Old Money

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„Ich weiß auch nicht. Mein letztes Seminar war ziemlich dröge", seufzt meine beste Freundin am Telefon.
„Dein Prof sieht schon noch, wie intelligent du bist. Keine Angst", versuche ich sie aufzumuntern, während ich das Kabel des braunen Telefons um meinen Finger Wickel. Sie studiert Jura und beschwert sich nach jeder neuen Vorlesung. Sie ist unheimlich still, aber sehr klug, belesen und versteht Zusammenhänge sehr schnell. Sie schreibt immer die besten Klausuren und ihre Facharbeiten und Essays lesen sich wie die interessantesten Fachbücher der Welt. Ich lese die fertigen Arbeiten meistens nach Fehlern durch, da ich eine große Freude an Sprachen habe, und mir das schon immer lag.
„Ich fühle mich wie eine absolute Versagerin. Komm bitte und muntere mich auf", jammert sie, ich kann ihren Gesichtsausdruck förmlich vor mir sehen. Wir kennen uns schon Ewigkeiten, sie weiß, dass sie mich immer irgendwie überredet bekommt, und ich weiß das auch. Gerade deswegen mache ich mir nicht mehr die Mühe und gebe einfach gleich nach.
Natürlich darf ich um die Uhrzeit nicht mehr raus. Ein Wochentag, 09:30 Uhr. Meine Eltern sind sehr streng, und haben bis ich 16 geworden bin, jeden Tag um 09:00 Uhr kontrolliert, ob ich schlafend im Bett liege. Ich hatte ihre Masche aber schnell durchschaut, mich stets schlafend gestellt und danach mit dem weitergemacht, was ich gerade tat.
Jeden Tag erinnern sie mich, mal mehr, mal weniger gewollt und offensichtlich daran, dass ich einen Namen habe. Nicht nur irgendeinen ‚gewöhnlichen Namen', nein. Meinen Stammbaum kann man bis in das späte Mittelalter verfolgen. Nobelpreisträger, Politiker, eingeheiratete Adlige, bedeutende Professoren, Bankiere, und neuerdings CEOs stehen bei Familienfeiern auf der Einladungsliste. Durch meinen Namen habe ich einige Privilegien, aber mutter erwähnt auch jeden Tag meine Pflichten. Bei öffentlichen Veranstaltungen immer vornehm, elegant und gepflegt aussehen, immer höflich und bescheiden sein, sich gewählt ausdrücken, klug und schlagfertig, aber freundlich sein. Ohje, manchmal denke ich, ich zerbreche daran, aber meine beste Freundin ist immer für mich da, um mich aufzufangen. Deswegen klettere ich aus dem Fenster im ersten Stock, schnappe mir mein Fahrrad, und Düse los zu unserem Stammcafe. Durch den neuen Job meines Vaters, er ist stellvertretender CEO bei einer Firma, die Elektronik, genauer Mobiltelefone und tablets, herstellt, mussten wir nach Seoul ziehen. Schon eine Umstellung, aber ich hab die Sprache eigentlich relativ schnell gelernt, ich spreche sie beinahe fließend. Schon von klein auf wurde mir eine gute Ausbildung zuteil. Ich lernte sprachen, englisch, französisch, Mandarin, und, nachdem mein Vater den Job annahm, auch koreanisch.
„Heijo", begrüßt mich meine beste Freundin von einem Platz ganz vorne an der Tür, während sie mit ihrem Kopf auf dem Tisch liegt.
„Heijo", erwidere ich, und streichel ihr die Haare. Meine sind immer noch mit einer kleinen Haarspange gebändigt. Mutter achtet immer sehr auf meine Kleidung und würde mich wahrscheinlich in meinem Zimmer einsperren, wenn ich die Kleidung meiner besten Freundin anziehen würde. Eine Jeans, ein einfaches schwarzes Shirt, ihre Haare sind offen und sehen leicht zerzaust aus. Jeden Tag stehe ich morgens im Badezimmer vor dem Spiegel, Föhne mir meine Haare zu einer Welle, benutze ausgewählte Accessoires, um die Frisur möglichst koordiniert aussehen zu lassen, und könnte locker zwei Stunden länger schlafen, wenn ich das alles nicht tun würde.
Wir reden über ihr Studium, und ich muss sie beinahe überreden, es nicht zu schmeißen. Sie ist toll, hat aber große versagensängste. Nachdem ich sie ein bisschen aufgepäppelt habe ist ihre Stimmung gleich viel ausgelassener.
„Und vor allem ist Feli in dem Kurs. Ich hab dir doch erzählt, dass sie auf der letzten wg-Party was mit Iannis hatte. Wirklich, ich dachte, iannis stände auf", schweift sie ab, ihr Blick schweift ab. Sie konzentriert sich auf irgendwas, was hinter mir ist.
„Auf wen steht iannis?", frage ich, sie schüttelt ihren Kopf und schenkt mir wieder ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Auf Violet", meint sie, und driftet schon wieder ab.
„Hey", winke ich mit einer Hand vor ihrem Gesicht. Ohne auch nur den Blick von der Szene hinter mir zu nehmen, fängt sie an.
„Er starrt dich schon die ganze Zeit an.", fängt sie an, zu grinsen, und nimmt einen großen Schluck aus ihrer Tasse, um das zu vertuschen.
„Dreh dich nicht um, er schaut", flüstert sie eindringlich. Und doch will ich unbedingt wissen, wer das ist.
Wir sitzen noch einige Zeit da, bis meine beste Freundin irgendwann auf Toilette verschwindet, und ich merke, wie jemand großes hinter mir steht.
„Bitte erschreck dich nicht", meint er in Koreanisch mit starkem Akzent, als ich mich umdrehe. Ich habe sofort die schönsten Augen vor mir. Beziehungsweise schräg vor mir, viel eher über mir, da er steht, und ich sitze.
„Keine angst, sie haben mich nicht erschrocken.", lächel ich ihn an. Beinahe schüchtern erwidert er mein Lächeln.
„Ich wäre gar nicht zu dir gekommen, hätte mich mein Kumpel nicht fast gezwungen."
Ich schaue in die Richtung, in welche er mit seinem Kopf nickt. Seine blonden Haare wippen mit und wirken beinahe wie Zuckerwatte. Ein paar junge Männer sitzen an einem Tisch, vor allen steht ein mindestens halb-leeres Getränk. Sie versuchen alle sehr angestrengt, nicht in unsere Richtung zu schauen, aber an der Art, wie sie miteinander tuscheln, grinsen und ab und an doch einen Blick riskieren weiß ich, dass sie das Geschehen gerade verfolgen.
Ich muss grinsen. Ich könnte so etwas nie machen.
Auch er grinst erleichtert, wobei ein perfektes Lächeln mit unheimlich geraden Zähnen zum Vorschein kommt. Jeder Zahnarzt würde für diese Zähne töten.
„Ich bin ihren Freunden sehr dankbar dafür", lächel ich ihn an. Das Lächeln habe ich mein ganzes Leben perfektioniert. Mein vorzeige-Lächeln.
„Ich bin Felix.", streckt er mir seine Hand entgegen, die kleiner und filigraner als erwartet ist, jedoch immernoch größer als meine.
Ich schüttel sie vorsichtig. Nachdem ich mich mit meinem vollen Namen vorgestellt habe, genau so, wie Mutter es mir immer beigebracht hat, starrt er mich an, als hätte ich ein drittes Auge.
„Schreibst du mir das auf?", grinst er breit, und hält mit sein Handy unter die Nase.
Und tatsächlich tippe ich meinen ellenlangen Namen und die Nummer ein.
Er lächelt mich dankbar an, ich gebe ihm mein Handy zurück, und er verzieht sich wieder zu seinen Kumpels, was mir ziemlich lieb ist. Ich habe meine beste Freundin unheimlich gern, aber jedes Mal, wenn ich mit einem Mann flirte, macht sie ein Riesen Ding draus. Ich hab gar nicht die Möglichkeit, jemanden erst mal ohne Vorurteile und Erwartungen kennenzulernen, ganz abgesehen davon, dass meine Eltern eine ganz genaue Vorstellung von meinem zukünftigen haben.
Wir quatschen noch ein wenig bis wir uns beide wieder auf den Weg nachhause machen. Mein Bett ist unheimlich weich und kuschelig, die Wärmflasche hat es gut aufgewärmt. Ich mache mir gerade einen Podcast an, als am oberen Rand des Displays eine Benachrichtigung angezeigt wird.
„Hey. Bist du sicher nachhause gekommen?"
„Hi. Ja, ich bin sicher in meinem Bett angekommen."
„Das freut mich wirklich."
Ich muss kichern. Solche gestellten Konversationen sind mir bestens bekannt. Nach einer kurzen Google-suche finde ich, was ich ihm schicken wollte. Regina George's grinsen nimmt das ganze Bild ein. „Oh thank you, that is really sweet" steht als Beschreibung auf dem Bild. Ich öffne den Chat und versende es.
Sofort kommt eine sprachnachricht. Felix' tiefes Lachen erklingt in meinem Schlafzimmer. Ich möchte mein Handy gerade beiseite legen, mit diesem wunderschönen Geräusch einschlafen, als mir ein eingehender Anruf angezeigt wird. Felix und ich unterhalten uns sicherlich eine dreiviertelstunde.

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