Mein Leid und deine Wahrheit

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Perry Cox war schon fast überrascht, als er am nächsten Morgen erwachte. Er hatte tatsächlich drei Stunden schlafen können. Sein Blick fiel auf die Uhr. Es war neun. Wenn er den Psychologen aufsuchen wollte, dann sollte er es jetzt tun, da dieser am Nachmittag sicher viele Termine haben würde. So stand Perry auf, zog sich an und kochte einen schnellen Kaffee. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er in den letzten Tagen kaum etwas gegessen hatte. Er ging zum Kühlschrank und machte sich ein Sandwich, auch wenn sein Hunger nicht besonders groß war. Er griff zum Handy und überlegte, ob er J.D. schreiben sollte, ihn bitten noch mal in die Wohnung zu kommen, aber er verwarf den Gedanken. Noch immer fehlten ihm schlicht die Worte, noch immer war er nicht sicher, was er wollte und brauchte. Er leerte seine Kaffeetasse und verließ die Wohnung. Er fühlte sich nicht fit, aber ausgeruht genug, um mit dem Porsche in die Stadt zu fahren.

Als er vor dem großen Gebäude mit der Glasfassade stoppte, sank sein Mut. Was sollte er dem Psychologen schon erzählen, dass er es mal wieder versaut hatte? Er wollte schon weiterfahren, als er wieder Marc und dann J.D. vor sich sah. Nein, dachte Cox, so konnte es nicht weitergehen und wenn er je wieder schlafen wollte, dann musste er sich dem jetzt stellen. Er stieg aus und fuhr mit dem Fahrstuhl in den zehnten Stock. Als er die Praxis betrat, sah er zu seiner Überraschung nicht die Assistentin des Arztes, sondern ihn selber hinter dem Empfangstresen sitzen. Dieser sah nun auf, als die Tür aufging und stutze.

»Perry Cox? Das ist ja mal eine Überraschung!«, sagte Dr. Carston und stand auf.

»Guten Morgen, ich hoffe, ich störe nicht?«, sagte Perry und gab dem Psychologen die Hand.

»Nein, das nicht, allerdings fahre ich morgen in den Urlaub und daher ist die Praxis geschlossen. Ich wollte nur noch zwei Dinge erledigen«, sagte er nachdenklich.

»Oh, ich ... also ich dachte, Sie hätten vielleicht etwas Zeit für mich. Aber wenn...«, begann Perry, aber Carston hob den Arm.

»Nein, nein bleiben Sie nur. Sie waren seit vier Jahren nicht mehr hier und ich hatte mich wirklich gefragt, wie es Ihnen geht. Also los, kommen Sie rein, denn wenn ich Sie so ansehe, dann haben Sie Probleme...«, sagte er und führte Perry in das Behandlungszimmer.

Gegenwart

Dr. Emil Carston sah sein Gegenüber lange an. Er kannte Perry schon lange. Dieser war schon bei ihm gewesen, als dieser Marc noch nicht kannte, er mit Depressionen kämpfte und sein Leben ständig hinterfragte. Nun saß Perry wieder bei ihm nach vier Jahren, in denen er offenbar jemanden gefunden hatte, der seine Dämonen in Schach hielt.

»Mhmm ...«, machte er und Perry sah das erste Mal, seit er angefangen hatte zu erzählen auf.

»Wie ‚mhmm'? Ist das alles?«, wollte er wissen.

»Was wollen Sie hören Perry?«

»I-Ich weiß nicht. Vielleicht will ich nur einen Rat oder eine Analyse. Gott, keine Ahnung!«, sagte Perry und rieb sich den Nasenrücken.

»Sie sagten, dass Sie nicht wissen, was Sie fühlen und ich sage Ihnen jetzt etwas, dass Sie sich bis zum Ende anhören werden, verstanden?«, die Worte des Arztes verfehlten ihre Wirkung nicht. Zögernd nickte Perry.

»Sie hatten eine furchtbare Kindheit Perry, aber es ist an der Zeit diese hinter sich zu lassen. Sie wurden verlassen, geschlagen und gedemütigt. Und wissen Sie was, Sie haben eine solche Angst davor, genau wie Ihr Vater zu werden, dass Sie jeden von sich stoßen, der Ihnen zu nahe kommen könnte. Jemand, der zu tief in Sie blicken könnte. Nicht einmal Marc, weiß bis heute von dieser Angst, nicht wahr?«, Perry schüttelte den Kopf.

»Also Sie wollen wissen, was sich geändert hat? J.D. hat in Ihnen etwas ausgelöst. Sie wollten ihn von Anfang an beschützen. Sie sind sich, so wie ich das sehe, sehr ähnlich. Sie hatten beide keine so schöne Kindheit und Sie sind beide hervorragende Ärzte, nicht nur wegen ihres Wissens, sondern weil Ihnen beiden die Patienten am wichtigsten sind. Und nun sage ich Ihnen, warum Sie nicht schlafen können! Sie lieben diesen Jungen so sehr, dass Sie es nicht ertragen, nicht zu wissen, wie es ihm geht, wo er ist, was er macht. Sie sorgen sich um ihn und Sie haben Angst, Sie haben Angst, dass wenn Sie sich auf ihn einlassen, er Sie irgendwann verlassen könnte. Aber Perry, diese Angst hat jeder in einer Beziehung. Der Trick daran ist, sich davon nicht bestimmen zu lassen. Ein Kind, das zum ersten Mal auf dem Fahrrad sitzt, wird Angst haben, sich denken, dass es das nicht kann. Es wird fallen, vielleicht einmal, vielleicht zweimal, aber es wird wieder aufsteigen. Was wäre es denn auch für eine Welt, in der niemand etwas ausprobiert, vor dem er Angst hat?«

Mein Licht in dunkler NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt