Romeo & Benvolio

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„Bist du noch da?", grinse ich meine beste Freundin an.
„Ja, ja", schüttelt sie ihren Kopf, die langen Haare verwuscheln dabei und sie schiebt sich diese schnell wieder hinter die Ohren.
„Wir waren gerade bei der Aussage der Passage. Romeos und Benvolios Beziehung und die Veränderung dieser nach Julia", erinner ich sie. Sie muss breit grinsen.
„Ich weiß. Ich war gerade ganz woanders, sorry", erklärt sie und lässt ihren Kugelschreiber mehrmals klicken.
Ein lautes Kichern schallt durch den Klassenraum. Eine Mitschülerin, sichtlich angetan von der Aufmerksamkeit, die Lucas ihr zuteil werden lässt, schlendert auf ihren Platz. Lucas ist hinter ihr, sie lacht über das, was er gesagt hat. Lucas.
Lucas ist ein unheimliches Arschloch. Immerhin wirkt er so. Er geht seit der Grundschule mit mir in eine Klasse, und seit der Pubertät ist er nicht mehr zu bändigen. Flirtet hier und da, kläfft wie ein junger Hund jeden Baum an. Die Bäume in der Geschichte gehen natürlich alle auf die unehrlichen Avancen ein. Natürlich ist er unheimlich attraktiv, aber er interessiert mich nicht. Abgesehen davon könnte er der freundlichste, höflichste und zuvorkommendste Mensch der Welt sein. Seine Unehrlichkeit in Bezug aus Frauen macht ihn falsch.
„Lucas ist wirklich heiß", murmelt sie verträumt, als sie ihren Kopf auf den handinnenflächen abstützt.
„Lucas ist ein hormongesteuerter arsch. Er ist der Häuptling von der blamablen, blindwütigen Bande von Brüllaffen", lasse ich meine innere Frustration ihm gegenüber raus.
„Nur weil du Harry Potter zitierst hast du noch lang nicht recht", grinst sie. Und das ist ein Grund, warum ich sie so liebe. Mit ihr teile ich die Leidenschaft für Filme, Bücher und Serien.
Nach einer unheimlich interessanten englischstunde klingelt die pausenglocke viel zu früh. Wenn ich einmal drin bin, und eine Geschichte interpretiere, könnte ich stundenlang weitermachen. Ich weiß, es ist total komisch, aber es macht mir richtig Spaß.
Meine beste Freundin und ich setzen uns mit Snacks bepackt in die große Aula. Lucas sitzt bei seinen Kumpels, man hört sie wahrscheinlich noch an anderen Ende des Schulgeländes.
„Hi."
„Hi", erwidere ich leicht verwundert. Noch nie ist Lucas zu mir gekommen.
„Die weingummis sehen lecker aus", grinst er, und zeigt auf die halbvolle Tüte in meiner Hand.
„Möchtest du welche?", frage ich ihn, und halte sie ihm unter die Nase.
Er fischt sich ein rotes weingummi heraus und steckt es sich in den Mund. Nachdem er fachmännisch, mit nachdenklichem Gesichtsausdruck gekaut hat, kommt er zu seinem Schluss.
„Das ist schon ziemlich süß, aber du bist süßer", grinst er mich an. Und ich bin so perplex, dass ich gar nichts mehr darauf erwidern kann, und sitze mit offenem Mund da. Die Möglichkeit, etwas schlagfertiges zu antworten, gibt er mir allerdings gar nicht, er hat auf dem Absatz kehrt gemacht und schreitet von dannen. Und lässt mich mit einem gefühlschaos einfach da sitzen.
Die ganze restliche Woche geht das so. Mal berührt er mich sanft, fast beiläufig, schaut mich aber jedes Mal so verschmitzt an, dass ich mir sicher bin, dass es mit voller Absicht passiert ist, mal macht er mir ein Kompliment, mal lächelt er mich an. Und nach jeder noch so kleinen Situation denke ich viel zu viel darüber nach, und werde jedes Mal nur wütender. Wütender darüber, dass er sich so etwas einfach rausnimmt. Er flirtet einfach mit allem und jedem, egal, ob die andere Partei es gar nicht möchte. Einfach, weil er es kann.
„Hey! Warte mal."
„Lucas, ich muss zu Mathe."
„Warte bitte."
„Ich kann nicht! Ich versteh Mathe eh nicht, wenn ich zu spät komme, habe ich keine Chance, mitzukommen.", stöhne ich und gehe weiter meinen Weg zu meinem Klassenraum.
„Ich muss auch zu Mathe", grinst er, geht verdächtig bedächtig und grinst. Sein grinsen. Sein absolut wunderschönes grinsen. Ich will ehrlich sein, und es macht mich wirklich fertig, aber jedes Mal, wenn er mit mir flirtet, macht mein Herz einen Satz. Es ist zum verrückt werden.
„Ich muss vorher noch auf Toilette", lüge ich, nur um der Situation zu entkommen, und biege zu der Tür der toilettenräume ab, als er mich am Arm greift und gegen die Wand drückt. Sein Gesicht ist ganz nah an meinem, seine dunklen Augen lesen Romane in meinen. Auf seinen vollen, wunderschönen Lippen bildet sich ein Lächeln.
„Du musst nicht auf Toilette, du willst nur weg", grinst er.
„Und wenn es so ist?", frage ich ihn leise.
„Wovor hast du Angst?", beantwortet er meine Frage mit einer Gegenfrage, und kommt mir noch näher. Unsere beiden Gesichter trennen keine Zentimeter mehr voneinander. Ich kann seinen herben, gepflegten Geruch wahrnehmen. Er hat ein Parfum aufgetragen, der Geruch bringt mich um den Verstand. Und ohne nachzudenken oder es je beeinflussen zu können, sehe ich wie meine handinnenfläche mit einem lauten „Klatsch" auf seiner linken gesichtsseite landet. Er schaut mich nur verdattert an, ich drücke mich an ihm vorbei und renne in den Klassenraum. Dort angekommen sitze ich wie ein Häufchen Elend auf meinem Stuhl. Meine beste Freundin merkt, dass etwas nicht stimmt, und fragt mich mehrmals, was los ist. Lucas kommt kurz nach mir durch die Tür gestratzt, auf der Wange einen roten Abdruck. Ich fühle mich hundsmiserabel. Auch wenn ich ihn für all das was er in mir auslöst und die Art, wie er sich einfach nimmt, was er will, verabscheue, spiele ich komplett verrückt. Anders als sonst ist er um einiges ruhiger, geht einfach auf seinen Platz, ohne zu grinsen, und auch dort spricht er kaum. Zu sehen, wie es ihn anscheinend mitgenommen hat, macht mich verrückt.
Nachdem die schulglocke das Ende des Unterrichts verkündet hat klaube ich mir meine Utensilien zusammen und verlasse als erste den Klassenraum. Nur weg hier, nur der Situation entkommen. Ich bin beinahe auf dem Schulhof angekommen als jemand seine große Hand in meine kleine legt. Ich brauche mich nicht umzudrehen, den Geruch erkenne ich.
„Wir müssen reden.", entscheidet er, nimmt meine Hand fest in seine, und ich folge ihm auf eine Bank.
Dort sitzen wir erstmal ohne das ich mich traue, ihn auch nur ansatzweise anzuschauen, ganz abgesehen davon, mit ihm zu sprechen. Als ich endlich meinen ganzen Mut beisammen gekratzt habe kommt er mir zuvor.
„Entschuldigung."
„Was?", schaue ich ihn verdutzt an. Ich habe damit gerechnet, dass ich mich entschuldige.
„Ich bin dir zu nahe gekommen. Es tut mir leid.", erzählt er. Ich kann trotz seiner Verbeugung erkennen, dass er sich unheimlich schämt, was mich unsagbar traurig macht und mich verletzt.
„Ich hab dich geschlagen, ich muss mich entschuldigen. Das ist nicht meine art, aber mein Gehirn hat einen Kurzschluss gehabt", sprudel ich heraus.
„Nein, du hattest all das Recht dazu", nickt er. Und ich weiß nicht wieso, aber es macht mich rasend.
„Nein! Nein, hatte ich nicht", unterstreiche ich nochmal. Sein Gesichtsausdruck ist verwirrt, beschämt, und traurig, obwohl ich nicht weiß, woher diese Gefühle rühren.
„Ich will dir nicht wehtun. Wollte ich nie", murmelt er, und meine Wut ist verpufft.
„Es tut weh", traue ich mich endlich auszusprechen, was ich fühle. Weil ich eh schon meine jahrelang aufgebaute Maske fallen lasse kann ich jetzt auch komplett all in gehen.
„Zu sehen, wie du mit allen flirtest, mit mir. Zu sehen, dass es dir nichts bedeutet, und mir schon. Zu sehen, dass du es nicht ernst meinst, wenn ich jeden Moment mehr Gefühle entwickel." mein gesamtes Gesicht sieht vermutlich aus wie eine cherrytomate.
„Warum glaubst du, es bedeutet mir nichts?", fragt er, und macht damit das gefühlschaos in mir nicht besser.
„Weil du es mit allen machst.", stotter ich.
„In dem moment, als Du mir eine geknallt hast, habe ich gemerkt, was es für mich ist", gibt er ernsthaft von sich, und mein Herz flattert.
„Du darfst nicht mit mir spielen, bitte. Das macht mein herz nicht mit", flehe ich ihn fast an. Er nimmt meine Hände in seine, nun stehen in seinen Augen Romane. Meine sind vermutlich eindeutig.
„Werde ich nicht". Er überlegt gerade nicht. Er fühlt.
„Danke", flüstere ich, die Spannung ist kaum auszuhalten. Und im nächsten Moment fühle ich zuerst seine Hand unter meinem Kinn und dann seine Lippen auf meinen.

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