ওKapitel 2 ✓

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"Wir freuen uns sehr, dass Eve wieder zurück ist!", verkündete meine Mathelehrerin feierlich und verzog ihre Pausbacken zu einem herzlichen Lächeln. Sie war eine nette Frau und vorallem mich konnte sie gut leiden, weil ich so ziemlich der einzige Mensch in ihrem Kurs war, der keine Probleme in ihrem Fach hatte. Aber auch mit allen anderen ging sie stets verständnisvoll und hilfsbereit um. Im Gegensatz dazu waren die Schülerinnen und Schüler jedoch nicht unbedingt freundlich zu ihr - vorallem Delly, die leider manchmal eine ganz schön große Klappe hatte.

Einmal hatte Mrs. Williams sie sogar darauf angesprochen und nach dem Grund für Dellys Unfreundlichkeit gefragt. "Ist etwas persönliches", hatte meine Schwester geantwortet. Verletzt hatte unsere Mathelehrerin sie angesehen, bevor sie ihre Aussage mit, "Oh, ich habe kein persönliches Problem mit ihnen, sondern mit Mathe", bereinigte.

"Klar ist sie froh, dass ich nicht tot bin. Sonst wäre der Notendurchschnitt dieses Kurses ja noch schlechter", flüsterte ich Delly zu und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Delly aber gab mir einen Klaps auf den Oberschenkel und ermahnte mich zischend:"Über sowas macht man keine Scherze."
Ich wusste ja, dass sie Recht hatte, aber ich wollte darüber scherzen. Die Alternative dazu wäre nämlich, es ernst zu nehmen und das wollte ich auf keinen Fall.
Denn in den wenigen Momenten, in denen ich ernsthaft über die Geschehnisse nachdachte, kamen sie mir ziemlich beängstigend vor.

"Ich weiß, tut mir leid",sagte ich dennoch zu meiner Schwester. So war es einfacher für sie.
"Schon okay". Sie lächelte mir zu.
Und in der nächsten Sekunde ging die Tür des Klassenzimmers auf.
Keine annähernden Schritte, kein Klopfen, keine Vorwarnung. Sie ging einfach auf.
Was ich sah, war faszinierend und verstörend zugleich.
Es war, als würde ich innerhalb einer Sekunde, alles, das Getuschel, die Stimme der Lehrerin, ausblenden und nur noch die Person, die durch diese Tür trat, scharfstellen.
Ich fühlte mich wie in einem schlechten Film und begann an meinem Verstand zu zweifeln.
Und ich war sicher, dass mir meine Kinnlade längst in den Schoß gefallen war.

"Es ist nicht nur so, dass Eve wieder da ist. Wir haben außerdem noch einen neuen Schüler", erklärte Mrs. Williams, meine Mathelehrerin.
"Ich bin Oliver", erklärte dieser mit einem Höflichkeitslächeln im Gesicht. Seine Stimme bereitete mir eine Gänsehaut.
Nicht nur das. Sie entfachte blanke Angst in mir. Die Sorte von Angst, die wie eine Ameisenarmee aus meinen Eingeweiden meinen Hals hochkrabbelte. Ich hatte das Gefühl jedes dieser Tausenden kleinen Ameisenfüßchen zu spüren und jeder dieser Schritte ließ meine Angst anschwellen.
Die schätzungsweise 2 Meter Körpergröße des Jungen strahlten Autorität aus und als er zu seinem Platz, dem Platz direkt hinter mir, schritt, schien es so, als würde schon jetzt all das hier ihm gehören. Er war noch schöner, als ich ihn in Erinnerung hatte und seine geradezu strahlende Erscheinung in diesem plumpen Klassenraum - Raum A243, der Raum mit der schief hängenden Uhr, dem durch Bottleflips zerstörten Lautsprecher und dem von der Wand abfallenden Putz - wirkte grotesk.

Er gehörte nicht hierher. Und doch setzte er sich.

Der Junge, den ich beim Sterben sah, setzte sich in meinen Mathekurs.

Und er schaute mich an.
"Du bist Eve, oder?", fragte er mit derselben melodischen Stimme, die er auch hatte, als er im Tod zu mir sprach. Es war definitiv er. Es bestand kein Zweifel. Jegliche Hoffnung dafür, dass ich ihn verwechselt hatte oder, dass er diesem einen Jungen bloß sehr ähnlich sah, waren klirrend, wie die Glasscheibe der Uhr - auch ein Opfer der Bottleflips - zerschellt. Ihn hätte ich unter Tausenden erkannt. Es war definitiv er. Kein Zweifel, keine Ausreden.
Das konnte doch nicht wahr sein, verdammt.

Ich nickte nur, unfähig zu antworten.
"Cool. Die Direktorin sagte, ich solle mich an dich halten. Unsere Stundenpläne sind wohl identisch." Unter seinen dichten Wimpern musterte er mein Gesicht.
Identisch? Das mache es nicht weniger gruselig.
Wieder nickte ich nur und beeilte mich anschließend, mich wieder zur Tafel umzudrehen.
Noch nie wünschte ich mir so sehr, Mrs. Williams würde endlich mit dem Unterricht anfangen und mich ablenkten. Auch, wenn ich bezweifelte, dass es etwas bringen würde.

Nach der Mathestunde verabschiedete ich mich von Delly.
"Du hast den heißen Typen bei dir. Ich wünschte wir könnten tauschen", flüsterte sie mir zu und zwinkerte grinsend.
Wenn sie nur wüsste.
Anschließend lief sie mit ihrem typischen Delly-Gang davon - Kinn hoch, Brust raus. Als würde sie ein Model sein wollen - und ließ mich mit dem »heißen Typen« allein.
"Wir haben jetzt Spanisch, oder?",fragte dieser und ich nickte.
Ich lief so plötzlich los gen Spanischraum, dass Oliver ein paar Sekunden brauchte, bis er mich wieder eingeholt hatte und wieder neben mir war.
Er lachte. "Du bist ja ganz schön schnell".
"Du bist ja ganz schön langsam", erwiderte ich und vermied dabei, ihn anzusehen.
Von dem Schock, den ich empfand, als ich zum ersten Mal in Echt sein Gesicht sah, brauchte ich wirklich keine Wiederholung. Die Anspannung, die ich noch immer in mir trug, reichte mir vollkommen.
"Wow, du kannst ja reden und nicht nur nicken."
"Und du kannst scheinbar nur reden und nicht ein einziges Mal schweigen."

Für meinen Geschmack sprach er gerade wirklich unerträglich viel. Obwohl ich das wahrscheinlich nicht so schlimm fände, wenn ich sein Gesicht heute tatsächlich zum ersten Mal gesehen hätte.
Im Grunde, wenn ich meine Vision von ihm außen vor ließ, war er ja nur ein neuer Schüler, der versuchte Freunde zu finden.
Ich seufzte. Was war nur los mit mir? Vermutlich drehte ich jetzt völlig durch... Ich meine: War das nicht lächerlich? Zu denken, dass er wissentlich mit meinem Tod in Verbindung stand? "Tut mir leid, dass ich so fies bin, aber...".
Ja, aber was? Aber ich habe dich in den 52 Sekunden gesehen, in denen ich tot war? Aber ich finde dein Erscheinen hier so verdammt beängstigend, dass es mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagt?
"Aber?",fragte auch er und zum ersten Mal sah ich ihn wieder an. Er musterte mich von der Seite und in seinen blauen Augen war nichts als Neugier zu lesen. Es waren keine Augen, die etwas zu verbergen hatten.

"Aber...kann es sein, dass wir uns schonmal irgendwo gesehen haben?"
Bevor ich mich davon abhalten konnte, war die Frage auch schon raus.

Fast bereute ich die Frage, wollte sie beinahe schon zurücknehmen und mit einem, "Ach egal, vergiss es", abwinken, doch dann geschah es. Nur für den Bruchteil einer Sekunde. Der Ausdruck in seinen Augen änderte sich und plötzlich stand dort Angst geschrieben. Nicht die Art von Angst, die blanke Panik, wie, wenn man in einem brennenden Haus ohne Fluchtweg gefangen war und der Rauch sich langsam in die Lunge bahnte.
Eher die Art von Angst, wie, wenn man als Kind ausversehen die Lieblingsvase seiner Mutter fallen ließ und Angst davor hatte, dass sie es sah - und da ich eine unmenschlich tollpatschige Schwester hatte, kannte ich diesen Blick sehr gut. Ich war quasi eine Expertin darin, ihn zu erkennen.

Oliver bekam sich schnell wieder unter Kontrolle und legte ein schiefes Grinsen auf. "Nicht, dass ich wüsste. Bedauerlicherweise."
Ich verdrehte die Augen. Egal, wie sehr er schleimte...Ich war mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob er wirklich nichts zu verbergen hatte. Im Gegenteil - Mein Misstrauen war größer denn je.

❝when the angel falls you're dead❞ || ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt