Spezialkapitel - Semis POV

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Wir hatten heute unseren ersten Auftritt in dieser Bar. Die anderen, die schon dran waren, hatten allesamt echt was drauf. Und das machte mich zugegebenermaßen sehr nervös.

In der Vergangenheit hatten wir zwar schon ein paar Auftritte, doch das Flair in dieser Bar war irgendwie anders. Ich fühlte mich, als würde ich vor jemanden ganz besonderen spielen, doch das war eigentlich nicht möglich. Aber ich mochte das Gefühl, es puschte mich regelrecht.

Die Sängerin, die vor uns dran war, ging gerade von der Bühne. Wir nahmen unsere Sachen und gingen nun hinauf. Jetzt ist es soweit.

Für den heutigen Abend hatten wir ein ganz besonderes Lied ausgewählt. Ich hatte es vor einer halben Ewigkeit geschrieben und meinen Bandkollegen hatte es so gut gefallen, dass wir es unbedingt heute spielen wollten.

Die ersten Akkorde ertönten, als ich meine Finger über die Saiten schwingen ließ. Ich spürte, wie die Aufmerksamkeit auf uns gerichtet war. Das Gefühl, was ich vorher schon hatte, verstärkte sich nochmal um ein Vielfaches.

Ich begann das Lied, indem ich erneut über die Saiten führ, dieses Mal aber mit Richtiger Melodie. Der Bassgitarrist stieg mit ein, gefolgt vom Drummer. Nach wenigen Sekunden schloss ich meine Augen, atmete ein letztes Mal tief durch und begann den Text zu singen, der so viel für mich bedeutete.

Die Augen wieder geöffnet ließ ich sie über das Publikum schweifen. Es waren erstaunlich viele Menschen in diesem Club. Wir hatten auch schon vor mehreren gespielt, aber mir gefielen auch die kleineren Mengen. Die meisten standen auf der Tanzfläche und schwangen ihre Körper zum Takt unserer Musik. Die Bar, am Rande des Raumes war recht nah an der Bühne und diente als klasse Sichtplatz. Ich scannte all deren Gesichter ab, blieb aber plötzlich bei einem stehen. Dieses sah mich geschockt an. Und wütend, besonders wütend.

Seine Präsenz brachte mich total aus dem Konzept und ich vergaß kurzzeitig meinen Text, hatte mich aber recht schnell wieder gefangen. Mein ganzer Körper kribbelte vor Aufregung. Nach all den Jahren sah ich ihn nun endlich wieder. Ich konnte mein Glück kaum fassen, ich hatte mich schon damit abgefunden, ihn nie wieder zu sehen.

Doch dann wurde es mir klar. Das Lied, was wir gerade spielten, war nicht nur irgendeins. Es ging um ihn, um Shirabu. Verdammt, verdammt, verdammt! Es ging darum, dass ich mich in der ersten Sekunde seines Auftretens in ihn verliebt hatte, wie unsere komische Freundschaft auf Hass beruhte, dass ich mich nie getraut hatte, ihm meine Gefühle zu gestehen und einfach aus Angst abgehauen bin.

Ich sang mir die Seele aus dem Leib, währenddessen ließ ich Shirabu nicht aus den Augen. Er war wunderschön. Seine Haare hatten immer noch denselben schiefen Pony, wie in der Oberschule, aber seine Gesichtszüge sind markanter geworden.

Das Lied ging zu Ende und plötzlich durchfuhr Shirabu ein Ruck. Er stand aus dem nichts auf und wandte sich dem Ausgang zu. Nein! Nicht jetzt! Über dem tobenden Applaus wollte ich zu ihm rufen, doch es blieb mir im Hals stecken, als ich sah, wie ein anderer Kerl meinen alten Kohai aufhielt. Er schien eine beruhigende Wirkung auf ihn zu haben, denn sein Gesicht entspannte sich ein kleines Bisschen. Der fremde Mann sagte etwas zu ihm und kam seinem Gesicht dabei gefährlich nah. Sein Freund, schoss es mir durch den Kopf.

Natürlich hatte Shirabu einen Freund. Wieso auch nicht? Er war attraktiv, jung und hatte Sinn für Humor. Außerdem hatte er mich sowieso nie leiden können.

Betrübt ging ich mit meinen Bandkollegen von der Bühne. Den Applaus hatte ich gar nicht richtig für voll genommen.

»Hey. Du bist Semi Eita, richtig?«, fragte mich plötzlich eine fremde Stimme. Ich hob den Kopf an und sah in das Gesicht, welches eben noch bei Shirabu war. Ohne es richtig zu merken, glitt mein Blick über ihn, scannte ihn förmlich ab. Verdammt, er war wirklich verdammt heiß, besonders diese braunen Haare, die ihm über die Stirn fielen. Da konnte man glatt neidisch werden.

»Und du bist?« Die Frage kam barscher aus meinem Mund, als ich es wollte.

»Ich schätze, ich bin dein Nachfolger bei Kenjirou«, sagt er seelenruhig, als wäre nichts dabei. Also hatte ich doch richtig getippt. Aber wieso Nachfolger? Wusste Shirabu etwa, was ich für ihn empfunden hatte? Schön, dass er jemanden gefunden hat, der ihn nicht einfach im Stich lässt. Mir war es egal, wenn ich darunter litt, aber wenn Shirabu glücklich war, war ich es auch. Selbst, wenn wir es nicht gemeinsam wären.

»Entschuldige. Meine Wortwahl war wohl nicht sehr passend. Ich meinte damit, dass ich deinen Platz als Ersatzzuspieler bei der Shiratorizawa eingenommen habe. Dort habe ich Kenji kennengelernt und seitdem sind wir beste Freunde«, beschwichtigte er mich. Doch was er dann sagte, haute mich aus den Socken. Shirabu soll in mich verliebt sein? Aber hasste mich doch. Oder nicht?

»Und deswegen bewegst du deinen Hintern jetzt nach draußen und redest mit ihm.« Seine Worte ließen keinen Platz für Widerworte, also nickt ich nur und lief benommen zum Ausgang.

Auf dem Weg sah ich einige der diesjährigen Volleyball-Nationalmannschaft. Besonders Hinata fiel mit seinen orangenen Haaren auf, wie ein Schakal zwischen Schafen.

»Hey Hinata«, begrüßte ich ihn und hob dabei meine Hand. »Habt ihr zufällig Shirabu gesehen?«

»Der steht draußen, direkt neben dem Eingang. Kannst du eigentlich nicht verfehlen, bei der düsteren Aura, die ihn umgibt. Also ich an deiner Stelle würde ihn jetzt nicht ansprechen«, sagte Osamu. Ihn kannte ich von einigen Besuchen in seinem Restaurant.

Ich nickte dankend und setzte trotz Warnung meinen Weg fort. Draußen angekommen regnete es in Strömen. Wurde das angesagt?

Osamu hatte tatsächlich nicht übertrieben, denn neben mir erschlug mich fast die Aura von Shirabu. Er stand komplett durchnässt an der Hauswand und tippte ungeduldig auf seinem Oberarm. Ich fasste all meinen Mut zusammen und ging auf ihn zu.

»Shirabu?«, kam es kleinlaut aus meinem Mund. Der Angesprochene schellte seinen Kopf in meine Richtung.

»Was willst du?«, giftete er zurück. Mit etwas anderem hätte ich allerdings auch nicht gerechnet.

»Ich will nur reden, okay?« Shirabu blieb still. Also nahm ich das als Gelegenheit, etwas zu sagen. »Es tut mir leid.« Mehr bekam ich nicht raus.

Er blieb still. Minuten vergingen, in denen keiner von uns etwas sagte. Meine Gedanken ratterten und versuchten krampfhaft einen sinnvollen Satz zu bilden.

»Das Lied. Worum ging es da?«, fragte mein Gegenüber leise. Ich müsste leicht lächeln. Er hatte es also doch bemerkt.

»Um dich, Shirabu. Es ging immer um dich.« Zum ersten Mal, seit wir hier draußen stehen, sah er mich direkt und mit großen Augen an. »Du hast ja keine Ahnung, wie oft ich euch beim Volleyball besuchen wollte, aber ich konnte es einfach nicht. Ich hatte Angst vor meinen Gefühlen, wenn ich dir nochmal gegenüberstehe. Und verdammt ja! Mein Herz knallt gerade fast schon schmerzhaft gegen meine Rippen. Ich habe wirklich versucht dich zu vergessen, aber egal was ich versucht habe, es half nichts. Und jetzt stehst du hier, komplett durchnässt und trotzdem so unglaublich attraktiv. Meine Gefühle sind keineswegs weniger geworden. Im Gegenteil, i-«

Mein Redefluss nahm ein abruptes Ende, als ich zwei weiche Lippen auf meinen spürte. Ich war viel zu überrumpelt, als irgendwie reagieren zu können, doch dann war der Kuss auch schon wieder vorbei. »Halt endlich deine verdammte Klappe, Semi-san«, flüsterte er nah an meinen Lippen.

Seine warme Stimme holte mich wieder aus meiner Starre. Ohne, dass ich wusste, was geschah, nahm ich Shirabus Gesicht in meine Hände und küsste ihn zurück. Dieser erwiderte den Kuss sofort und so kam es, dass wir unseren ersten Kuss miteinander im strömenden Regen genossen. Wie kitschig.

»Willst du noch mit zu mir? Da können wir dann in Ruhe reden«, schlug ich vorsichtig vor. Kenjirou nieste einmal und nickte dann schnell. Ohje, hoffentlich wird er nicht krank.

Ich zog meine Jacke aus und legte sie über seine Schultern.

»Wie ich sehe, hat sich dein schrecklicher Kleidungsstil kein Stück verändert«, stichelte der Jüngere und sah dabei angeekelt auf die Jacke.

»Irgendwann wirst du noch zugeben, wie cool meine Sachen sind!«

Werever you are - Suna x male OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt