Die miese Laune der Natur

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6. Kapitel

Die miese Laune der Natur

Nachdem Sam nach einer halben Stunde mit Paul im Schlepptau wieder zurückkam, brauchte es nur einen strengen Blick des Alphas und Mr. Fehlende Impulskontrolle verzog sich Kommentar unterdrückend zu Jared und Quil. Das bescherte Zane und mir tatsächlich noch einen ruhigen, halbwegs schönen Tag. Von den Todesblicken mal abgesehen, die Zane fast in Dauerschleife erhielt. Am Abend verzogen wir Jüngeren uns nach Draußen, wo Embry ein Lagerfeuer vorbereitete. Sam und Leah blieben mit ihren Geprägten im Haus zurück. Mir war ein wenig Unwohl zumute, ohne Sam mit einem aggressiven Kindergartenkind namens Paul nach draußen zu gehen aber der Arme hatte ja auch mal Feierabend verdient. So saß ich also zwischen Seth und Zane auf einem breiten Baumstamm und starrte angestrengt ins lodernder Feuer. Die musternde Blicke meines aufgezwungenen Wolfes versuchte ich peinlichst genau zu ignorieren. Er saß gegenüber von mir und hatte sein Blick starr auf mich gerichtet. Ihm war es scheinbar scheißegal, dass es alle drumherum mitbekamen. Er war ungefähr so unauffällig wie ein Elefant im Porzellanladen. Von Diskretion waren wir meilenweit entfernt. Man, was ging er mir auf die Eierstöcke. Doch das Schlimmste war, dass ich nichts lieber getan hätte, als ihn ebenfalls zu begaffen. So in aller Ruhe mal ausgiebig mustern. Jedes kleinste Detail wahrnehmen und in seinen Augen versinken. Aber nein, drauf geschissen, der Kerl machte mich wahnsinnig! Ein kalter Windstoß kam auf und ließ mich frösteln. Instinktiv rückte ich näher an Seth. „Kalt?", fragte dieser mich sofort und sah mich prüfend an. Ich schüttelte wortlos den Kopf. „Ich kann dir meine Jacke geben", kam es plötzlich von Zane. Erwartungsvoll sah er mich an. Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Er war so, so süß. „Das ist lieb von dir, danke. Aber brauchst du nicht, mir ist nicht kalt", antwortete ich ihm. Das war selbstverständlich gelogen. Ich, die größte Schande aller Halbvampiren, hatte natürlich arschkalt aber er hatte unter seiner Jacke nur ein Sweatshirt an (was ihm nebenbei bemerkt fantastisch stand) und ich wollte unter keinen Umständen, dass er fror – erst recht nicht meinetwegen. Außerdem war ich selbst schuld dran, ich hätte was anderes als eine dünne Daunenjacken anziehen sollen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Paul sich erhob. Wortlos zog er sich seinen schwarzen Kapuzenpullover über den Kopf. Bevor wir rausgingen, hatte ich gehört, wie Sam ihm und den restlichen Wölfen befahl, Jacken oder wenigstens Pullovern anzuziehen, um keinen Verdacht vor Zane und Liam zu schöpfen. Paul war nicht sonderlich begeistert gewesen. Mit den Worten „Zieh ihn an", warf er mir jenen Kapuzenpullover über. Überrascht sah ich auf den Pulli in meinen Armen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich die Situation realisiert hatte. „Nicht nötig aber danke", antwortete ich schließlich und machte Anstalten, ihm den Pullover zurückzuwerfen. Meine Zielkünste waren nicht sehr berauschend, also schickte ich Stoßgebete in den Himmel, dass der Pulli bitte, bitte nicht im Feuer landete. Paul hätte mir niemals abgekauft, dass es keine Absicht gewesen war. „Willst du, dass ich dir den Pulli anziehe?", kam es von Paul mit einem leichten, provozierenden grinsen. Ich stoppte. Er war total irre, es bestand also die Chance, dass er das wirklich durchzog. Genervt schnaubend verdrehte ich die Augen, gehorchte aber widerwillig. „Danke", nuschelte ich schließlich kleinlaut. Sein zufriedenes, triumphierendes Grinsen versuchte ich zu verdrängen. Zugegeben, der Pullover war dank der unnatürlichen Körpertemperatur von Paul genauso schön warm, als hätte man ihn gerade aus dem Trockner geholt. Und er roch nach Paul. Ich kuschelte mich unbemerkt noch etwas tiefer in den Pullover und nahm einen tiefen Atemzug seines Geruchs. Wie konnte jemand, der so unausstehlich war, bloß so gut riechen. Während ich hier weiter ganz erbärmlich Paul's Geruch inhalierte und mich selbst dafür verfluchte, kamen drei Personen zu uns ans Feuer geschlendert. Ich musste nicht mal genauer hinsehen, um zu wissen, dass eine davon meine Schwester war. An ihrer Seite selbstverständlich Jacob. Händchenhaltend kamen sie auf uns zu. Nur wenige Schritte hinter ihnen lief Rachel. Nur mit Mühe konnte ich mir ein „Scheiße" unterdrücken. Versteht mich nicht falsch, Rachel war ein toller Mensch. Sie war wunderhübsch, sehr nett und ziemlich dicke mit Paul. So allen in allem also gänzlich unsympathisch.

„Carlie", quietschte Ness freudig und umarmte mich von hinten. Unser letztes Treffen war schon ein paar Stunden her, das konnte man als Zwilling durchaus mit tagelanger Trennung gleichsetzen – zumindest wenn man so harmoniebedürftig wie Ness war. Ich war schon ziemlich froh dass sie Jake hatte, denn zum Wohle aller, war er derjenige, der ihr gesteigertes Bedürfnis nach Körpernähe stillte. Kurzum, er war meistens der arme Trottel, der sich durchknuddeln lassen musste – nicht dass es ihm viel ausgemacht hätte, ganz im Gegenteil sogar. „Zane sieht heute besonders süß aus", teilte sie mir gedanklich mit. Ich schielte kurz zu Zane rüber und konnte mir ein grinsen nicht verkneifen. „Er ist immer süß", antwortete ich ebenso in Gedanken. Ich war von Anfang an ein bisschen in ihn verknallt gewesen. Aber er war halt leider Gottes der Bruder meiner besten Freundin. Sie würde durchdrehen, wenn sie es wüsste – verständlich. Renesmee ging durch die Gruppe und umarmte jeden von ihnen, bis auf Jared und Paul. Wobei Jared wenigstens noch eine Begrüßung zugeworfen bekam. Fragt mich nicht wieso aber das Verhalten meiner Schwester kränkte mich ein klitzekleines bisschen. Paul schien es zumindest nichts auszumachen. Er nickte Jacob grüßend und machte dann Platz für Rachel, die sich neben ihn setzte. Natürlich, wo auch sonst. Innerlich verdrehte ich schnaubend die Augen. Konnte es sein, dass Amor seinen gottverdammten Pfeil einfach fälschlicherweise auf mich geschossen hatte, er aber eigentlich für Rachel vorgesehen war? Vielleicht kam es zur einem Irrtum oder Amor hatte kurz davor was gekifft, wer wusste das schon? „Hallo, Carlie", kam es freundlich lächelnd von Rachel. Scheiße, hatte ich sie etwa die ganze Zeit angestarrt? Fuck, wie war das nochmal mit der Diskretion. Gedanklich ohrfeigte ich mich selbst. „Hey", erwiderte ich und setzte mein freundlichstes Lächeln auf, um mir bloß nichts anmerken zu lassen, „Es ist schön dich zu sehen". ...nicht, du wolfsklauende, hinterhältige, traumhaft schöne Hexe. Okay, ja, das mit den Beleidigungen sollte ich vielleicht noch etwas üben. „Danke, ich freu mich auch", antwortete sie immer noch lächelnd. Dann glitt ihr Blick zu Zane. „Und du bist Carlie's Freund?", wand sie sich an ihn. Entweder war sie eine sehr gute Schauspielerin oder sie war wirklich ahnungslos. Vermutlich war es das Letztere und ich war einfach nur paranoid. Wir hatten immerhin gar keine Gründe für Feindseligkeiten. Paul war mir egal. Sowas von egal. Noch mehr egal ging gar nicht. „Ja...nein...also, nicht der Freund...ein Freund", stotterte Zane etwas unbeholfen. Die Nervosität war ihm deutlich anzusehen. Vergnügt unterdrückte ich mir ein Grinsen. „Verstehe", kam es mit einem wissenden Lächeln von Rachel, „Aber schade, ihr wärt ein schönes Pärchen". Paul gab einen spöttischen Laut von sich. Idiot. „Glaub auch", kam es von Zane plötzlich. Überrascht schoss mein Blick zu ihm. Verlegen aber mit einem schelmischen Grinsen sah er mich an. Ich konnte nicht anders als sein Grinsen zu erwidern. Hatte ich schon erwähnt, wie süß er war? Mit diesen wuscheligen Haaren, die ihm wirr über die Stirn fielen und den grünen Augen, machte er mich echt fertig. Aber wie bereits mehrfach erwähnt, er war der Bruder meiner besten Freundin. Meiner allerbesten Freundin, die mich drei Köpfe kürzer und ihn unter der nächst besten Gartenlaube verscharren würde. Das sollten wir besser nicht riskieren. Geräuschvoll stand Paul auf und zog mit einem genervten Schnauben die Aufmerksamkeit auf sich. „Ich hol mir 'n Bier", zischte er mit geballten Fäusten, warf mir einen kurzen Blick zu und marschierte dann sichtlich angepisst in Richtung Haus. Schuldbewusst sah ich zu Boden und verkroch mich noch ein Stück tiefer in den Pullover. Das war lächerlich. Er hatte sich schon ganz andere Dinge geleistet, trotzdem konnte ich nichts gegen das schlechte Gewissen anrichten, dass sich in mir ausbreitete. In diesem einen, flüchtigen Blick lag soviel Wut, Schmerz und sogar Verzweiflung, dass sich mein Herz auf einmal doppelt so schwer anfühlte.

Nach einer Viertelstunde kam Paul zurück. Nicht mehr ganz so angepisst und ohne Bier. Ich mied jeglichen Augenkontakt und betrachtete intensiv meine Schuhe. Ernsthaft, wie oft sollte er sich denn noch meinetwegen verwandeln? Wir waren einfach keine gute Mischung, eher eine ganz miese Laune der Natur. Oder eine gehässige, nicht durchdachte Aktion von Gott. So nach dem Motto: „Boah, was hab ich Langweile. Wodka ist auch schon leer. Jesus, bring mir zwei nicht miteinander kompatible Personen aus einer Kleinstadt und den Pfeil von dem wolkenspringenden Schwuchtel. Den Rest erledige ich. Oh, und vergiss den Whiskey und das Popcorn nicht. Das wird ein Spaß". So ähnlich lief es wahrscheinlich ab. „Ist ein bisschen kalt, oder?", fragte Rachel unnötigerweise in die Runde. Kim und Ness, die beide jeweils eingekuschelt auf dem Schoß ihrer Kerle saßen, nickten zustimmend. Ich zuckte nur mit den Schultern, denn ich wusste genau, worauf das hier hinauslief. Paul verstand die Anspielung offenbar auch. Wortlos legte er seinen muskulösen Arm um sie und zog sie näher an sich. Rachel schenkte ihm ein zufriedenes, glückliches Lächeln. Dieser miese, kleine Penner! Möge ihm bei der nächsten Caprisonne der Strohhalm fehlen! Ich, seine verfluchte Prägung, bekam nur diesen abgenutzten Pullover und sie direkt mal Körpernähe? Sein beschissener Ernst?! Ich würde ihn umbringen. Ohne Scheiß, bei der nächsten Gelegenheit überfuhr ich ihn. Mehrmals. Und wenn er sich nicht mehr bewegt, würde ich den Rückwärtsgang einlegen und nochmal drüber fahren „Hast du auch kalt?", Zane lehnte sich flüsternd zu mir rüber. Kurz dachte ich nach. Paul hätte eine Retourkutsche echt verdient. Karma und so. Aber anderseits, war ich nicht so ein riesengroßer, nur an sich denkender, taktloser Arsch, wie er es war. „Hab warm", antwortete ich schließlich und schenkte ihm ein kurzes, aufrichtiges Lächeln. Zane war so viel mehr wert und er war gewiss kein Ball in einer unnötigen Schlammschlacht. Drauf geschissen was Paul tat. Es war unwichtig. Er war unwichtig. Ich saß hier mit Seth, Zane, meiner Schwester und ein Paar anderer Leute, die eigentlich alle ganz cool waren. Paul war nicht der Mittelpunkt der Welt, schon gar nicht meiner und er war nicht für meine Stimmung verantwortlich. Es wurde Zeit, dass ich den Abend genoss und Spaß hatte, ohne darauf zu achten, was Paul tat oder ob es ihn provozieren oder verletzten könnte. Er gab einen Fuck auf die Prägung, ich sollte verdammt nochmal das Gleiche tun. Ab jetzt würde ich mich amüsieren. „Hat wer Lust auf Flaschendrehen?", durchbrach Quil die unangenehme Stille. Ich legte meine Stirn in Falten. Zugegeben, das war nicht unbedingt meine Vorstellung von amüsieren aber naja, besser als nichts. „Bin dabei", kam es entschlossen von mir. Falsche Entscheidungen treffen war halt voll mein Ding. 

Er kam, er sah und er ging - Prägung auf Umwegen (Twilight FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt