Kapitel 2

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Aurora Arcturus

Hinter Aurora glitt ein leiser Schatten durch die Flure des Palastes, als sie sich auf den Weg zum Spiegelsaal machte.

"Es sollte verboten sein, dass Lyterses meine eigenen Kollegen auf mich ansetzt", blaffte Aurora. Sie erspähte die schweren Lederstiefel der Soldatin, die schließlich zu ihr aufholte.

"Er macht sich nur Sorgen", sagte Tabit Fafnir. Ihre spitze Nase, der wirre Afro, die blitzenden Augen kamen in Auroras Blickfeld. Sie war in die Uniform der Leibgardisten gekleidet, an ihrem Körper waren ein oder zwei Messer mehr als nötig befestigt, die Hände hielt sie hinter ihrem Rücken. Doch Aurora wusste, dass das junge Mädchen ihre Messer innerhalb eines Herzschlags zücken und tödlich zielen könnte.

Der Palast war in heller Aufruhr. Seitdem die Glocken angefangen hatten zu schlagen, hatten sie nicht mehr aufgehört. Wenn der sonst so geregelte Palast sich in ein solches Chaos verwandelte, weil der Sandmann entdeckt wurde, konnte Aurora sich nur ausmalen, wie es wohl in der Stadt vor sich gehen musste. In der Stadt, wo die Menschen keine Soldaten um sich hatten, um sie zu schützen. Wo eine jede Familie ihren verlorenen Geliebten hinterhertrauerte und es sich nicht leisten konnte, noch jemanden zu verlieren.

"Ich kann selbst auf mich aufpassen", murmelte Aurora. Sie blickte einem Staatsgardisten hinterher, der durch die Gänge rannte, die Waffen an seiner Uniform laut scheppernd. Türen wurden zugeschlagen, Angestellte huschten schneller durch die Gänge und blieben nicht ganz so lange stehen, um sich vor Aurora zu verbeugen, wie sie es sonst taten.

"Es ist der Sandmann", sagte Tabit. "Ich glaube nicht, dass an diesem Punkt irgendjemand etwas gegen ihn ausrichten kann. Auch nicht du, Aurora"

Aurora schnaubte.

"Du solltest es besser wissen", sagte Aurora und musterte ihre beste Freundin von der Seite. Sie waren beide erst seit einem Jahr in der Leibgarde, doch es fühlte sich an, als ob sie sich schon eine Ewigkeit kannten. "Wenn Maui es uns erlauben würde..."

"Das wird er niemals", sagte Tabit. "Unser Job ist es, die Königsfamilie zu schützen"

"Dann haben wir an dem Tag versagt, an dem meine Mutter eingeschläfert wurde"

Tabit schwieg für einen Augenblick.

"Warum musst du jetzt zu Orion?", fragte Tabit schließlich leise.

Sie folgte Aurora auf den Schritt, wie ein fehlerfreies Duplikat. Ein Schatten. Auch die junge Soldatin kannte den Weg in das Herz des Palastes ohne ein zweites Mal darüber nachzudenken.

"Für den Fall, dass der Sandmann heute stirbt, sollte jemand bei Orion sein, wenn die Magie auf ihn übertragen wird", sagte Aurora. "Aber ich bin mir sicher, dass Lyterses mich nur aus dem Palast haben will. In Sicherheit. Weit weg von all dem hier."

"Ich weiß nicht, ob ich die Gegenwart von Orion als sicher bezeichnen würde", murmelte Tabit. "Außerdem...ich dachte unsere Art der Magie funktioniert nicht jenseits der Spiegel?"

"Magische Wesen verlieren ihre Magie, wenn sie durch einen Spiegel reisen, ja", sagte Aurora. "Aber in Orions Fall ist anders...Der Sandmann ist das einzig magische Wesen, das erst mit dem Tod des Vorfahren magisch wird. Also kann niemand wirklich sicher sagen, was passieren wird"

"Also angenommen, Orion bleibt auf der anderen Seite, während der Sandmann stirbt und er bekommt seine Magie nicht...", sagte Tabit.

"Würde die Linie der Sandmänner mit Orion aussterben", vervollständige Aurora den hoffnungsvollen Gedanken ihrer Freundin.

Der SandmannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt