Gemeinsam schauen sie durch das kleine Fenster in Odettes Patientenzimmer, diesen sie seit zwei Jahren kaum verlassen hatte. ⋙Noch so jung und doch solch eine zerbrochene Seele. ⋘, kläglich schüttelt der Psychiater seinen Kopf und schaut erneut zu Odette, die ihren Rücken zur Tür gewandt hat und durch das Fenster schaut.
⋙Es ist egal, wie Jung oder Alt ein Mensch ist. Wenn es dich einmal bricht, braucht es seine Zeit, um wieder zu heilen. Und doch werden die Narben zu sehen sein. Nicht auf den ersten Blick, doch desto länger du darauf schaust, desto deutlicher erkennst du die Rückstände der Vergangenheit. ⋘, erklärt der Psychologe von Odette, woraufhin der Psychiater zustimmend mit dem Kopf nickt und die Arme hinter seinem Rücken verschränkt.
⋙Hat sie erneut ihren Bruder gesehen? ⋘, fragte der Psychiater den Psychologen, der bestätigend brummt und seinen Blick auf sein Klemmbrett senkt. ⋙Diesmal ist es allerdings anders gewesen. ⋘, fügt er zu seinem Brummen hinzu, weshalb der Psychiater irritiert die Augenbrauen kräuselt und seinen Kopf zu Doktor Chevalier dreht. ⋙Wie meinen sie das Doktor? ⋘, fragend hat er seinen Blick auf Chevalier gerichtet, der nun endlich seinen Blick vom Klemmbrett erhebt. Die Lippen zu einer schmalen Linie gepresst, als würden ihm die nächsten Worte schwerfallen.
⋙Sie hat gedacht, sie würde mit ihrem Bruder zusammenleben, dass sie auf eine Ballettschule gehen würde. Selbst die Liebe, die sie für ihren verstorbenen Bruder verspürt, ist heftiger gewesen. ⋘, jedes einzelne Wort fiel dem Psychologen schwer, denn er ist seit Anfang an dabei. Seitdem Tod ihres Bruders kennt der Psychologe Odette.
Es ist kein Geheimnis, dass der Bruder damals auf Odette stand und sie auf ihn gestanden hat und es immer noch tut. Doch Odette hatte dem Psychologen gebeichtet, dass ihr Bruder das nicht machen konnte, weshalb er in eine Beziehung einging, um den Gefühlen zu entkommen, die er für seine kleine Schwester verspürte.
Der Psychiater an Doktor Chevaliers Seite schüttelt enttäuschend seinen Kopf. Ein Zeichen seines Versagens. ⋙Ich werde die Dosierung wieder erhöhen. ⋘, fest entschlossen darüber die Dosierung ihrer Tabletten zu erhöhen, schauen sie gemeinsam zu Odette, die lächelnd aus dem Fenster schaut.
Ihr goldblondes Haar wird von den Sonnenstrahlen liebkostet, die durch das Fenster auf ihr Bett scheint, worauf sie sitzt und hinausschaut. Hinaus in die Freiheit blickt, die ihr verweigert wird.
Tränen glänzen auf ihrer Wange, doch das Lächeln bleibt auf ihren Lippen. Ihr Brilliant blauen Augen haben jeglichen Glanz verloren. Sie wirken so matt und leer, doch Doktor Chevalier weiß es besser. Denn er hat ihre Augen strahlen sehen, als sie dachte, ihr Bruder würde inmitten seines Büros stehen.
⋙Auf wie viel werden sie die Dosierung erhöhen? ⋘, seine Augen haften an der Schönheit mit der gebrochenen Seele. ⋙Wir fangen wieder mit zehn mg an. Anscheinend reichen die vier mg nicht aus, so wie wir es gedacht haben. ⋘, erklärt der Psychiater und schaut wieder zu Odette, die sich nun vom Bett erhoben hat und die zwei Schritte zum Fenster läuft.
Ein enttäuschtes Gefühl macht sich in der Brust von Doktor Chevalier breit, als er wieder das Strahlen in Odettes Augen sieht, die vor einigen Minuten noch so leer und trostlos gewirkt haben. ⋙Sie verfällt jeden Augenblick in ihr altes Muster zurück. ⋘, warnt der Psychologe den Psychiater, der das Geschehen mit wachsamen Augen verfolgt.
Odettes Hände legen sich auf die Fensterscheibe, ehe sie ihren Kopf seitlich anlegt und hinaufschaut, als würde sie eine Person anschauen, die größer ist als sie. Odettes Lippen bewegen sich kaum merklich, als hätte sie was sagen wollen, aber es sich in letzter Sekunde anders überlegt haben. Doch Doktor Chevalier weiß ganz genau, was über ihre Lippen gekommen ist. Sie hat den Namen ihres Bruders gehaucht.
Seufzend schütteln beide Ärzte den Kopf, ehe sie sich vom kleinen Beobachtungsfenster entfernen, die einen Einblick in das Patientenzimmer von Odette erhaschen lassen. Zusammen laufen die Ärzte auf dem Gang der Psychiatrie in ihre jeweiligen Büros. ⋙Die Behandlung der neuen Dosis wird schon morgen früh starten. ⋘, erzählt der Psychiater, woraufhin Odettes Psychologe mit dem Kopf einverstanden nickt. Sie können Odettes Kichern wahrnehmen, der von den Wänden der Psychiatrie weitergetragen wird, ehe sie in ihre jeweiligen Büros verschwinden und die Tür hinter sich schließen.Ende der Geschichte!
Me+You hat solch ein Ende gefunden! Danke fürs lesen!✨Ich bin gespannt, ob ich einige Leser bei meinen anderen Geschichten wieder sehen werde!✨
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Me+You = Transparenz
Short StoryABGESCHLOSSEN| Er befreite seine kleine Schwester aus den Fängen ihrer Eltern. Zusammen leben sie in einer kleinen Wohnung, in einer nicht gerade beachtlicher Gegend, obwohl ihr Bruder genug verdiente, um sie in ein schickes Apartment umzusiedeln...