Die Ruhe, vor dem Bombenhagel

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PROLOG
Die Ruhe, vor dem Bombenhagel


Eingekuschelt in meiner graublauen Wolldecke saß ich auf der breiten Fensterbank in meinem Zimmer und sah den vereinzelnden Schneeflocken zu, wie sie sanft zu Boden sanken. Spärlich aber unaufhaltsam rieselten sie vom Himmel herab. Die Landschaft verwandelte sich allmählich in ein zartes weiß. Mein Name war Carlie Elizabeth Rose. Ich war ein Halbvampir, geboren in der Kleinstadt Forks, mit Wölfen als Nachbarn und einer ganzen Horde Vampire als Verwandte. Offiziell gab es genau sechs Halbvampire. Mich, meine Schwester Renesmee, ein Junge namens Nahuel und dessen drei Halbschwestern. Aber ich war mir sicher, dass es noch einige mehr gab, die einfach nur schlau genug waren, es geheim zu halten. Der menschlichste Halbvampir der Welt war wohl so oder so ich. Zumindest in meiner Familie war ich eindeutig die Normalste. Meine Reflexe waren nicht so sehr ausgeprägt, wie die meiner Schwester. Ich konnte weder besonders hochspringen, noch sehr schnell rennen. Keine übermenschliche Stärke und keine harte, schützende Haut. Ich empfand kein Verlangen nach Blut. Und funkelte im Sonnenlicht nur ganz schwach, kaum wahrzunehmen, wenn man nicht genauer hinsah. Meine Temperatur war wärmer als die von anderen Menschen aber kälter als die von Renesmee. Ich starb bei einer Erkältung fast den Heldentod, zog mir Knochenbrücke zu und brauchte meinen Schaf. Mein Geruch und Hörsinn waren ein wenig besser als der, der Menschen. Und ich besaß Fähigkeiten. Während Renesmee anderen per Berührung ihre Gedanken und Empfindungen mitteilte, konnte ich sie per Berührung desjenigen hören und fühlen. Renesmee und ich konnten sogar teilweise durch Gedankenkraft miteinander kommunizieren, allerdings gelang das nur untereinander. Unser Dad konnte meine Gedanken zum Beispiel nicht lesen, ihre aber schon. Die einzige Sache, bei der ich wohl mehr Glück hatte als meine Schwester. Damit waren wir aber auch schon am Ende meiner übernatürlichen Eigenschaften angekommen. Ich hatte keinen geprägten Wolf an meiner Seite, so wie Renesmee. Konnte keine Schutzschilder herstellen und keine brechen. Ich konnte noch nicht mal Klavier spielen.

Eine bekannte Stimme riss mich plötzlich aus den Gedanken. "Carlie? Jake kommt uns in einer Stunde abholen", Renesmee stand am Türrahmen und sah mich freudig an. Ich seufzte resigniert. "Alles klar, ich mach mich fertig", antwortete ich schließlich. Es fiel mir schwer, ihre Freude zu teilen. Wobei es bei Ness schwer zu sagen war, worüber sie sich mehr Freute - die Feier oder Jacob nach ganzen zwei qualvollen Stunden wiederzusehen. Ich tippte zuversichtlich auf Letzteres. "Ist alles in Ordnung?", fragte mich meine Zwillingsschwester. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sie mich besorgt musterte. Mit leichten und leisen Schritten kam sie auf mich zu. Ihr Gang erinnerte mich ein wenig an die Schneeflocken da draußen. Ich war mehr so der Elefant im Porzellanladen, nebenbeibemerkt. "Was ist los?", fragte sie mich diesmal in Gedanken, während ihre Hand auf meiner Schulter ruhte. Das war quasi unsere Geheimwaffe. Diese Kommunikation zwischen uns hatte sich schon oft als nützlich erwiesen. Ich seufzte, abermals. "Was wenn sie mich nicht leiden können, Ness? Oder noch schlimmer, mich zu Boden reißen und in Stücke reißen?", antwortete ich ebenfalls in Gedanken. Renesmee pustete kurz amüsiert auf. Was ihr ein beleidigender Blick meinerseits bescherte. "Niemand wird dich anfallen", versicherte sie mir, „Sie wissen alle Bescheid dass du kommst, keiner hat was dagegen. Außerdem wird Jacobs Rudel dich im Notfall beschützen, er wird nicht zulassen, dass dir jemand was tut. Aber das wird alles gar nicht nötig sein und weißt du warum?" Ich schüttelte überflüssigerweise den Kopf. "Weil sie dich lieben werden. Du bist witzig, nett und ein bisschen durchgeknallt - glaub mir, du passt da rein wie die Faust aufs Auge". Sie lächelte mir nochmal gut zu und verschwand dann nach draußen. Stirnrunzelnd sah ich ihr nach. Sie hatte gut reden. Sie war ja ein Teil davon. Ein Teil von Jacob und somit ein Teil dieser großen, felligen Familie. Sie war die Prägung, die Seelenverwandte. Ich war nur der Halbvampir. Und ich war noch nie in La Push gewesen. Als ich kleiner war, hatte Jacob öfter mal versucht, meine Eltern zu überreden mich mitzunehmen, wenn er mit Ness seinen Dad und das Rudel besuchte aber sie erlaubten es ihm nie. Das Gesetz schützte schließlich nur Renesmee. Sie war dort sicherer als anderswo. Ich dagegen wäre dort wohl rein theoretisch sowas wie Freiwild. Als ich dann älter wurde, versuchten er und Ness regelmäßig mich zu überreden mitzukommen. Zur Freude meiner Eltern, verneinte ich immer. Wie gesagt, Freiwild und so. Ich war nicht besonders scharf darauf von einem Rudel riesiger Wölfe zerrissen zu werden. Schließlich war da ja auch noch das andere Rudel und zu dessen Alpha hatte ich kein familiäres Verhältnis. Ich wusste selbst nicht, was mich dazu geritten hatte, diesmal zuzustimmen. Okay, gut, es war Billys Geburtstagsfeier und ich hatte es ihm versprochen. Ich mochte Billy, also war ich es ihm irgendwie schuldig. Entschlossen stand ich auf. Die Entschlossenheit verflog jedoch recht schnell, als ich den hölzernen Wolf auf meiner Kommode erblickte, den Seth mir mal geschnitzt hatte. Unweigerlich musste ich daran denken, dass diese Viecher groß waren. Verdammt groß. Scheiße, ich würde sowas von draufgehen. 

Schwermütig schritt ich an meinen Kleiderschrank, zog zwei, drei Kleidungsstücke aus dem Chaos, die ich für ganz angemessen hielt und tapste damit ins Badezimmer. Nachdem ich geduscht und mich angezogen hatte, betonte ich meine braunen Augen etwas mit Kajal und Mascara. Make-up und Rusch brauchte ich dank der (meist) markenlosen Haut nicht. Meine rotbraunen, leicht gewellten Haare ließ ich einfach offen. Als ich einen Blick in den Spiegel riskierte und mein Aussehen als ganz akzeptabel bewertete, schlenderte ich aus dem Badezimmer. Kurz darauf und wie erwartet, zu früh, traf Jacob ein. Nachdem er und Ness sich zum Leidwesen aller Anwesenden ausgiebig begrüßt hatten, liefen wir zusammen an sein Auto. Ein alter, roter Golf, mit vielen Rostflecken und Dellen. Er liebte diese Karre. Warum auch immer. Ich musste bei Jacob einsteigen, weil sich der Beifahrersitz nicht mehr nach vorne schieben ließ. Gott, wie ich diese Karre hasste. Das wurde mir mal wieder deutlich bewusst, als ich mühselig auf den Rücksitz krabbelte. Ich schnallte mich an und dann ging es auch schon los. Jacob konnte gut Autofahren und mit Renesmee auf dem Beifahrersitz, fuhr er sowieso vorsichtiger als nötig. Ich schmunzelte, als ich sah, dass die Beiden sogar beim Autofahren Händchen hielten. Die Beiden waren ein tolles Team, schon immer gewesen. Als ich kleiner war, hatte ich mir oft gewünscht, dass sich Seth auf mich prägte. Nicht, weil ich in ihn verliebt war, sondern weil ich einfach auch gerne einen Bruder gehabt hätte. Mein eigener, nur mir gehörender Bruder. Mit der Zeit verstand ich, dass er längst mein Bruder war, auch ganz ohne Prägung. Jacob, Seth und dessen Schwester waren die einzigen Wölfe, die ich je sah und kannte. Die ersten Zwei hatten mir allerdings viel über die restlichen Wölfe erzählt. Ich kannte alle beim Namen und konnte teilweise auch ein paar Charakterzüge von ihnen zu ordnen. Das linderte jedoch nicht unbedingt meine Nervosität. Als wir an der Highschool in La Push ankamen, in der Billy einen großen Festsaal gemietet hatte, erreichte meine Nervosität ihren Höhepunkt. Jacob hatte gesagt, dass sein Vater eigentlich keine Geburtstage feierte aber da es ein runder Geburtstag war, hatten er, seine Schwestern und Sue ihn dazu überredet. Hätten sie das mal lieber gelassen. Jacob schob plötzlich den Sitz nach vorne und gab mir ein Zeichen auszusteigen. Bevor ich dies tat, atmete ich nochmal tief ein und aus. Mit gemischten Gefühlen stieg ich aus dem Auto, natürlich nicht ohne dabei wieder eine Heidenarbeit zu haben, um überhaupt raus zu kommen. "Häng dir doch ein Schild dran, 'gefunden im Ü-Ei", motzte ich Jake an, als er über meine Bemühungen grinste. "Nessie, deine Schwester ärgert mich schon wieder", wandte er sich gespielt ernst an seine Geprägte. "Wo sie recht hat", meinte diese nur Schulterzuckend. Triumphierend grinste ich, während Jacob seufzte. "Wisst ihr, was euer Problem ist? Ihr seit nur diese Protzkarren eurer Familie gewohnt", sagte er, als er die Fahrertür zuschlug und den Wagen abschloss. Total überflüssig, mal ehrlich, als ob jemand freiwillig diese Schrottkarre klauen würde. "Protzkarren", wiederholte ich amüsiert. "Süß, wie er zu ganz normalen Autos sagt", pflichtete Ness mir bei und wuschelte ihrem Liebsten grinsend durch die Haare. Mit zielsicheren Schritten liefen die Beiden voraus, ich folgte ihnen schwermütig. Am Eingang warteten sie auf mich. Jacob hatte den Türgriff bereits in der Hand, als er sich zu mir umdrehte und mich breit angrinste. „Komm schon, Carlie. Mach dir keine Sorgen, die beißen nicht, sie kratzen höchstens". Ness gab ihm freundlicherweise einen kleinen Schubser. „Nein, jetzt mal im ernst, sie werden doch meiner zukünftigen Lieblingsschwägerin nichts tun", sagte er und griff nach Nessie's Hand „Ich werde deine einzige Schwägerin sein", antwortete ich trocken. „Ich weiß", meinte er grinsend und öffnete dir Tür. Ich atmete nochmal tief ein und folgte den Beiden dann in den Saal hinein. Ich hatte ja keine Ahnung, was mich erwartete.

Er kam, er sah und er ging - Prägung auf Umwegen (Twilight FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt