Kapitel 4

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CARLA

Als es dunkel war, war es soweit. Ich würde meine Gabe bekommen. Ich stand unsicher an der Haustür und sah zu der leuchtenden Tür hoch, an der meine Familie auf mich wartete. Der Rest des Dorfes hatte eine kleine Gasse gebildet, durch die ich nach oben gehen sollte, aber ich traute mich nicht. Ich hatte auf einmal zu große Angst, dass doch etwas schiefgehen könnte und meine Beine wollten sich einfach nicht bewegen. Nervös spielte ich mit meinen Händen und machte einen kleinen Schritt zurück, aber Casita stellte mich sofort in ihr Scheinwerferlicht und schob mich mit ihren Ziegeln wieder einen Schritt nach vorne. Ich wollte aber nicht gehen, ich konnte das nicht. Ich wollte mich nicht blamieren. Ich sah mich hilfesuchend nach jemandem um, der mir helfen konnte, aber da war niemand. Meine Eltern standen zu weit weg, nach ihnen konnte ich nicht rufen, aber einfach jemand aus dem Dorf zu nehmen, ging auch nicht. Ich drehte den Kopf und entdeckte dann Amigo in einer Ecke. Ich streckte meine Hand nach ihm aus.
"Hilf mir, Amigo", flüsterte ich leise, worauf die kleine Ratte zu mir gehüpft kam, um auf meine Schulter zu klettern. Jetzt fühlte ich mich schon ein wenig besser und mutiger. Einige Bewohner murmelten kurz, aber als ich meine Eltern ansah, lächelten Mamá und Papá und redeten leise miteinander. Sie waren mir also nicht böse, dass ich Amigo zu Hilfe genommen hatte. Casita schob mich wieder etwas nach vorne, also ging ich schließlich auf die Treppe zu. Unsicher und nervös lief ich die Treppen hinauf und knetete meine Hände. Als ich oben ankam, lächelten Mamá und Papá mich an, während Papá mir Amigo abnahm. Abuela hielt mir die Kerze hin, die ich sanft berührte. Sie nickte, also ging ich auf die leuchtende Tür zu und berührte den goldenen Türknauf. Die Tür leuchtete grell auf, bevor sich darauf ein Bild abzeichnete. Ich war darauf zu sehen, wie ich mir die Finger an den Kopf hielt und kleine Wellen von meinem Kopf abgingen. Ich hatte eine Gabe! Nur was sollte dieses Bild bedeuten? Was für eine Gabe hatte ich denn?
Hoffentlich hat es geklappt!
Ich sah Mamá an.
"Ja, Mamá, es hat geklappt! Ich hab ein Bild!", antwortete ich ihr, worauf sie mich verwirrt ansah.
"Ich hab gar nichts gesagt, Carlita", wandte sie perplex ein.
"Doch, hast du! Ich hab dich doch gehört! Du hast gehofft, dass es geklappt hat!", widersprach ich ihr, worauf sie Papá ansah.
"Carlita, amor, das habe ich aber nicht gesagt. Ich hab es gedacht!", wandte sie ein, worauf ich sie ansah und dann grinste. Ich konnte Gedanken lesen!
"Ich kann Gedanken lesen!", rief ich aufgeregt, worauf Abuela zufrieden lächelte.
"Wir haben eine neue Gabe! Die Magie ist stark!", rief sie in die Menge, worauf diese zu jubeln begann. Mamá und Papá umarmten mich stolz und gaben mir jeweils einen Kus auf die Wange. Papá hob mich hoch und wirbelte mich herum, worauf ich lachen musste.
"Ich hab doch gesagt, dass du es kannst, mi vida! Du bist ein Wunder! UNSER Wunder!", sagte er stolz und drücke mich an sich, Mamá schloss sich der Umarmung an. Die Menge wurde plötzlich unglaublich laut, alle begannen gleichzeitig zu denken, worauf ich die Augen schloss. Mir bereitete das viele Denken und die vielen Stimmen Kopfschmerzen, weswegen ich mir die Ohren zuhielt und meinen Kopf an Papás Schulter vergrub. Er schien zu bemerken, dass etwas nicht stimmte, denn er sah mich besorgt an. "Was ist los, Carlita?"
"Ich hab Kopfweh, alle denken so laut!", antwortete ich und drückte meinen Kopf an seine Brust.
"Kannst du versuchen, die Gedanken zu ignorieren?", fragte Mamá nach und strich mir über den Rücken. Ich versuchte mich zu konzentrieren und die Gedanken der anderen leiser zu stellen und nach einigen Versuchen klappte es sogar. Ich sah Mamá an.
"Ja, es geht", antwortete ich, worauf sie mich anlächelte.
"Sehr gut, mi vida." Sie gab mir einen Kuss auf die Wange, während Papá mich wieder runterließ. Ich sah mich um und konzentrierte mich auf Abuela Alma, um zu hören, was sie von meiner Gabe dachte.
Die Magie ist stark, Carla hat es bewiesen. Und sie wird dieser Gemeinde bestimmt sehr helfen können.
"Hey, amor, hast du gerade etwas gehört?", fragte Papá und kniete sich vor mich, um mich ansehen zu können.
"Ja, wieso? Ich wollte wissen, was Abuela von meiner Gabe denkt!", antwortete ich ihm.
"Deine Augen haben grün geleuchtet", erwiderte er. "Es sieht so aus, als würden deine Augen grün leuchten, wenn du deine Gabe benutzt - so wie bei mir." Ich lächelte.
"Das ist doch toll!", freute ich mich und hüpfte aufgeregt auf und ab. Meine Eltern lachten.
"Ja, das ist es", gab Mamá zu, als Abuela Ines zu uns kam.
"Carlita, mi vida, ich bin so stolz auf dich! Du hast es geschafft und wirst diesem Dorf sehr helfen!", sagte sie stolz und drückte mich an sich, ich lachte und umarmte sie auch.
"Danke, Abuela!", erwiderte ich, während sie mich wieder losließ und mir ein kleines Geschenk hinhielt.
"Hier, mi vida, ich hab dir etwas mitgebracht. Das habe ich dir machen lassen, ich hoffe, dass es dir gefällt", sagte sie, worauf ich ihr das Geschenk abnahm und es aufgeregt aufriss. Was konnte es wohl sein? Ich öffnete das kleine Paket und hielt wenig später eine kleine silberne Kette in der Hand, an der zwei kleine Buchstaben hingen - ein C und ein M. Ich lächelte Abuela an.
"Danke, Abuela! Die Kette ist wunderschön!", bedankte ich mich begeistert. "Kannst du sie mir anziehen?" Sie lächelte.
"Natürlich, komm her", stimmte sie zu und strich mir meine Haare zur Seite, um mir die Kette anzuziehen. Sobald ich das kühle Silber auf der Haut spürte, sah ich mir die Kette noch einmal an. Sie war wirklich toll.
"Danke, Abuela! Das ist das tollste Geschenk, das ich je bekommen habe!", sagte ich und lächelte sie an, bevor ich ihr einen Kuss auf die Wange gab. "Die muss ich gleich Isa, Dolores und Luisa zeigen!" Damit rannte ich zu meinen Cousinen, um ihnen meine neue Kette zu zeigen. Ich fand sie unglaublich toll, jeder musste sie sehen! Gerade als ich Isa die Kette zeigen wollte, hörte ich Mamás Stimme.
Was? Das kann nicht sein! Wieso ist er hier? Das darf nicht sein!
Sie klang aufgeregt. Was war los? Wer war hier, der nicht hier sein sollte? Alle durften doch heute hier sein! Ich sah mich verwirrt um und suchte die Menge nach Mamá ab, konnte sie aber nicht sehen. Nicht einmal Papá konnte ich sehen. Wo waren die beiden hin? Ich sah mich immer wieder um, konnte sie aber nicht sehen. Was war los? Wieso klang Mamá so aufgeregt? Was passierte hier? Und wo war sie mit Papá hin?

Ich brauche dich, Bruno 2 - Die Macht der FamilieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt