Stell keine Fragen, deren Antwort du nicht hören willst

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7. Kapitel

Stell keine Fragen, deren Antwort du nicht hören willst


Für Paul war es praktisch unmöglich, sich auf dieses dämliche Spiel zu konzentrieren. Alles, was ihn oder besser gesagt seinen mittlerweile ziemlich gereizten Wolf interessierte, saß mit gesenkten Blick gegenüber von ihm. Ihre Augen hatte sie starr aufs Feuer gerichtet. Die lodernden Flammen erhellten ihr Gesicht. Sie war wunderschön. Er war so auf sie fixiert, dass er gar nicht wahrnahm, wer gerade dran war oder sprach. Es war unglaublich, wie süchtig er nach ihr war. Drogen waren ein Scheiß dagegen. Vom ersten Moment an war er wortwörtlich besessen nach ihr und nur weil man es Prägung nannte, verlangte man von ihm, es zu akzeptieren. Sich sogar glücklich darüber schätzen. Paul schnaubte. So ein Bullshit. Prägung bedeutete Zwang, nur schöner verpackt. Seitdem sie sich eine Minute lang in die Augen sehen mussten, war etwas mit ihr passiert. Irgendwas bedrückte sie. Er hätte jetzt gerne behauptet, dass es ihn einen scheiß interessierte, wie es ihr ging aber die Wahrheit war, der Anblick seiner offenbar leidenden Seelenverwandten war unerträglicher als alles, was er bisher durchmachen musste. Der Wolf in ihm litt Höllenqualen, alles was er wollte, war seiner Geprägten Trost spenden...und Paul von innen heraus zu zerfleischen – zurecht wie Paul ausnahmsweise fand, denn er hatte es mal wieder verbockt. Auch wenn er gar nicht so richtig wusste, was er denn diesmal Falsch gemacht hatte. Sie war eine Frau, vielleicht hatte er falsch geatmet? So richtig verstanden hatte Paul die Frauen sowieso noch nie. Bis dato hatte er auch nie das verlangen danach gehabt. Er hatte seinen Spaß mit ihnen, der Rest interessierte ihn nicht. Naja, bis jetzt. Aber Fuck, Carlie war schon ein hartes Level. Auch ohne Prägung war sie anders als jede Frau, die er bisher hatte. Sie war ein bisschen wie er. Beide mochten es zu übertreiben und mit dem Kopf stets durch die Wand. Ihr größtes Problem war wohl, dass beide so verdammt gut provozieren konnten. Bloß nicht nachgeben und immer bereit Kontra zu geben. Zumindest ihm gegenüber, bei allen anderen wirkte sie ganz nett. Paul konnte sich nicht so ganz erklären, woran das lag - an ihm bestimmt nicht. „Ich hab kalt", flüsterte Rachel ihm leise zu. „Geh zu Emily, die gibt dir bestimmt 'ne Jacke", antwortete er ohne seinen Blick von Carlie abzuwenden. Unter anderen Umständen hätte er vielleicht ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber gehabt aber Rachel wusste genauso wie er, dass das zwischen ihnen nirgendwo hinführte. Sie hatten beide nach Ablenkung gesucht, wenn gleich auch aus unterschiedlichen Gründen. Letzten Endes hatte es aber funktioniert, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Nur einen Wimpernschlag danach, hatte ihn der Selbsthass eingeholt. Jede Faser seines Körpers hatte wie Feuer gebrannt, als würde seine Seele brennen oder zumindest der Wolf in ihm.


„Wahrheit oder Pflicht?", fragte Quil ihn plötzlich breit grinsend. Paul zog seine Augenbrauen prüfend in die Höhe. Wann war er dran gekommen? Und warum grinste Quil so dämlich? Die Art von grinsen hatte der Schokoladenpelz sonst nur, wenn er etwas geplant hatte. Das versprach selten was Gutes. Aber Paul vertraute ihm und den anderen sein Leben an. Auch wenn sie nicht mehr im gleichen Rudel waren, waren sie für ihn immer noch seine Brüder. Und Brüder mochten es nicht, wenn einer von ihnen litt. Was immer Quil also vor hatte, es bezog sich hundertprozentig auf Carlie. „Pflicht", wählte er deswegen ohne zögern. Quil warf ihm ein zufriedenes grinsen zu. „Setz Carlie für den Rest vom Abend auf deinen Schoß", forderte er Paul auf. Sofort schoss Carlie's Blick in die Höhe. „Ernsthaft?!", keifte sie und starrte Quil fassungslos an, „Warum ich?" Die Halbvampirin konnte es nicht glauben. Was stimmte denn mit diesen Wölfen nicht? Hatte er sich heimlich mit Jared zusammengetan oder was sollte der Mist?! Das war ja die reinste Verschwörung! Paul musterte seine Geprägte prüfend. Er wusste, dass er eigentlich ihre Wünsche und Grenzen respektieren sollte aber Shit, so verloren wie sie da saß, wünschte er sich gerade nichts sehnlicher, als sie in die Arme zu nehmen. Quil's Pflichtaufgabe war also quasi sein Jackpott. Eine bessere Chance bekam er bestimmt nicht mehr. „Okay", antwortete er schließlich entschlossen, ohne seinen Blick von der sichtlich angepissten Carlie zu nehmen. Gequält seufzend stand sie auf. „Eines Tages wirst du mir dafür danken", flötete Quil ihr gutgelaunt zu, als sie bei ihm vorbeiging. „Wohl eher umbringen", zischte sie ihn an an, „Mit euch spiel ich nie wieder Flaschendrehen". Sie warf ihm und Jared einen warnenden Blick zu. Undefinierbar fluchend kam sie vor Paul zum stehen. Wütend funkelte sie ihn von oben herab an. Ein vergnügtes Grinsen schlich sich auf seine Lippen, als er sich aufrecht hinsetzte und seine Arme einladend ausbreitete. „Hör auf so dämlich zu grinsen", brummte sie, als sie sich zögernd auf seinen Schoß setzte – peinlichst genau darauf bedacht, nicht mehr Körpernähe als nötig herzustellen. Warum überraschte ihn das nicht? Ohne nachzudenken, legte er seine Arme um sie und setzte sie richtig hin. Sie schnaubte genervt, duldete es aber zu seiner Erleichterung. Um zu protestieren, fehlte es an Konzentration. So auf seinem Schoß sitzend, seine Arme schützend um sie gelegt, hörte das Frieren auf. Die Kälte verzog sich und eine angenehme Wärme breitete sich von ihrem inneren heraus aus. Das Gefühl von Geborgenheit überkam sie. Erinnerte sie ein bisschen an nachhause kommen. So als wäre genau hier der Platz, wo sie hingehörte. Sie versuchte, es nicht allzu sehr zu genießen, aus angst, sich daran gewöhnen zu wollen. Paul stattdessen genoss jede einzelne Sekunde davon. Er nahm jedes noch so kleine Detail tief in seinem Gedächtnis auf. Quil musste ihn mehrmals daran erinnern, die verdammte Flasche zu drehen.

Irgendwann erbarmte er sich endlich dazu. Doch er wäre nicht Paul Lahote, wenn er die Situation nicht zu seinem Vorteil nutzen konnte. Während er nach der Flasche griff, beugte er sich nach vorne und legte wie selbstverständlich seinen Kopf auf der Schulter der jungen Cullen ab. „Übertreib es nicht", knurrte diese ihm leise zu, als das Spiel weiterging. Sofort grinst er sie schief an, ignorierte aber ihre halbherzige Warnung. „Für ein Halbvampir riecht du ziemlich gut", flüsterte er ihr stattdessen ins Ohr. Für Paul war das natürlich die Untertreibung des Jahres aber das konnte er unmöglich zugeben. Ihr Geruch war atemberaubend. Es gab für ihn nichts, was auch nur ansatzweise so gut roch, wie sie. Carlie blieb gespielt unbeeindruckt und strecke sich ein Stück, um an sein Ohr ran zukommen. „Und du riecht für'n Wolf ziemlich scheiße", erwiderte sie knallhart. Unnötig zu erwähnen, dass sie log. Doch die Genugtuung wollte sie seinem Ego ganz sicher nicht geben. Er gab ein leises, tiefes Lachen von sich. Seine Brust vibrierte dabei leicht. „Schnupperst du deswegen immer an meinem Pulli?", fragte er sie leise. Fuck, das hatte er mitbekommen? Kurz sah sie ihn ertappt an. „Ist wie bei einem Autounfall. Es ist schrecklich aber man muss hinsehen", versuchte sie sich schließlich zu rechtfertigen. „Nur dass du viel zu selten hinsiehst", erwiderte er herausfordernd. Unentschlossen was sie darauf antworten sollte, schwieg sie und richtete ihren Blick nach vorne. „Dacht ich mir", meinte er frustriert seufzend. Am liebsten hätte sie auch frustriert geseufzt. Ganz ehrlich, was hätte sie ihm denn antworten sollen? Dass sie, seitdem sie ihn das erste Mal traf, nichts lieber tat, als in seinen Augen zu versinken? Besser gesagt, hoffnungslos darin ertrank? Oder das ihre Welt jedes Mal kurz stehen blieb, wenn sie einander ansahen? Vielleicht das sie vergaß zu atmen, wenn ihre Blicke miteinander kollidierten und er in ihr zirkulierte? Oder das ihr das alles eine scheiß angst einjagte? Er würde sie nicht verstehen. Wie zur Hölle sollte er auch, wenn er sich nicht mal selbst verstand? Sie waren beide süchtig nacheinander und bekamen die verdammte Kurve nicht. Wie zur Verdeutlichung, vergrub er sein Gesicht in ihren Haaren und atmete tief ihren Geruch ein. „Kannst du das mal lassen?", zischte sie ihm leise zu. Gelassen zuckte er mit den Schultern. „Ich atme nur. Problem damit?" Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie ihn an. „Problem ist stark untertrieben". „Dann hättest du dich vielleicht nicht auf meinen Schoß setzen sollen", erwiderte er trocken. Sie zog scharf die Luft ein. Der Typ machte sie wahnsinnig. „Wer von uns musste den unbedingt Pflicht nehmen?", hakte sie nach und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Ach komm, als ob du es nicht genießen würdest", traf er damit voll ins schwarze und sah sie grinsend an. Okay, das reichte - sie würde ihn bei der ersten Gelegenheit umbringen. Ohne Scheiß, irgendwo im Wald verscharren und es auf ein Rudel Terrier schieben. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Dreist oder auch lebensmüde, schloss Paul seine Arme um ihren Bauch und zog sie näher an sich. Mit Carlie in seinen Armen, verflog die Anspannung der letzten Tage. Er war rundum zufrieden, ihr so nah zu sein versöhnte ihn sogar mit seinem inneren Wolf – zumindest für den Augenblick. Vielleicht sollte er den heutigen Abend einfach genießen und morgen damit weitermachen, gegen die Prägung anzukämpfen. Rom wurde immerhin auch nicht an einem Tag erbaut. „Ich würde aufpassen, was du als nächstes sagst, kleine Motte. Das hier ist mein Revier", wisperte er ihr schelmisch grinsend ins Ohr, nachdem sie Anzeichen machte etwas antworten zu wollen. Und mit Revier meinte er nicht das Reservat. Carlie bekam schlagartig Gänsehaut. Ob es an den Worten, seiner Nähe oder an seiner tiefen Stimme lag, war schwer zu sagen. Vermutlich war es eine Mischung aus allem. Für Paul blieb die Gänsehaut unbemerkt, ihren beschleunigten Herzschlag hörte er jedoch. Zugern hätte er gewusst, wie es sich anfühlte, sie zu küssen. Nur ein einziges Mal. Als Jared sie aufforderte ihn zu küssen, gab es nichts, was er lieber getan hätte. Bis er die Panik in ihren Augen sah. Normalerweise war er egoistisch, nahm nur selten Rücksicht auf seine Mitmenschen. Aber bei ihr war es anders. Er war bei ihr anders. Wenn sie ihn irgendwann küsste, dann weil sie es wollte und nicht, weil sie es musste. Und Paul war sich sicher, dass dieser Tag kam. Sie saß immerhin schon auf seinem Schoß, das war ein gewaltiger Fortschritt. Zugegeben, sie saß da nicht ganz freiwillig aber sie brauchte diese Nähe gerade. Das spürte der Wolf in ihm und der lag im Gegensatz zu Paul nur selten falsch. Es lief momentan aber auch wirklich verflucht gut, für jedes andere geprägte Pärchen vermutlich nur gut in Anführungszeichen aber für Carlie und Paul war das echt ein Erfolgserlebnis. Die Spannung, die zwischen ihnen in der Luft lag, knisterte förmlich. Das Carlie nun halbwegs entspannt war und sich offensichtlich wohlfühlte, trug gewiss einen Teil dazu bei. Unbewusst ließ sie sich nach hinten gegen seine Brust sinken. Ihr Hinterkopf lehnte an seinem Schlüsselbein. Während er sie fest an sich gedrückt hielt, sein Gesicht abermals in ihren Haaren vergrub und mit seinen Fingern leicht über ihre strich. Ihre Haut kribbelte unter seinen Berührungen. „Bei mir auf'm Schoß zu sitzen, ist wohl doch nicht so schlimm?", flüsterte er ihr grinsend ins Ohr. Sie blickte zu ihm hoch. „Liegt wohl daran, dass du gerade ziemlich zahm bist", erwiderte sie gespielt gelassen. „Zahm ist nicht so mein Ding", wisperte er verschwörerisch, „Und ich glaub, dein's auch nicht". Carlie schluckte. Wieso musste er nur so verdammt heiß sein?

Er kam, er sah und er ging - Prägung auf Umwegen (Twilight FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt