Kapitel 5

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Nachdem Askan ihre Satteltaschen aus dem Stall des kleinen Bauernhauses geholt hatte, in dem Zaira vor nicht einmal einer Stunde aufgewacht war, tauschte sie das zerrissene Baumwollhemd gegen ein frisches Oberteil. Das kaputte packte sie ein, um den Verband an ihrem Arm beizeiten erneuern zu können. Während sie sich ihre Stiefel und das Lederwams überstreifte - auf die Maskerade wollte sie von nun an verzichten -, erzählte der Hexer knapp, wie er sie hierhergebracht hatte. Sie könnte von Glück reden, dass das ältere Ehepaar, dem der kleine Hof mitten im Wald gehörte, sie beide samt den Tieren bereitwillig für die Nacht aufgenommen hatte. Angesichts der verletzten jungen Frau in seinen Armen hätte es jedoch nicht lange gezögert.

"Ah, da seid ihr ja. Schön, dass es dir wieder besser geht." Eine rüstige alte Frau in schlichtem Wollkleid trat auf sie zu, kaum dass Zaira und Askan die kleine Stube betreten hatten. Freundlich lächelnd bot sie ihnen einen Platz am leeren Tisch an und wuselte - für ihr Alter erstaunlich flink - in die Küche, um für sie etwas zu essen zu besorgen. Kurze Zeit später kam sie mit zwei dampfenden Schalen Eintopf in den Händen wieder zurück und stellte diese vor ihnen ab. "Fürchterliche Sache, dass dich dieser Wolf erwischt hat, Liebes. Gut, dass dein Cousin so schnell eingegriffen hat, das hätte wirklich böse enden können." Zaira warf ihrem "Cousin" von der Seite her einen kurzen, fragenden Blick zu, murmelte etwas Zustimmendes und bedankte sich dann für das Essen. Daraufhin verließ die Bäuerin den Raum, um nach den Ziegen zu sehen.

Schweigend aßen die beiden auf, dann räumte Zaira das leere Geschirr in die Küche. Als sie zurückkam, setzte sie sich wieder auf den Platz gegenüber ihrer neuen Begleitung und stützte das Kinn in die linke Hand. "Eines würde mich jetzt aber schon interessieren. Warum hilfst du mir eigentlich?" Der Angesprochene erwiderte ihren Blick, dann antwortete er ernst: "Irgendjemand sollte ein Auge auf dich haben." Sein linker Mundwinkel verzog sich zu einem schiefen Grinsen und er fügte hinzu: "Außerdem war ich lange genug alleine unterwegs, ein bisschen Abwechslung darf auch mal sein."

Während Askan das Gepäck zusammensammelte und die beiden Pferde zum Aufbruch bereit machte, suchte Zaira die liebenswürdige, alte Dame auf, um sich für die Hilfsbereitschaft erkenntlich zu zeigen. Sie drückte ihr ein paar ihrer Münzen in die runzlige Hand und wünschte ihr und ihrem Mann alles Gute. Zum Abschied erhielt sie dafür sogar noch einen kleinen Laib Brot, den sie Askan, der mit den Pferden vor dem Haus bereits auf sie wartete, erfreut präsentierte. Sorgfältig verstaute sie das Gebäck in einer ihrer Taschen. Anschließend half ihr der Hexer in den Sattel, da sie mit ihrer Verletzung Probleme hatte sich hochzuziehen, dann traten sie ihre gemeinsame Reise an.

Auf kürzestem Wege zur nächsten richtigen Straße folgten sie einem ausgetretenen Pfad durchs Unterholz, der gerade einmal breit genug für einen Reiter war. Das Wetter hatte sich über Nacht deutlich gebessert, sodass hie und da ein Sonnenstrahl durch das dichte Laubwerk fiel und das satte Grün des mit Moos überzogenen Waldbodens in ein warmes Licht tauchte. Das sanfte Plätschern eines Wasserlaufes war zu vernehmen und irgendwo im Geäst schrie ein Eichelhäher.

All das nahm Zaira nur am Rande wahr. Ihre Gliederschmerzen hatten sich zwar gänzlich gelegt und selbst das unangenehme Brennen der Schnittwunde an ihrem Arm war abgestumpft, dafür hatte sich jedoch das flaue Gefühl in ihrer Magengegend wieder eingestellt. Mit Mühe unterdrückte sie die aufsteigende Übelkeit und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Sie wollte sich nicht gleich zu Beginn der Reise als Last erweisen. "Übrigens, Milos ist nicht überempfindlich", warf sie Askan über die Schulter hinweg zu, um sich ein wenig abzulenken, "er mag nur keine Fremden." "Ist mir nicht entgangen", entgegnete der Hexer zynisch. Gestern hatte er mehrmals das Zeichen Axii anwenden müssen, um das scheuende Tier überhaupt einfangen zu können. Auch beim Aufzäumen zuvor hatte er sich dieses Hilfsmittels bedient. Aber das musste Zaira ja nicht unbedingt wissen. Schweigend setzten sie ihren Weg fort.

Erbe der Macht [The Witcher FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt