OdetteNervös lasse ich mich auf die Sitzgelegenheit fallen und streiche mir die blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, die mir unnötigerweise die Sicht einschränkt. ⋙Dein Bruder hat dich geschickt. ⋘, höre ich die Stimme des Mannes, der es sich vor mir auf dem Sessel bequem gemacht hat. Statt ihm zu antworten, nicke ich mit dem Kopf und knacke meine Fingerknöchel. Ich spüre seine Blicke, die mich prüfend anschauen, allerdings ist mein Blick starr auf meine Finger fokussiert. ⋙Hatten wir das Thema nicht bereits? ⋘, wir hatten dieses Thema bereits, ich weiß. Doch ich habe mich nicht dazu bekommen, aufzuhören mit dem Knacken meiner Fingerknöchel.
⋙Ja. ⋘, antworte ich kleinlaut und ziehe meine Unterlippe zwischen meine Zähne. Innerlich verfluche ich Corentin, weil er mich in diese Situation gesteckt hat. ⋙Dein Bruder hat mir auch gesagt, dass du wieder unter Albträumen leidest. ⋘, sagt er, woraufhin ich zucke, was er höchstwahrscheinlich unter seinem wachsamen Blick gesehen hat.
Tränen treten auf, als ich an meinen Traum letzter Nacht zurückdenke. Es ist schrecklich gewesen. Überall Blut, Schmerz, Schreie, die mich bis in meine Träume zurückverfolgen. Ein Schluchzen entkommt mir, die heißen Tränen laufen mir über die Wange und landen auf meinen Handrücken. Es ist schrecklich, die Träume fressen sich in jede Ecke meines Gehirnes, geben mir keine Chance es zu verarbeiten. Die Stimmen, sie verfolgen mich Tag und Nacht. Lassen mich kaum zu Ruhe kommen.
⋙Mir geht es gut! ⋘, versuche ich zu sagen, allerdings werden die Worte von meinen Schluchzern in Keim erstickt. Mir geht es nicht gut. Mir geht es schrecklich. Innerlich zerreiße ich jeden Tag ein Stück mehr und trotzdem möchte ich die Hilfe nicht akzeptieren. Ein Seufzen ertönt, ehe es für einen Augenblick raschelt. Ich hebe den Blick von meinen Händen und schaue schnurstracks in die Augen des Mannes, der mir bei meinen Problemen helfen soll. Er rückt die Brille auf seiner Nase zurecht und schaut mich mit einem wissenden Blick an, der mich schwer schlucken lässt. ⋙Du kannst nichts für den Tod deiner Eltern und das weißt du. ⋘, während er das sagt, klingt er so ruhig, als würde er darüber sprechen, was er zum Mittag essen möchte.
Schniefend wische ich mir die Tränen weg. ⋙Ich konnte etwas dagegen unternehmen. ⋘, murmle ich und spüre das schmerzende stechen in meinem Kopf,was mich umzubringen scheint. ⋙Du hast etwas dagegen zu unternehmen versucht, wenn ich dich daran erinnern darf. ⋘, korrigiert er und notiert etwas, was mich starr werden lässt.
⋙Du weißt, dass du dich nic...ht für d..en To..d deiner El...ern ve...rant..wortlic...hen musst. ⋘, höre ich ihn sagen. Jedoch erreicht es mich nicht ganz. Es klingt so rauschend, als würde etwas dafür sorgen, dass ich ihn nicht hören soll. ⋙N..mm...st du de..ine ...b...let...te..n, Odet..te? ⋘, ich höre ihn nicht ganz. Es hört sich alles so rauschend an, als wäre ich gefangen im Ozean und jemand würde versuchen, durch das Wasser mit mir zu sprechen.
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Siehst du, Odette? Das kommt davon, wenn du nicht auf mich hörst.
Verschwinde von hier, sie wollen dir nichts Gutes.
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Ein Schrei entkommt meiner Kehle und ich schlage mir die Hände auf die Ohren, um bloß nichts mehr zu hören. In meinem Bauch murrt es, Übelkeit steigt auf. ⋙Odette! ⋘, ruft eine Stimme nach mir und reißt mir die Arme von meinen Ohren, die ich mir versucht habe, zuzuhalten. ⋙Komm zu dir, Odette! ⋘
⋙Du hast dein Bestes gegeben! Du hast versucht, deine Eltern auseinanderzubringen! ⋘, ruft die Stimme mit einer Sanftheit, dass es meinen schnellen Herzschlag etwas zu beruhigen scheint. ⋙Nein! ⋘, auch wenn sie mir versuchen einzureden, dass ich keine Schuld habe, trage ich dennoch die Schuld.
⋙Ich möchte zu Corentín! ⋘, schluchze ich und strample mit meinen Füßen, damit der Psychologe sich von mir entfernt. Ich möchte nicht, dass er mich anfasst. ⋙Er ist nicht da! ⋘, lüge! Er ist da! Sie sollen mir Corentín bringen! ⋙Er ist da! Rufen Sie ihn an! ⋘, brülle ich und reiße mich von ihm los. Mein Atem geht hektisch voran. Ängstlich presse ich mich gegen die Rücklehne des Sessels. Traurig blitzen seine Augen auf, ehe er sich seufzend erhebt und sich auf seinen Sessel zubewegt und darauf Platz nimmt.
⋙Dein Vater wollte deine Mutter umbringen, weil sie mit dir abhauen wollte. ⋘, fängt er an zu erzählen, als er aus seinem Klemmbrett Blätter rausholt und mir etwas daraus vorliest. ⋙Als Dein Vater auf deine Mutter einstechen wollte, hast du dich vor sie gestellt und das Messer abgefangen. Dein Vater hat dich abgestochen, Odette. ⋘, er schaut mir tief in die Augen, ehe er sein Bein über das andere Bein überschlägt und sich räuspernd wieder zu den Papieren wendet. ⋙Deine Mutter hat die Blutung versucht zu stoppen, sodass sie abgelenkt wurde und dein Vater ihr das Messer seitlich in ihr Hals rammen konnte. ⋘, erzählt er weiter. Alles fühlt sich surreal an, es sind viel zu viele Informationen auf einmal. Meine Tränen laufen schon lange nicht mehr.
⋙Deine Mutter starb kurz daraufhin. Todesgrund: Verblutet. Als dein Vater gesehen hat, dass deine Mutter sich nicht mehr bewegt, verfiel er in Panik. Er hat sich mit demselben Messer die Kehle aufgeschnitten und starb genau wie deine Mutter an einer Verblutung. ⋘, keuchend greife ich nach den Armlehnen des Sessels und kralle meine Nägel in sie.
⋙Du hast dir alles mitansehen müssen und leidest seitdem an Schuldgefühlen, weil deine Mutter deine Blutung versucht hat zu stoppen und aufgrund dessen das Messer nicht kommen sehen hat. ⋘, beendet er die Erzählung, die mich stocksteif zurücklässt.OhOh...! 👀
Wie es wohl weitergeht? 😏Ich hatte eigentlich einen leseabend mit 3 Kapiteln geplant! Aber das würde sich nicht lohnen!
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Me+You = Transparenz
Short StoryABGESCHLOSSEN| Er befreite seine kleine Schwester aus den Fängen ihrer Eltern. Zusammen leben sie in einer kleinen Wohnung, in einer nicht gerade beachtlicher Gegend, obwohl ihr Bruder genug verdiente, um sie in ein schickes Apartment umzusiedeln...