Der Sandmann

Kapitel 14

Orion Taygeta

Orion Taygeta wachte unter Schmerzen auf.

Sein Bein pochte. Er verzog das Gesicht, noch bevor er die Augen öffnete und gegen die Sonnenstahlen anblinzelte. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Es konnte Stunden her sein, seitdem Cara ihn besucht hatte oder schon einen ganzen Tag. Das letzte, an das er sich erinnern konnte war die helfende Hand einer der Krankenpfleger, um in das Badezimmer zu kommen. Er konnte sich an seinen festen Griff um seinen Arm und Hüfte erinnern und den interessierten Blick, mit dem er seine vernarbte Gesichtshälfte musterte. Er wusste, dass er es nicht mit Absicht getan hatte. Orion war es gewohnt. Aber er wünschte sich trotzdem, Leute würden ihn einfach in Ruhe lassen und ihn nicht mit dieser Mischung aus Mitleid und Ekel mustern.

Er hatte im Schlaf das dünne Laken weggestrampelt. Er sah, dass die Verbände um sein Bein gewechselt wurden. Diese hier waren glänzend weiß, es gab keine Spur mehr von der stets blutenden Wunde. Doch die Schmerzen waren noch immer da. Man hatte ihm keine Medikamente gegeben. Der Krankenpfleger hatte ihm erklärt, dass sie mit wichtigeren Dingen zu kämpfen hatten, als einer Schusswunde.

Erst jetzt bemerkte er die Figur, die im blendenden Sonnenlicht stand.

"Hey"

Er erkannte die Stimme. Verdammt, er kannte die Stimme so gut.

Jetzt bewegte sich die Person, stieß sich von der Fensterbank ab und lief auf ihn zu. Als sie schließlich einige Meter vor ihm stand und sich über ihn beugte, verdeckte ihr Körper die Sonne und da erblickte er ihr Gesicht.

Emma.

Aurora.

Auf ihrem Gesicht lag ein Lächeln, doch es war so anders als das Lächeln, das er gewohnt war.

Das Mädchen vor ihm erkannte er kaum wider. Sie trug nicht die bunten Hoodies. Sie warf ihre langen Haare nicht unbeschwert über die Schulter. Sie war gekleidet in ein hochwertiges Gewand und - zu seiner Überraschung - war sie bewaffnet. Um ihre Beine und Arme schlangen sich Gurte aus Leder, die meisten von ihnen hielten große und kleine Messer. An ihrer Hüfte hing ein Schwert. Das weite Hemd war am Kragen aufgeknöpft und man konnte einen weiteren Ledergurt darunter erblicken.

Orion sagte nichts auf ihre Begrüßung hin, als sie sich schließlich vom anderen Ende des Raumes einen Stuhl herzog, um sich an sein Bett zu setzen. Ihr Blick wanderte über ihr Gesicht und ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken wandern, bis hinunter zu seinem Bein, das unter der Decke lag und das er für eine Sekunde lang komplett vergessen hatte.

"Wie geht es deinem Bein?"

"Nicht ganz so schlecht, wie meinem Stolz", sagte Orion mit krächzender Stimme. Er blickte sie an und war ein wenig erleichtert, als er in ihrem Blick ernsthafte Sorge erblickte.

Das fremde Mädchen vor ihm sah aus, als ob sie etwas erwidern wollte, doch dann sagte sie nichts. Es war, als ob die Emma, die er kannte, eine einzige Lüge gewesen war. Verdammt ja, das war sie.

"Orion", seufzte sie schließlich. "Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll"

Er schnaubte.

"Mach dir keine Mühe", sagte er. "Cara hat mir alles erklärt. Sie hat mich schon vorgewarnt, dass ihr mich ausfragen wollt"

"Ich will dich nicht befragen", sagte Aurora. "Ruh dich erst einmal aus"

"Weshalb bist du dann da?", fragte Orion und musterte sie. "Du siehst aus, als ob du eigentlich in den Kampf ziehen wolltest."

Aurora blickte an sich herunter und richtete das Schwert, das, als sie sich hinsetzte, gefährlich in seine Richtung zeigte.

"Ah ja", sagte sie. "Ich gehe gleich zum Training"