Kapitel 2

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Heute

„Emma Essen ist fertig!"

„Jaa Jenny. Ich komme gleich!", schreie ich lauthals zurück.

Ich gehe die Treppe runter in das Wohnzimmer. Alles kommt mir noch so neu vor. Die Treppenstufen sind höher als gewohnt und die Wände sind so rau, dass wenn man sie auch nur etwas streift, schon Kratzer auf der Haut hat.

Daran werde ich mich schon noch gewöhnen. Ich wohne ja auch erst zwei Tage hier. Es gefällt mir eigentlich recht gut.

Langsam trotte ich zum dem grossen Holztisch in der Mitte des Raumes und setze mich auf einen der vier Stühle. Meine Pflegemutter tritt von der modern eingerichteten Küche ebenfalls in den Raum.

Jenny ist eine Frau, mit dunkelbraunen Locken und einem freundlichem Lächeln. Ich denke sie ist so ungefähr 25 Jahre alt. Sie stellt einen Teller mit lecker riechendem Essen vor meine Nase.

„Danke vielmals. Es sieht super aus", bedanke ich mich.

„Bitte." Sie lächelt mich an.

„Ich hoffe es schmeckt", fügt sie noch hinzu.

Ich probiere ein wenig und bin sogleich verzaubert.

„Ja es ist perfekt. Wie kannst du das nur? Ich bringe nicht mal eine Tiefkühlpizza zustande", bewundere ich ihre Kochkünste.

Da ich wirklich nichts Vernünftiges kochen kann, haben ich und Jenny uns darauf geeinigt, dass sie das Kochen übernimmt und ich dann den Abwasch nach dem Essen mache.

Anfangs wollte sie gar nicht, dass ich irgendetwas mache. Sie meinte, ich solle mich zuerst einmal einleben. Ich habe ihr aber klar gemacht, dass ich mich sonst nutzlos fühle. Daraufhin hat sie eingewilligt.

„Übung macht den Meister", meint sie ermutigend zu meiner Aussage von vorhin.

„Übrigens. Ich wollte dich noch fragen, ob du vielleicht ein wenig über dich erzählen willst? Klar weiss ich ein paar Dinge von deinem Leben aus der Akte vom Kinderheim. Aber es ist viel interessanter, wenn Leute ihre Geschichte selber erzählen. Natürlich nur wenn du willst."

Ob ich will? Eigentlich nicht wirklich. Es ist mir zu persönlich. Ich kenne Jenny erst seit ein paar Tagen. Sie ist zwar wirklich nett, trotzdem stehen wir uns noch nicht so nahe, dass ich ihr alles erzählen möchte. Jedoch ein bisschen etwas kann ich bestimmt erzählen. Ich kann ja einige Dinge weglassen.

Also antworte ich: „Hmm ja, kann ich machen. Wie du ja weisst, ist mein Name Emma Stones, im Moment 15 Jahre alt und von meiner Familie ist nur noch meine Oma übrig. Sie musste leider ins Altersheim und konnte mich nicht mehr weiter grossziehen. Deswegen kam ich mit 11 ins Kinderheim", fange ich an zu erzählen.

„Was ist denn mit deinen Eltern passiert?", fragt sie vorsichtig.

Ich seufze leise.

„Meine Eltern sind bei einem Autounfall gestorben. Das war vor 15 Jahren. Ich war damals gerade mal 5 Monate alt, weswegen ich mich auch nicht mehr an sie erinnern kann." Ich habe leider wirklich keine Erinnerungen mehr an die Beiden. Trotzdem stelle ich mir oft vor, wie es wohl wäre mit Eltern aufgewachsen zu sein.

Also mit so richtigen Eltern. Solche, die sich um dich kümmern und dich lieben. Klar, Pflegeeltern oder die Leute im Heim haben sich auch gut um mich gekümmert und sie hatten mich bestimmt auch gern.

Trotzdem glaube ich, dass eine Beziehung zwischen Kind und Eltern anders ist. Wahrscheinlich so ungefähr, wie die zwischen mir und meiner Oma. Ich muss ich sie unbedingt bald wieder einmal besuchen.

„Oh nein. Das tut mir leid." Mitleidig sieht sie mich an.

„Naja ich kannte sie ja nicht. Also alles gut." Ich lächle leicht. Der Verlust von ihnen hat mich nie wirklich traurig gemacht. Da war das Verschwinden von meinen...- Egal! Unterbreche ich meine Gedanken. Wenn ich jetzt an sie denke, werde ich den restlichen Tag depressiv im Bett liegen und mir Selbstvorwürfe machen, warum ich sie nicht aufgehalten habe.

„Hey Emma, was ist los?", fragt Jenny besorgt. Erst jetzt bemerke ich, dass ich mich an meiner Halskette festgekrallt habe. Schnell löse ich meine Hand von ihr und schaue Jenny an.

„Sorry ich war in Gedanken. Hast du etwas gesagt?" Sie nickt, meint dann aber: „War aber nicht so wichtig. Ist bei dir wirklich alles in Ordnung?"

„Jaja alles bestens. Ich habe einfach nur über etwas nachgedacht."

„Okay", erwidert Jenny. Sie mustert mich aber immer noch besorgt.

Ich glaube ich und Jenny werden uns noch richtig gut verstehen. Sie sorgt sich jetzt schon so um mich, als wäre ich ihr Kind.

„Übrigens, ich habe dich für die Schule hier in der Nähe angemeldet. Du wirst ab Montag hingehen, wenn das für dich okay ist", meint sie nach einem Moment der Stille.

„Ja klar. Auf welche Schule gehe ich denn?" Chicago ist schliesslich eine grosse Stadt.

„Du wirst auf die Whitney Young Magnet High School gehen. Sie ist hier fast um die Ecke."

„Oh, auf dieser war ich früher auch. Weisst du, ich habe bis ich 11 war, auch in Chicago gewohnt."

„Dann kennst du ja vielleicht sogar noch die ein oder andere Person", freut sich Jenna.

„Ja vielleicht." Ich bin nicht halb so begeistert wie Jenny.

Wenn mich jemand wieder erkennt, wird er sich auch an das ganze Drama von damals erinnern. Eigentlich habe ich das alles schon ziemlich verdrängt und will nicht mehr daran denken. Hoffentlich wird mich niemand erkennen.

Ich habe keine Lust auf die mitleidigen Blicke von Leuten. Hoffen wir das Beste. Ich habe mich in den letzten 4 Jahren schliesslich auch verändert.

Rückkehr  - Wenn alte Wege sich wieder treffenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt