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Sarah

Ich öffnete meine Augen, als ich ein lautes Geprassel hörte. Ich sah auf meinen Fernseh, auf dem irgendeine Dauerwerbesendung lief und dann wanderte mein Blick zu meinem Dachfenster, auf das der Regen laut einschlug. Verdammt, ich war wirklich eingeschlafen. Ich setzte mich auf und fuhr über mein Gesicht, bevor ich mein Handy suchte.
Als ich es endlich unter meiner Decke fand, erschrack ich.
3 verpasste Anrufe und 50 Mitteilungen auf Instagram. Was war denn jetzt los? Es war halb 12 Uhr Nachts und mein Sperrbildschirm war voll mit Mitteilungen.
Ich entsperrte mein Handy und ging direkt auf Kais Chat. Die drei verpassten Anrufe kamen alle von ihm, außerdem hatte er mir zwei Nachrichten geschrieben. Eine um 21:00 Uhr, in der er mich fragte, ob wir telefonieren wollten, da er gerade mit seinen Eltern gesprochen hatte. Die zweite Nachricht war ein wenig später. Er fragte, ob alles gut sei und, dass er sich Sorgen machte. Und dann hatte er mich vor einer halben Stunde nochmals angerufen. Ich schrieb ihm schnell zurück, dass alles gut sei und er sich keine Sorgen machen sollte, bevor mich die Neugier überkam, was eigentlich auf meinem Instagram Account los war. Ich tippte auf die App und anschließend auf meine Benachrichtigungen.
Meine Augen weiteten sich, als ich 35 Abo-Anfragen und weitere 15 Nachrichten-Anfragen erkannte. Wieso bekam ich so viele Anfragen auf einmal und das auch noch auf meinem privaten Account?
Plötzlich durchfuhr mich die Erleuchtung und ich erschrak. Diese Leute wollten mir nicht folgen, weil ich innen zufälligerweise angezeigt wurde. Nein, diese Leute wussten Bescheid. Sie wussten von Kais und meiner Beziehung und jetzt hatten sie meinen Instagram Account gefunden und wollten ihn sehen.
Meine Vermutung bestätigte sich, als ich die Nachrichten, die mich erreicht hatten, überflog. Viele waren sogar überraschenderweise nett geimeint. "Es freut mich, dass du und Kai euch gefunden habt. Er ist echt ein klasse Kerl." , lautete eine. Doch es waren auch einige dabei, die einfach nur neugierig waren und fragten, ob es wirklich wahr war, was gerade in den Medien kursierte. Und dann gab es noch die dritte Art von Nachrichten. Ein paar wenige Nachrichten, die nicht gerade nett waren und mir ein Stirnrunzeln ins Gesicht legten. "Kai hat etwas besseres verdient. Du bist einfach nur abgehoben. Halt einfach die fresse und lass Kai jemandem, der genauso gut ist, wie er." Ohne, dass ich diese Person kannte, genauso wenig, wie diese Person mich kannte, fühlte ich mich angegriffen. Ich tippte auf den Namen der Nachricht und erkannte, dass es sich um ein junges Mädchen handelte. Ich verstand nicht, was dieses Mädchen sich dabei dachte, jemanden anzuschreiben, ohne diesen jemand zu kennen und diese Person zu beleidigen. Sie kannte ja weder mich, noch Kai. Sie wusste nicht, was wir für einander empfanden und wie glücklich wir miteinander sind. Außerdem wusste sie ja nicht einmal aus erster Hand, dass Kai und ich ein Paar waren. Es hätte genauso gut sein können, dass Prominent hier Fake News verteilt, wäre auch nicht das erste mal. Doch sie hatte sich dazu entschieden, ohne mit Sicherheit die Wahrheit zu wissen, mich zu beleidigen, weil sie ja wusste, dass ich nicht gut genug für Kai war. Was war mit diesem Mädchen los?
Auch die nächsten Nachrichten, die ich laß, gingen in diese Richtung. Alle behaupteten, ich sei nicht gut genug für Kai und würde ihn nicht verdienen, weil ich zu arrogant bin.
Machte ich wirklich den Eindruck? Empfanden die Leute mich als arrogant, nur von den Bildern, die sie gesehen haben? Diese paar Bilder, in denen ich mich von Kai verabschiedete, ihn umarmte und ihn wehmütig angelächelt hatte, warfen auf so viele Leute dieses Bild von mir. Sie fanden mich arrogant.
Was war, wenn ich wirklich für jeden, dem ich begegnete diesen Eindruck hinter ließ? Was würden Kais Eltern oder seine Geschwister von mir denken? Vielleicht hatten sie ja auch diese Bilder von uns gesehen und sich gedacht, dass ich arrogant und nicht gut genug für Kai war.
Es machte sich eine ungewohnte panik in mir breit und augenblicklich fühlte ich mich unwohl in meiner Haut.
Doch plötzlich hörte ich ein lautes Klopfen. Erschrocken sah ich mich um und erkannte, dass es von meiner Haustür kam. Wer war das denn jetzt? Ich erwartete normalerweise niemandem um halb 12, Nachts.
Langsam lief ich zur Tür, die ich glücklicherweise abgeschlossen hatte, und sah durch den kleinen Türspion. Mein Herz klopfte ein wenig zu schnell, doch ich konnte nichts erkennen. Wer stand da?
"Sarah? Bist du da? Alles gut bei dir?" , fragte plötzlich, die Stimme, die mir direkt wieder Schmetterlinge in den Bauch zauberte und gleichzeitig eine so große Erleichterung in mir auslöste, und das, obwohl die Stimme voller Sorge war.
Ohne zu zögern und auch, ohne nach zu denken, öffnete ich die Tür und sprang Kai fast in die Arme.
Sofort überkam mich das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Ich wusste nicht, dass ich diese Gefühle und seine Nähe so sehr gebraucht hatte, doch es war so. Ohne, dass ich etwas dagegen tun konnte oder es wollte, liefen mir Tränen über die Wangen. Ich wusste nicht, ob sie Tränen der Erleichterung waren, endlich Kai zu sehen, oder, ob ich es einfach nicht verkraftet hatte, diese Worte zu lesen, die mir so viele Leute geschrieben hatten. Doch diese stummen Tränen, von denen ich hoffte, Kai würde sie nicht bemerken, fühlten sich auf komischeweise gut an. Es war, als würde eine so starke Last von mir abfallen, einfach nur, weil ich endlich los ließ, meinen Emotionen freien Lauf ließ.
"Hey, hey. Was ist denn los?" , fragte Kai und wischte mir die Tränen von den Wangen, während er mein Gesicht anhob, sodass ich ihn ansehen musste. "Sarah, was ist passiert?"
Ich wandte den Blick ab und schüttelte den Kopf, während ich nochmals über meine Backe fuhr, um alle Tränen weg zu wischen. Ich löste mich aus seiner Umarmung, drehte mich um und lief in meine Wohnung, da ich wusste, Kai würde mir folgen. Glücklicherweise tat er genau das, schloss die Tür hinter sich und nahm neben mir auf meinem Sofa Platz. Kai nahm meine Hände in seine und sah mich durchdringend an, während er seine Frage wiederholte.
Ich hatte das Gefühl, meine Stimme noch nicht wiedergefunden zu haben, weshalb ich ihm einfach nur mein Handy mit den Instagram Nachrichten vor die Nase hielt. Es war für mich klar gewesen, dass ich ihm diese Nachrichten nicht verheimlichen würde. Sie lösten in mir ein unwohlsein aus und ich wusste, ich hoffte, Kai würde dies beiseite räumen. Ich konnte ihm das einfach nicht verheimlichen, nicht wenn ich wusste, dass sie mich weiter beschäftigen würden, was sie auf jeden Fall tun würden.
Mit einem Stirnrunzeln wandte er den Blick von meinem verweinten Gesicht und sah auf mein Handy, laß offenbar die Nachrichten, während er meine Hände beruhigend streichelte.
Seine Gesichtszüge veränderten sich sprunghaft, als er wahrscheinlich bei den nicht so netten Nachrichten ankam, die ich ebenfalls als letztes gelesen hatte. Er sah erst mein Handy mit wutverzerrtem Gesicht an und anschließend mich.
Eine Sekunde lang war sein Gesicht noch voller Wut, doch als er in meine Augen sah, war es plötzlich wieder liebevoll, fürsorglich und verständnisvoll. Wahrscheinlich auch, weil er bemerkt hatte, wie mir immer noch Tränen über die Wangen liefen. Egal, wie gut es sich angefühlt hatte, endlich los zulassen, diese Tränen könnten nun endlich aufhören. Ich wollte von ihm Ernst genommen werden, wollte mit ihm reden, wie eine Erwachsene. Doch meine Wangen blieben feucht und sie blieben auch feucht, als Kai vorsichtig mein Gesicht in seine Hände nahm und leichte Küsse in meinem Gesicht verteilte. "Du hörst doch nicht auf diese Leute, oder?" , sagte er und nach einer kurzen Pause, in der ich Schuldbewusst weg gesehen hatte, fügte er hinzu: "Du weißt doch, dass das nicht wahr ist." Doch es klang eher wie eine Frage. Und nach meinem weiterem Schweigen, wusste Kai auch schon die Antwort.
"Oh, Sarah. Du darfst nicht auf diese Leute hören. Die haben keine Ahnung und reden einfach alle nur blödsinn." Kai drückte meinen Kopf sachte gegen seine Schulter, was ich nur zu gern mit mir machen ließ. Kai streichelte über meinen Kopf und redete weiter vor sich hin, regte sich über diese Leute auf und entschuldigte sich immer und immer wieder. "Was ist mit den Leuten heutzutage eigentlich falsch? Also echt, sowas gehört verboten. Wir melden deren Nachrichten alle und vielleicht zeigen wir sie ja an und..."
Ich hörte ihm zu, schloss meine Augen und redete mir ein, dass er Recht hatte, dass er nicht bei mir sein würde, wenn es wahr wäre, was diese Leute sagten. Doch ich fühlte mich immer noch so verunsichert. Irgendwann waren meine Tränen vergossen und ich hatte das Gefüh, meine Stimme wieder gefunden zu haben. "Du musst dich nicht entschuldigen, Kai. Du kannst ja auch nichts dafür."
"Ja, aber..." , begann er, verstummte dann jedoch, wahrscheinlich, weil ihm kein Argument einfiel, was mich zum lachen brachte. Ich setzte mich auf und sah Kai zuerst amüsiert, dann aber doch ernst an, als er das Wort wieder ergriff. "Mach dir bitte keinen Kopf, okay? Diese Leute haben keine Ahnung. Ich habe alle für dich blockiert und wenn du nochmal so eine Nachricht kriegst, sagst du mir das, klar?"
"Es geht mir ja nichtmal darum, was irgendso ein kleines Mädchen über mich denkt."
"Was denn dann?" Kai sah mich mit einer Mischung aus Verwirrung und Sorge an.
"Ich frage mich nur, ob ich auf jeden diesen Eindruck mache." , beichtete ich schließlich, pure Verzweiflung in meiner Stimme zu hören.
Kai sah mich verständnislos an, sagte jedoch nichts, sondern wartete, bis ich es ihm erklärte.
"Diese Leute, die kennen mich nicht. Die wissen nicht, wie ich bin und doch haben alle den Eindruck, ich sei arrogant und nicht gut genug für dich. Entweder haben die sich alle abgesprochen, wie sie mich beleidigen oder es ist wahr. Es kann ja nicht sein, dass die alle aus Zufall sagen, dass ich arrogant bin. Vielleicht ist ja etwas dran und-" , ich konnte nicht ausreden, Kai unterbrach mich. "Diese Leute haben doch keine Ahnung. Wen interessiert es, was die denken? Keiner, wirklich keiner der dich kennt, findet dich arrogant, wieso sollte er auch."
"Aber was denken deine Eltern über mich? Deine Schwester, dein Bruder? Was ist, wenn ich genau diesen Eindruck auf sie habe und sie denken, ich bin nicht gut genug für dich?" Meine Stimme nahm an Verzweiflung immer mehr zu, während Kais Blick mich immer verständnisloser ansah. "Nein! Einfach nein, Sarah! Jetzt atme erstmal durch. Hörst du, was du da gerade sagst? Du redest vollkommenen Blödsinn!" Kai nahm mein Gesicht wieder in seine Hände, während er immer wieder den Kopf schüttelte, doch ich schüttelte seine Hände ab. "Nein, Kai. Ich mein das Ernst!"
"Glaubst du, ich nicht? Sarah du bist so ziemlich der liebenswürdigste und bodenständigste Mensch, den ich kenne. Wer dich arrogant nennt, hat wirklich keine Ahnung und niemand-" Er rückte noch ein wenig näher zu mir und sah mir noch ein wenig durchdringlicher in die Augen, falls das überhaupt irgendwie möglich war. "- wirklich niemand, denkt, dass du arrogant bist, bis auf die Leute, die einfach nur eifersüchtig sind."
Ich versuchte mein Lächeln zu unterdrücken, die Kais warmen Worte in mir ausgelöst hatten. "Eifersüchtig? Auf wen? Mich?"
Auch Kai musste lächeln. "Ja. Eifersüchtig, dass du so einen super tollen Freund hast." , sagte er mit gespielter Ernsthaftigkeit, woraufhin ich jetzt doch lachen musste.
"Ich weiß nicht, ob jemand auf so eine Labertasche eifersüchtig ist."
"Boah, du!" , sagte er entsetzt, woraufhin ich herzhaft lachen musste. Kai kitzelte mich am ganzen Körper, während ich ganz langsam, aber ganz sicher all diese Nachrichten für ein paar Stunden vergaß.

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