwas nervös und anders war. ,,Genau die! Na dann, fang mal an!", sage ich und versuche auch, das hinter mir zu lassen und ihn nicht dafür zu verurteilen, denn ich habe wohl kaum ein Recht dazu. Ich kenne ihn ja so gut wie gar nicht, aber das soll sich ja heute ändern.
,,Okay, alles klar: Ich bin Tyler Bendson. Der von nebenan. Ich spiele seit ich 5 bin Lacrosse im Verein und bin Single. Gerade aus New Mexico hergezogen. Ich bin 18 Jahre alt, habe einen Führerschein, besitze ein Auto und bin Einzelkind. Meine Eltern heißen Mona und Billy Bendson. Ich habe noch ein "Ferienhaus" nicht so weit weg von hier. Habe ich etwas vergessen?" Er stützt sich auf der Couch ab und schaut mich eindringlich an.
,,Nein, ich glaube nicht." Ich schüttele mit dem Kopf und merke, dass doch schon alles wirklich fertig eingerichtet ist, na ja außer dieses komische Zimmer, nicht so wie er gesagt hatte.
,,Dein Zimmer, oder sollte ich lieber sagen deine Zimmer, sind ja doch schon fertig, seid ihr schneller voran gekommen, als gedacht? Letztens warst du ja noch davon überzeugt, dass es noch nicht fertig werden würde, wenn ich hier sein würde. Aber es sieht alles schon sehr gut aus..." Ich sehe mich abermals in diesem großen, coolem Raum um, ehe er sagt: ,,Ja, ich glaube ich habe mich etwas verschätzt, was die Zeit des Umzuges angeht. Nun bist du aber dran!", drängt er lieb und stupst mich leicht an.
,,Okay. Ich bin Jessica, auch Jess genannt. Mein Nachname ist Black und ich bin 17 Jahre alt. Ich tanze seit ich 4 bin im Verein. Außerdem wohne ich seit 15 Jahren hier und bin aus Eugene, Oregon hergezogen. Ebenfalls bin ich Single und meine Eltern sind Lauren und Stephen. Und ich bin anscheinend das Mädchen von nebenan. Habe ich auch alles?" Er muss nach diesem mehr oder weniger fremden Gespräch lachen, so wie ich. Ich lächele immer noch und bin froh, dass wir uns jetzt offiziell näher kennenlernen und er scheinbar auch davon begeistert ist, mehr von mir zu erfahren, so wie ich es auch von ihm bin.
,,Glaube schon. Was oder welche Richtung tanzt du denn?" Ich finde es toll, dass er sich dafür zu interessieren scheint.
,,Ich tanze Hip-Hop, als Leistungssport", sage ich stolz. ,,Wir sind eine Formation, das ist ein Team, eine Mannschaft, wie man es nennt. Wir sind ganze 23 Tänzer insgesamt."
,,Oh, wie cool!", nickt er verständnisvoll. Ich nicke zurück und lächele, da es mich freut, dass er mein Hobby zu mögen scheint.
,,Kann ich vielleicht mal zu einem Lacrossespiel von dir kommen? Ich mag Sportler." Ich mag Sportler wirklich gerne. Durchtrainerte Jungs, die so wie ich auf Sport stehen und auf ihren Körper achten.
,,Ja klar, gerne!" Er zuckt mit den Schultern.
,,Wann hast du denn wieder eins?", frage ich neugierig.
,,Ich glaube heute in drei Wochen. Kannst du da?" Er zieht gespannt beide Augenbrauen empor.
,,Bestimmt. In nächster Zeit habe ich nichts geplant und das ist auch noch ein bisschen hin. Also sage ich einfach mal ja!", sage ich erfreut. So reden wir die ganze Zeit, bis seine Mutter uns runter ruft: ,,Könntet ihr doch noch kurz helfen beim Tisch decken?"
,,Klar, Mum!" Er macht sich auf und ich folge ihm in die Küche.
,,Du weißt ja wo alles steht, Tyler!"
,,Jap, alles klar!", ruft er als wir mit einer Tischdecke und Geschirr in das große, geräumige Wohnzimmer gehen. Wir decken den Tisch mit: natürlich der weißen Tischdecke, Tellern und Tassen mit Untertassen und Löffeln, Kuchengabeln auf der Serviette des Tellers und dem frisch - zubereiteten Kuchen, der Torte und zwei Kaffee- und Teekannen. Pünktlich um Drei kommen die ersten Gäste. Die Nachbarn von uns und Freunde und Familie der Bendson's. Unsere nun gemeinsamen Nachbarn sind nicht mehr ganz die Jüngsten, aber sie waren schon immer und sind immer noch freundlich und gut drauf, haben Humor. Die Freunde sehen auch alle ganz nett aus. Als zehn Minuten später dann auch die letzten Gäste ankommen, sitzen wir nun alle zusammen am großen Tisch. Wir stellen uns gegenseitig vor, erst Tyler und seine Eltern, dann ich mit: ,,Jessica, das Mädchen von nebenan." Mona sagt noch zusätzlich zu mir: ,,Sie hat uns ganz lieb geholfen, nettes Mädchen. Perfekte Schwiegertochter, wie man so schön sagt!", lacht sie in die Runde und setzt sich wieder hin.

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