.22 - Gefühlschaos

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„Findest du mich immer noch unwiderstehlich süß?"

Immer wieder kreiste seine Frage in meinem Hinterkopf wie ein nostalgisches Lied auf einer Schallplatte. Immer wieder wurde seine Frage abgespielt und fand kein Ende. Bis zu dem Zeitpunkt an dem meine Türklingel geläutet wurde. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern es wurde unentwegt geklingelt, was bei mir ein ungeheuerliches Seufzen auslöste.

Mit eilenden Schritten, damit dieses unerträgliche Klingeln bald ein Ende fand, lief ich zu der Haustür und schloss sie ohne einen Hintergedanken zu haben schwungvoll auf.

Bulut, in einem nicht wieder erkennbarem Zustand, erschien vor meinen Augen und hinter ihm, angelehnt an dem Türrahmen, die genervte Person von nebenan.

„Asli!", sagte er außer Puste und hielt sich am Türrahmen fest. Er sah ziemlich mitgenommen aus und hatte rote Augen, anscheinend von der gestrigen Nacht. „Asli, wo hast du gesteckt?!", fragte er schwach, meine Mimik jedoch verriet wie abweisend und kalt ich mich fühlte.

„Ich habe sie nach Hause gefahren, was eigentlich dein Job sei", platzte Yigit ins Wort, wobei Bulut sich schlagartig in seine Richtung drehte und ihn wie ein Feind ansah. Ich beäugte Yigit von der Seite, mit einem flehenden Blick, das kaum zu übersehen war.

„Stimmt das Asli?", fragte er mich und wendete sich wieder zu mir. Mein Körper zitterte aus Angst. Auch wenn ich verletzt  und zutiefst enttäuscht von ihm war, wollte ich ihn nicht länger in so einem Zustand sehen.

„Cemre hat mir auch gesagt, dass du mit ihm fortgegangen bist. Hast du denn kein Bisschen an uns gedacht? Du hättest Bescheid geben können!" Jedoch hielt ich es zwanghaft nicht mehr länger aus und platzte vor Wut. Etwas in mir krampfte sich zusammen und ungewollt zeigte ich ihm meine aggressive Ader.

„WIE DENN?!", fragte ich ihn diesmal auf hundertachtzig Grad und meine Flammen wurden erweckt. Meine Stimme hallte im ganzen Flur.

„Wie denn?!", fragte ich erneut und führte fort: „Mein Erinnerungsvermögen war alles andere außer kristallklar und ich kann mich verdammt nochmal an nichts erinnern. An rein gar nichts! Außer wie ich so schön mit euch in die Diskothek hereingestürmt bin und wie wir uns schön auf dem Couch bequem gemacht haben. Wie ich meinen ersten Schluck und die weiteren Tequilas getrunken habe. Und noch einige verschwommene Bilder auf dem ich mit Cemre auf der Tanzfläche getanzt habe. Aber an den Rest.. wie ich nach Hause gekommen bin, wer mich nach Hause gefahren hat, wann ich überhaupt nach Hause gebracht wurde, erinnere ich mich nicht. Verdammt noch mal, kein Bisschen! Und am Anfang hieß es, dass du als Schutz da sein wirst. Wo warst du Bulut? Du warst nicht mal in der Lage auf deinen eigenen Beinen aufrecht zu stehen und wolltest mich beschützen?! Verdammt noch Mal! Weißt du, was für ein Gefühl das ist? Nicht erinnern zu können, keinen deiner Freunden vertrauen zu können? Das Gefühl hintergangen sein? Das Gefühl verletzt und enttäuscht zu sein?"

Bei meinen letzten Sätzen fühlte ich mich niedergeschlagen, kraftlos. Wieder einmal, sachte ich auf meinen Knien und eine warme Träne kullerte über meine Wange entlang. Eine Träne aus Wut, Zerrissenheit und Reue. Und Selbstschuld.

„Asli", ertönte Buluts zurückhaltende Stimme und ging auf die Hocke. Er wollte mich umarmen, jedoch baute ich eine Mauer zwischen uns auf. „Nicht! Fass mich nicht an Bulut, ich brauche Zeit. Zeit zum Nachdenken." Ausnahmsweise hielt er sich zurück und zog seine frei gestreckten Hände ein.

„Als Cemre gesagt hatte, dass du mit ihm, mit diesem Idiot gegangen bist, wurde ich wütend und trank aus Wut, statt ins Auto zu flitzen und zu dir zu fahren. Erst später, nach einem vierstündigen Schlaf, kam mir in den Sinn, dass du deine Schlüssel gar nicht bei dir hattest, denn deine Tasche war bei mir im Auto. Es tut mir leid, Asli. Dich zu verletzten wäre das Letzte, was ich jemals gewollt hätte. Ich weiß, dass ich es mit einer oder mit tausend Entschuldigungen es nicht gut machen kann, denn ich kenne dich. Auch wenn du mir eines Tages verzeihen solltest, wirst du das Geschehen nicht vergessen, nicht vergessen können und dies wird mich töten. Denn ich kann das nicht ertragen, dir so nah zu sein, aber dennoch unerreichbar zu sein."

Nicht ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt