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Odette

Ich möchte zu meinem Bruder! ⋘, knurre ich wütend und erhebe mich von meinem Sessel. Seine Augen verfolgen jede meiner Schritte, ehe er sich seufzend seinen Nasenrücken massiert. ⋙Setz dich hin, Odette. ⋘, befiehlt er mir, während er mir dabei noch nicht einmal in die verdammten Augen schaut. 
Nein! Rufen Sie meinen Bruder an! Er hat gesagt, falls etwas sein sollte, solle ich ihn anrufen! ⋘, zische ich wie eine wild gewordene Furie, die sich in die Enge getrieben fühlt. Der Psychologe schaut über seine Finger, die auf seinem Nasenrücken verweilen, hinweg in meine Augen und plötzlich, plötzlich trifft mich eine Erkenntnis, die ich seit drei Jahren versuche zu verdrängen. ⋙Du kannst dich erinnern. ⋘, sagt der Psychologe plötzlich mit solch einer sanften Stimme, die mich an den Rand der Verzweiflung treibt. Nein, ich möchte mich nicht daran erinnern. Ich will das nicht und kann das nicht. 
Meine Augen fangen an zu brennen und es gibt kein Stopp für meine Tränen, die mir über die Wange laufen und auf den dunkeln Laminatboden tropfen. ⋙Halten sie den Mund! ⋘, fauche ich und kralle meine Hände in meine Haare. Panik macht sich in mir breit. Tief atme ich ein, immer und immer wieder. Doch das scheint nichts zu bringen, denn bei jeder vergehenden Sekunde wird mein Atem nur hektischer.
Setz dich hin. ⋘, höre ich den Psychologen sagen, allerdings möchte ich mich nicht setzen. Ich möchte aus diesem verdammten, engen Raum fliehen. In die Arme meines Bruders fliehen, die sich schützend um mich legen werden. ⋙Nein! ⋘, versuche ich zu sagen, jedoch ertönt nur ein jämmerliches Japsen, gemischt mit meinen Schluchzern.  Schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen. Mir ist speiübel, am liebsten würde ich meinen Mageninhalt leeren, doch mein jämmerliches Japsen nach Sauerstoff lässt es nicht zu. ⋙Beruhig dich, Odette! ⋘, ruft wieder diese Stimme, die so nah ist und doch so weit entfernt. Es ist, als hätte sich ein Tuch über mich gelegt.
Zwei Hände packen mich an meinen Schultern und lassen mich erschrocken zusammenzucken. Panisch schaue ich durch den Raum, versuche auszumachen, wer mich an den Schultern gepackt hat. 
Tief ein und ausatmen! ⋘, meine Augen huschen zu dem Psychologen, der anscheinend derjenige ist, der mich an meinen Schultern gepackt hat und mit mir nun Atemübungen ausübt.  Meine Augen schwanken hin und her, sind beinahe panisch und können sich nicht auf seine Augen konzentrieren. ⋙Tief ein und aus. ⋘, wiederholt er und diesmal tue ich es ihm gleich. Ich atme tief ein und aus.  Die Spannung in meinem Brustkorb löst sich langsam bei jedem Atemzug, den ich tätige.
Ich schaue ihm von dem einen Auge in das andere. Alles ist gut, alles WIRD gut. Mein Bruder ist nur ein Anruf entfernt. Ein Anruf und die Sitzung sind für beendet erklärt. Ich muss das nicht mitmachen. Nur ein Anruf es ist vorbei. 
Gehts wieder? ⋘, fragend schaut er mir in die Augen. Ob es wieder geht? Nein! Gar nichts geht wieder! Ich möchte die Sitzung nur hinter mich bringen, doch ich nicke schwach mit dem Kopf, um keinen unnötigen Aufstand zu machen. Sanft drückt er mich an meinen Schultern zurück auf den Sessel und wendet sich ein erneutes Mal von mir ab, um es sich auf seinem eigenen Sessel bequem zu machen. ⋙Ich frag dich dies jetzt noch einmal, Odette. ⋘  Ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch und schaue ihn auffordernd an. Was wollte er mich fragen? ⋙Nimmst du deine Tabletten regelmäßig ein? ⋘, mit einem prüfenden Blick schaut er mich an, was mein Herz in die Hose rutschen lässt. Schweiß macht sich in meinem Nacken breit, mir wird mit einem Schlag eiskalt, dass ich am liebsten die Heizungen auf die höchste Stufe drehen möchte. ⋙j-ja, ich nehme meine Tabletten, wieso? ⋘, antworte ich stotternd und habe mich beinahe an meinem eigenen Speichel verschluckt. ⋙Das ist dann wohl ein nein. ⋘, erwidert er stattdessen und seufzt traurig, woraufhin ich die Augenbraue nervös hochziehe. Erneut ertönt das kratzige Geräusch, als er mit der Kugel des Kugelschreibers etwas notiert.
Der Mann hat in dieser Sitzung öfters geseufzt, als Corentín am Morgen, wenn ich mal wieder nicht Frühstücken möchte. Bedeutet das denn etwas Gutes oder Schlechtes? ⋙Ich möchte zu Corentín... ⋘, murmle ich leise und spiele mit dem Saum meines Kleides. 
Ich schaue in diese Augen, die mit einem Mal traurig aufblitzen, was mein Herz flattern lässt. ⋙Odette. ⋘ 
Ich schaue ihn fragend an, während ich mein Kopf seitlich anlege.
Dein Bruder ist bereits seit 3 Jahren Tod. ⋘, bedauernd schaut er auf den Boden und zieht sich die Brille von der Nase. Mein Herz setzt mit einem Mal aus, ehe es kräftig gegen meine Rippen schlägt, um mir aus der Brust zu springen. ⋙Nein, sie lügen. ⋘, flüstere ich und verdränge die Ereignisse, die vor drei Jahren stattgefunden haben.
Odette, dein Bruder, starb mit seiner Freundin in einem Autounfall. Hör auf die Ereignisse zu verdrängen.

Der Hase ist aus dem Sack✨Nicht mehr lange und auch die Kurzgeschichte findet ihr Ende ✨

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Der Hase ist aus dem Sack
Nicht mehr lange und auch die Kurzgeschichte findet ihr Ende

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