Kapitel 10

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Orion Taygeta

Das Zimmer, in das Miram ihn am vorigen Abend gesteckt hatte, war kleiner als Orions Zimmer zu Hause.

An diesem Morgen dachte er mit einem Ziehen im Magen an seine Mutter und konnte sich nur ausmalen, welche Sorgen sie sich machen musste. Ihre hellen Augen mussten mittlerweile tränenunterlaufen sein, sie hatte wohl die ganze Nacht nicht geschlafen. Ähnlich wie Orion selbst, der viele Stunden lang dem Rauschen des Meeres vor dem Fenster zugehört hatte und sich eingeredet hatte, dass es ein Traum sein musste. Doch der Schlaf wollte nicht kommen, trotz der weichen Matratze, der dünnen Laken und dem schönen Zimmer. Trotz des leckeren Abendessens und Caras Sorglosigkeit. Und zu allem Übel wachte er an diesem Morgen mit einem pochenden Kopf in dem lichtdurchfluteten Zimmer auf. Doch es waren nicht die Strahlen der Sonne, die ihn weckten, sondern das leise Klopfen an der Tür.

"Wach?", fragte Cara nur, als er die quietschende Tür einen Spalt öffnete und durch den Spalt lugte. Sie stand mit verschränkten Armen in dem Säulengang auf dem zweiten Stockwerk. Hinter ihr blühten allerhand Pflanzen in einem großen Garten, den er letzten Abend kaum bewundern konnte, als man sie endlich in ihre Zimmer gebracht hatte. Es war bereits dunkel und der Säulengang war nur mit Fackeln beleuchtet gewesen.

"Wir müssen in ca. 10 Minuten anfangen", murmelte Cara und nickte ihm zu. "Beeil dich"

"Was ist der Plan, Cara?", zischte Orion und versuchte, sein Haar etwas zu glätten. "Du hast nicht wirklich vor, hier zu arbeiten?"

Cara zuckte mit den Schultern und blickte den Gang hinunter. Man hatte sie in dem Zimmer neben ihm untergebracht.

"Der Deal war, dass wir ein Dach über dem Kopf bekommen, wenn wir in der Küche aushelfen", sagte sie kurz angebunden und blickte ihn wieder an. "Miram hat ihren Teil des Deals erfüllt, jetzt müssen wir ran"

"Wir müssen vor allem zurück", zischte Orion.

"Und dafür müssen wir Emma finden", sagte Cara und beugte sich vor. "Und das bekommen wir nur hin, wenn die uns nicht in den Kerker oder so werfen"

"Es gibt einen Kerker?", fragte Orion mit zusammengezogenen Augenbrauen.

"Was weiß ich. Schau dich um, ich wäre nicht überrascht, wenn es einen Kerker geben würde", seufzte Cara und bedeutete ihm, sich zu beeilen. "Der Punkt ist, dass du in die Hufe kommen solltest"

Er brauchte nicht lange, bis sich Orion die weiche Leinenkleidung, die auf der Kommode in dem kleinen Zimmer für ihn bereitstand, übergestreift hatte. Cara wippte bereits ungeduldig von den Ballen auf die Zehen und war sichtlich dankbar, dass sie endlich mit langen Schritten den Flur entlanglaufen konnten und schließlich eine Wendeltreppen in die Tiefen des Palastes nahmen.

"Wo müssen wir hin?", fragte Orion Cara, doch sie zuckte nur mit den Schultern.

"Ich schlage vor, wir suchen Miram", sagte sie leise und lugte durch einen Torbögen, aus dem lautes Rufen und Schreie kamen.

Eine Großküche offenbare sich vor ihnen. Die Schreie des korpulenten Chefkochs übertönten das Brutzeln der Pfannen und das dumpfe Knallen von einer langen Klinge auf einem Holzbrett. Die Fenster auf der gegenüberliegenden Seite waren speerangelweit offen, doch der Duft von reichlich Gewürzen lag noch immer in der Luft.

"Hey!", ein langer Bursche mit ernstem Gesichtsausdruck und verschmierter Schürze kam auf sie zu und musterte das ungewöhnliche Paar. "Was sucht ihr hier?"

Orion bekam nicht einmal die Möglichkeit, sich eine Antwort auszudenken.

"Sie gehören zu mir", er erkannte die Stimme von Miram noch bevor er sich umdrehte und in ihr gnädig dreinblickendes Gesicht sah. Wo gestern noch glatte Strähnen waren, trug Miram heute wuschelige Locken.

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