8. Kapitel
Eine Lüge ändert nicht die Wahrheit
Stillschweigend saß die junge Cullen auf dem Rücksitz des blauen Honda. Ihren Blick hatte sie starr aus dem Fenster gerichtet. Liam sprach seit ihrer Abfahrt aus dem Reservat nur von Lea. Carlie bekam jedoch nur Bruchteile davon mit. Zu sehr war sie in Gedanken versunken. Zane schien ebenfalls nicht zuzuhören und blickte nachdenklich geradeaus. Weder er, noch sie hatten bis jetzt ein Wort gesagt. Liam störte es offenbar nicht, dass ihm keiner richtig zuhörte und wenn doch, ließ er sich nichts anmerken – er redete unbeirrt weiter. Als Carlie zurück ins Haus von Sam und Emily kam, wirkte sie aufgebracht. Renesmee wollte direkt zu ihr eilen, doch Carlie hatte sie mit einem kaum merklichen Kopfschütteln daran gehindert. Was immer in dieser Scheune vorgefallen war, es hatte ihr wehgetan. Dessen war Zane sich sicher und er hätte, neben Paul eine ordentlich in die Fresse zu schlagen, nichts lieber getan, als Carlie an Ort und Stelle in die Arme zu nehmen und zu trösten. Er wusste nicht, wielange er schon in sie verliebt war. Es war schleichend passiert, fast unbemerkt und ehe er es realisiert hatte, war er längst in ihren Bann gezogen. Er wünschte, er hätte jetzt ungestört mit ihr reden können. Die Sache zwischen ihnen klären und hoffentlich auf einen Nenner kommen. Carlie war dagegen ganz froh, fast schon erleichtert, dass sie nicht alleine mit ihm im Auto saß. Sie wusste, dass sie noch über die Geschehnisse beim Flaschendrehen sprechen mussten, doch nicht jetzt. Für heute hatte sie genug Drama. Alles was sie wollte, war, sich in ihrem Zimmer verkriechen, die Decke über den Kopf ziehen und in Selbstmitleid versinken, während im Hintergrund ein beschissenes Liebeslied aus den Lautsprechern ertönte. Noch nie hatte sie sich in ihrem Leben so erniedrigt gefühlt. Und enttäuscht. Und verraten. So verdammt verraten. Doch das verrückte war, dieser Schmerz, den sie im Moment so deutlich spürte, galt nicht mal unbedingt Paul. Natürlich war da diese unnatürlich mächtige Anziehungskraft, doch was wirklich schmerzte, war, wie ihre Vorstellung von wahrer Liebe elendig zu Grunde ging. Sie konnte ihr förmlich beim verrecken zusehen. Sie trauerte dem Seelenverwandten nach, den sie hätte haben können. Das Thema war für sie nun endgültig erledigt. Sie war fertig mit ihm. Ihretwegen konnte die Hölle diesen Idioten wieder zurückhaben, denn sie wollte ihn auf keinen Fall mehr. „Leah ist wirklich nett", erreichten Liam's Worte ihre Ohren. Unbewusst zog sie ihre Augenbrauen in die Höhe. Das war das erste Mal, dass jemand in Zusammenhang mit Leah, das Wort ‚nett' benutzte. War doch ziemlich ungewohnt. „Leah ist toll", pflichtete sie ihm bei. Ein wenig angsteinflößend aber toll. Liam sah lächelnd vom Rückspiegel aus zu ihr. Er wirkte glücklich. Ob es einfach an Leah lag oder daran, dass er nicht länger Selbstgespräche führen musste, war für Carlie nicht ganz ersichtlich. Sie vermutete jedoch ersteres. „Frag sie doch nach einem Date", schlug sie plötzlich vor. Unsicher sah er sie an. „Denkst du, sie würde ja sagen?", wollte er wissen. Carlie konnte nicht anders, als zu lächeln. „Das wird sie ganz sicher", antwortete sie ehrlich. Sie kam nicht drumherum zu denken, dass eine Prägung ganz genau so ablaufen sollte. Ungezwungen. So einfach wie atmen. Bei Liam und Leah schien das so leicht zu sein. Wie zwei Magnete, die sich fanden und direkt wussten, dass sie zueinander gehörten. Sie sahen sich an und fühlten es vom ersten Moment an. Da war nichts toxisches, kein Zwang. Nur ganz viel Liebe, Glücksgefühle und inneren Frieden. Gequält richtete sie ihren Blick nach unten. Wieso konnte Paul keinen Frieden finden? Oder wenigstens Akzeptanz. Doch was immer sein Problem war, es sollte nicht zu ihrem werden. Liam fuhr in die Einfahrt und kam vor dem Anwesen der Cullens zum stehen. „Danke fürs nachhause bringen", bedankte Carlie sich und lächelte Liam leicht an. „Kein Problem", erwiderte dieser. Sie schlug vorsichtig die Autotür zu und wollte gerade die Stufen zum Hauseingang bestreiten, als Zane aus dem Auto trat. „Carlie, warte!", rief er ihr nach. Überrascht drehte sie sich zu ihm um. Er eilte auf sie zu. Dicht vor ihr kam er zum stehen. Unsicherheit schimmerte in seinen Augen. „Ist alles okay?", fragte sie und sah ihn besorgt an. Er schien mit sich zu hadern. „Du bist wundervoll und jeder, der das nicht sieht, ist ein Idiot", sagte er schließlich. Er wollte noch mehr sagen, doch dafür fehlte ihm der Mut. Carlie lächelte ihn sanft an. „Danke", sagte sie ehrlich und umarmte ihn ohne nachzudenken. Fast schon behutsam legte er seine Arme um sie und erwiderte die Umarmung. "Du weißt, dass Zoey uns auf der Stelle umbringen würde, würde sie uns so sehen?", fragte Carlie nach einigen Momenten schwach lächelnd in seine Halsbeuge. "Nur mich, dich würde sie verschonen", antwortete Zane grinsend. "Aber ich wäre bereit, es zu riskieren", fügte er leise hinzu. Ein glückliches lächeln bildete sich auf ihren Lippen. "Ich werd dich dran erinnern", kam es von ihr, als sie sich aus der Umarmung löste. "Versprochen?", fragte er und strich kurz über ihre Hand, als er seine Arme von ihr nahm. "Versprochen", antwortete sie und schenkte ihm nochmal ein Lächeln, ehe sie sich umdrehte und die Stufen hochschritt. Mit einem guten Gefühl kehrte Zane an das Auto zurück. Als er einstieg, grinste sein älterer Bruder ihn breit an. "Und ich dachte schon, das wird nie was", kam es direkt von diesem und klopfte seinem kleinen Bruder stolz auf die Schulter. Zane verdrehte nur grinsend die Augen
Als der Wagen davonfuhr, nahm sie den Türgriff in die Hand und zögerte für einen kurzen Moment. Sobald sie eintrat, durfte sie sich nichts anmerken lassen. Ein kurzes stottern, scharfes einatmen oder Blick abwenden reichte aus, um ihr Kartenhaus der Lügen zum einbrechen zu bringen. Ihre Eltern waren wie ein biologisch abbaubarer Lügendeketor. Sie rochen förmlich die Angst und das Adrenalin. Carlie wusste, dass sie die Prägung nicht ewig vor ihnen geheim halten konnte. Spätestens morgen, wenn Renesmee nachhause kam und ihr Vater ihre Gedanken las, würde sie alles beichten müssen, doch bis dahin würde sie sich gerne in angenehmes Schweigen hüllen und die Ruhe vor dem Sturm genießen. Morgen würde sie es ihnen sagen, versprochen. Gleich nachdem sie alle Jagen geschickt und haufenweise Lavendel besorgt hätte. Sie schluckte das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend runter und setzte das beste Pokerface auf, dass sie drauf hatte. ‚Wird schon schief gehen', dachte sie sich, als sie den Türknauf nach unten drückte und eintrat.
Sie zuckte heftig zusammen, als sie ihren Vater direkt hinter der Tür stehen sah. „Scheiße, Dad! Willst du mich zu Tode erschrecken, oder was?", keifte sie ihn an und griff sich theatralisch ans Herz. "Na, sieh mal einer an. Eine meiner verloren gegangenen Töchter ist heimgekehrt", Edward stand mit verschränkten Armen vor ihr. Auf seinem Gesicht ein tadelndes aber liebevolles Lächeln. Er hatte sie bereits erwartet, natürlich. Sie zuckte grinsend mit den Schultern. "Es sind Ferien, Dad. Das muss man ausnutzen", rechtfertigte sie sich. „Dann sollte ich wohl froh sein, dass am Montag wieder die Schule anfängt", meinte er trocken. Sie seufzte theatralisch. „Du weißt auch, wie man einem den Abend versaut", erwiderte sie. Er schenkte er ihr ein letztes Lächeln, ehe sein Blick ein wenig ernster wurde. „Wieso hast du vor der Tür gestanden und bist nicht gleich reingekommen?", wollte er wissen. Carlie unterdrückte die aufkommende Panik und blieb gespielt cool. „Wieso stehst du hinter der Tür?", stellte sie unbeeindruckt eine Gegenfrage. „Carlie", ermahnte Edward seine Tochter leicht. Sie schnaubte. „Ich hab nachgedacht", gab sie schließlich zu. „Worüber?", wollte er wissen. „Ob ich die Familie wechsel. Du weißt schon, eine Familie die weiß was Privatsphäre bedeutet", antwortete sie. „Und du meinst, die nehmen dich auf?", prüfend zog er seine Augenbrauen in die Höhe. „Und genau deswegen, stand ich vor der Tür und hab überlegt, ob ich reinkomme oder besser wieder umdrehe und bei Zoey übernachte". „Wo du dann ganz zufällig wieder auf diesen Zane triffst?", wollte Edward mit einer väterlichen Überfürsorge wissen. Carlie grinste und sah gespielt ertappt zu Boden. Diese falsche Fährte kam ihr gerade sehr gelegen. „Ich mag diesen Typen nicht", kam es nachdenklich von Edward. Carlie verdrehte grinsend die Augen. „Witzig, Charlie sagte das gleiche mal über dich", erinnerte sie ihn lachend. Edward wand fast schon schmollend den Blick ab. „Streu kein Salz in die Wunde, Liebling", kam es amüsiert von Bella, die auf ihre Tochter zuschritt. Sie umarmte ihre Tochter liebevoll. Als sie sich von ihr löste, sah sie ihr besorgt in die Augen. "Wie war es auf Billy's Geburtstag? Charlie sagte, dass du frühzeitig wieder gegangen bist. Ist irgendetwas vorgefallen?", wollte sie wissen. "Nein, nichts", antwortete Carlie schulterzuckend. "Aber wieso bist du so früh gegangen?", fragte Bella erneut und sah ihre Tochter prüfend an. Carlie dachte schnell nach. Sie brauchte eine triftige Ausrede. Eine, in der sie nicht zu sehr in Details gehen musste. "Zoey brauchte mich", antwortete sie. "Haben die Wölfe dir was getan?", hackte Edward nach, der das zögern bemerkte. "Nein", sagte Carlie und verdrehte gespielt genervt die Augen, „Keine Bisswunden, keine Kratzer. Alles gut". Er betrachtete sie misstrauisch. "Der Pullover", fing Edward an und deutete auf den schwarzen Hoodie, denn sie dummerweise ganz vergessen hatte und immer noch trug, "Er riecht nach einem der Wölfe". Carlie versuchte gelassen zu bleiben. "Liegt wohl daran, dass er einem von ihnen gehört", kam es gespielt cool von ihr. "Aber es ist nicht Jacob's oder Seth's Pullover", stellte er stirnrunzelnd fest. "Keine Ahnung, der Pulli lag da und Emily meinte, ich soll ihn anziehen", log sie und zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. "Verstehe", erwiderte ihr Vater und schien ihr die Sache nicht ganz abzunehmen, beließ es aber dabei. "Wenn ihr dann also mit eurem Verhör fertig seit, würde ich ganz gerne hoch in mein Zimmer gehen", kam es entschuldigend lächelnd von ihr und schlängelte sich an ihren Eltern vorbei. Sie spürte ihre stirnrunzelnden Blicke auf ihrem Rücken. „Ist wirklich alles gut?", rief Bella ihr fragend nach. Carlie drehte sich seufzend um. „Ja, ist es. Da war nichts vorgefallen. Ich war heute zum Beispiel wieder im Reservat", antwortete sie. „Du warst was?", kam es von Edward wie aus der Pistole geschossen. „Emily hatte mich zum Essen eingeladen. Ich glaub, sie mögen mich", meinte Carlie grinsend. Abgesehen von diesem einen, bestimmten Wolf. Bella legte ihrem Mann eine Hand auf den Arm, um ihn zu beruhigen. „Ich finde es schön, dass du dich mit ihnen anfreundest aber pass bitte auf dich auf, einverstanden? Du weißt, das ihr Gesetz nur deine Schwester schützt", erklärte sie. „Keine Sorge, ich hab nicht vor jetzt jedes Wochenende im Reservat zu sitzen", antwortete Carlie augenverdrehend. Eigentlich hatte sie vor, nie wieder das Reservat zu betreten. „Gut", erwiderte ihr Vater, „Es reicht schon, das deine Schwester ständig nach Hund riecht". Den letzten Abschnitt murmelte er eher und bekam prompt einen halbherzigen Schlag von Bella gegen die Schulter. „Ich geh schlafen, bis morgen", kam es schnell von Carlie und nutzte die Chance zum abhauen, während ihre Eltern diskutierend zurückblieben.
Sie ging in ihr Zimmer, holte sich eine Unterhose, eine hellgraue Jogginghose und ein weißes Shirt mit Scooby-Doo Motiv aus dem Schrank und marschierte damit ins Badezimmer. Dort angekommen, schloss sie die Tür hinter sich zu. Gerade als sie den Pulli über ihren Kopf zog und in den hölzernen Wäschekorb befördern wollte, stoppte sie in ihrer Bewegung. Gedankenverloren starrte sie auf das Stoffbündel in ihrer Hand. Kurz überlegte sie, den Pullover beim schlafen anzulassen aber dann fiel ihr wieder ein, was für ein gigantisches Arschloch Paul doch war und wie armselig es wäre, mit seinem Pullover einzuschlafen. Er konnte von Glück reden, dass sie den Pulli nicht mit Juckpulver einrieb. Sie drückte den schwarzen Hoodie nochmal an ihr Gesicht und nahm einen letzten, tiefen Atemzug, ehe sie realisierte was sie tat und ihn schnell in den Wäschekorb warf – fast so, als wäre er in Gift getränkt. Warum musste Paul aber auch nur so verdammt gut riechen? Könnte er nicht einfach nach einem verwesten Stinktier am Straßenrand riechen? Das würde alles so viel leichter machen und charakterlich würde der Geruch auch viel besser zu ihm passen. Nachdem sie geduscht hatte, ging sie zurück in ihr Zimmer. Sofort schmiss sie sich aufs Bett und vergrub ihr Gesicht im Kopfkissen. Wieso fühlte sie sich, als hätte sie Liebeskummer, wenn sie doch noch nicht mal in ihn verliebt war? Wie schaffte er es, sie so aus ihrer Bahn zu werfen, wenn es ihr doch eigentlich egal sein sollte? Sie hasste es zuzugeben, doch er hatte sie gefesselt, vom ersten Moment an. Aber ihn zu lieben wäre wie russisches Roulett – alles oder nichts.
Am nächsten Morgen war sie war gerade dabei sich ihre Schuhe anzuziehen, als sie Seth's Stimme hörte. Es dauere ein paar Sekunden, bis sie realisierte, dass sie womöglich gerade aufflog. "Fuck!", zischte sie und rannte panisch aus dem Zimmer, geradewegs die Treppe runter. Vielleicht hatte sie Glück und Seth hatte noch nicht an die Sache mit der Prägung gedacht. Sie flog die letzten Stufen fast hinunter, konnte sich im letzten Moment allerdings noch fangen und kam gefährlich schwankend vor Seth und Edward zum stehen. Ihr letzter funken Hoffnung wurde zunichte gemacht, als sie den strengen Blick ihres Vaters sah.
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Er kam, er sah und er ging - Prägung auf Umwegen (Twilight FF)
FanfictionCarlie Elizabeth Rose, jüngere Zwillingsschwester der bezaubernden Renesmee Cullen. Weniger talentiert, weniger perfekt. Als sie zum ersten Mal La Push betritt, hatte sie mit vielem gerechnet, aber nicht mit dem Bombenhagel, der plötzlich in ihrem...