So viel Vergangenheit

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Nach einigen Stunden fand ich mich in einem veganen Bistro wieder. Ich hatte es ausgesucht, denn so konnte ich sicher gehen das mir Hanma nicht über den Weg lief. Schon komisch wie allergisch er auf gesundes Essen reagierte. "Ich wusste gar nicht das du Veganer bist.", hörte ich eine bekannte Stimme sagen, welche sich offensichtlich von hinten an mich heran geschlichen hatte. "Hallo Takemichi. Ich danke dir, das du dir die Zeit nimmst." Ungewohnt freundlich sprach ich zu ihm, zu mindest würde Hanma es so empfinden. Es war allerdings so, das ich seit dem ich wusste was Takemichi für mich tat, ich ein ganz anderes Bild von ihm hatte. Ich stand tief in seiner Schuld und nun musste ich ihm noch weiter ein Ohr abkauen.

"Ach, das mache ich gerne." Wie immer. Er war immer so ... so... so nett! Das fand ich manchmal schon etwas komisch, aber offensichtlich gab es solche Menschen, auch wenn ich das nicht ganz verstehen konnte. Denn ich selbst hüllte mich gerne in eine Aura aus Kälte und Distanz. Das war mein Schutzpanzer vor der Welt da draußen. Hanagaki hingegen schien keine Angst vor der Welt zu haben, weshalb er lieber immer freundlich und warmherzig war. Ich fragte mich warum er so furchtlos war? Oder war ich zu ängstlich?!

"Du wolltest mit mir reden. Was ist denn los?" Diese Besorgnis in seinen Augen. Machte er sich wirklich Sorgen um mich? Oder schlicht nur weil ich gefährlich war, wenn ich labil war? Wie viele alternative Zeitzonen hatte er schon besucht? Und wie war ich dort? Neigte ich zum austicken? Und wenn ja, warum lebte ich noch immer?! Wäre es dann nicht besser einen wie mich um zu bringen?! Aber das passte nicht zu ihm. Er war zu gut, zu nett. Verdammt. "Es geht um die Erinnerungen, die ich bekam, als du wieder in die Gegenwart zurück gekommen bist." "Ah, die Erinnerungen aus der anderen Zeit. Ja, das kann schon sehr bedrückend sein." "Dann geht es dir genauso?" Er lächelte warm. "Natürlich. Was glaubst du wen ich schon alles habe sterben sehen. Ich bin so oft in die Vergangenheit gereist, dass ich nicht mal mehr weiß wie oft. Ich habe Leben gerettet, und dafür tiefe Freundschaften verloren." "Du hast Freundschaften geopfert?" "Nicht direkt, aber sie sind nicht mehr so, wie in einen der anderen Zeitsprüngen. Zum Beispiel gab es mal eine Zeit, in der ich Chifuyu von meiner Fähigkeit erzählte. Er war sehr lange an meiner Seite, doch irgendwann konnte ich soweit zurück reisen um Baji zu retten, und als ich dann in der Gegenwart ankam waren Chifuyu und ich zwar Freunde, aber es war nicht so wie früher." Baji war also auch mal tot? Gott, wie viele Tote liefen hier herum? Wie oft ich wohl tot war?

Und dann kam mir ein anderer Gedanke: "Und wir? Waren wir auch mal Freunde?" Takemichi zuckte zusammen. Er schien kurz ganz blass zu werden und ich fragte mich warum. Hatte ich etwa einen Nerv getroffen? "Du musst nichts sagen, ist schon in Ordnung." Wieder schwiegen wir uns eine Weile an. Irgendwann räusperte sich Takemichi. "Dir geht es seit dem Zeitsprung nicht gut?" "Doch schon. Aber ich kann diese Erinnerungen nicht los werden. Hanma, wie er im Krankenbett lag, der Moment als sie die Geräte abstellten. Das Begräbnis, die Zeit danach und dann der Abend an dem ich Hina... das ganz Blut und dann..." Ich fing an zu zittern, Takemichi hatte es wohl bemerkt, denn er legte eine Hand auf meine. Ich spürte wie ich mich langsam sammelte, doch die Scham kam in mir hoch. Ich hatte gerade einen kleinen Zusammenbruch vor dem Kerl, den ich eigentlich nie leiden konnte. Als er mir dann auch noch eine Serviette reichte, wurde mir bewusst das ich mal wieder heulte. Das passierte so oft, viel zu oft.


Ich saß Kisaki gegenüber, ich beobachtete wie er zu zittern begann, mit jedem weiteren Wort wurde seine Stimme brüchiger, die Augen füllten sich mit Tränen und letztendlich kullerten die Ersten seine Wangen hinab.  Ich war beruhigt ihn so zu sehen. Es vermochte seltsam klingen, doch anhand seiner Reaktion auf das was er tat, konnte ich erkennen das ich richtig handelte. Es gab den guten Kisaki. Den, der einfach nur labil war und Stabilität benötigte um ein guter Mensch zu sein. Er war wie Mikey. Beide brauchten einfach einen Menschen in ihrem Leben der sie in der Spur hielt. Mikey hatte Senju und Kisaki seinen Hanma. Allerdings hatte die letzte Gegenwart mir auch gezeigt welch drastischen Wandel ein solcher Mensch durchmachen konnte, wenn er eine seiner wichtigsten Säulen verlor. Ja, es war wie bei Mikey. Sie beide rasteten aus und verloren das Gefühl und Recht und Unrecht.

"Diese Erinnerungen können einen ganz schön mitreißen. Und ja, auch ich muss immer wieder an Hinas Tode denken. Aber ich habe gelernt mich auf die schöne Gegenwart einlassen zu können. Und die Zeit zu genießen die ich mit ihr habe. Ich habe einfach gelernt wie schnell so etwas wie Glück verfliegen kann und umso mehr halte ich daran fest." Geschockt schaute mich Kisaki an. "Tode?!", fragte er leise und schien verwirrt. "Mach dir darüber keine Gedanken. Ich habe es gerichtet, und ich werde es immer wieder richten wenn einer der Menschen stirbt, die unter meinem Schutz stehen. Also denk daran: So lang ich lebe, werde ich dir immer deinen Hanma zurück bringen können, egal was kommt." Ob ich ihn damit beruhigen konnte? Zumindest weinte er nicht mehr, das beruhigte mich. Allerdings schaute er immer noch recht geschockt aus. "Ich werde nicht zu lassen das ihm noch einmal etwas passiert." Ich lächelte. Ein nobler Wunsch, doch wie sollte man das machen? Hanma wurde das letzte Mal von niemanden getötet, es war ein Unfall, ein fürchterlicher sogar. Ich konnte seit dem auch kein Auto mehr fahren, da ich mich immer an diesen Tag erinnerte. Ich wäre beinahe gestorben. Beinahe hätte ich nie wieder in die Zeitspringen können. Wäre ich gestorben, dann hätte ich auch nicht Hina zurück holen können, falls Kisaki sie dann auch getötet hätte. Ich darf nicht vor meinen Freunden sterben. Denn sonst kann ich keinen von ihnen helfen. "Ich müsste so langsam wieder los. Gibt es noch etwas, was du mit mir bereden möchtest?" "Nein. Ich danke dir fürs kommen." "Na, dann. Mann sieht sich.", sagte ich und stand bereits auf. "Takemichi!", hörte ich ihn noch sagen und ich blieb stehen. "Kann ich dich anrufen, wenn ich wieder ein bisschen durchdrehe?" Ich lächelte. "Natürlich. Ich habe immer ein offenes Ohr für dich."

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