Kapitel 8

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POV Emma

Es fühlt sich komisch an nach so langer Zeit wieder mit Liam zu reden. Auf eine Art kennen wir uns noch so gut und trotzdem sind wir uns fremd. Zwischen uns herrscht seit einiger Zeit wieder Stille. Er hat auf meinen Monolog nicht geantwortet, doch ich kann ihm sein schlechtes Gewissen ansehen und denke oder hoffe zumindest, dass er versucht sich wieder zu ändern. Sonst werde ich meine Drohung wahr machen. Das steht fest. Wieso hat er sich nur so verändert?

Um das herauszufinden unterbreche dieses Mal ich die Stille.

„Welche Wut musst du eigentlich loswerden?" Überrascht starrt Liam mich an. Mit der Frage hat er anscheinend nicht gerechnet. Ein kurzer Moment vergeht, bis er anfängt zu reden. „Als du gegangen bist, musste ich mir neue Freunde suchen. Da habe ich Zac und Tristan kennengelernt. Anfangs war alles ganz normal." Etwas verwirrt schaue ich ihn an. „Meinst du damit, dass ihr damals noch keine Kinder terrorisiert habt? ", frage ich ihn.

„Ja. Terrorisieren ist aber auch etwas übertrieben. So schlimm sind wir auch nicht. Wir haben nie jemanden ernsthaft verletzt. Jedenfalls haben wir erst etwa vor zwei Jahren damit angefangen."

„Okay aber wieso Wut ablassen? Das hast du immer noch nicht beantwortet. Und warum tut niemand was dagegen?" Verständnislos sehe ich ihn an. Es gibt ja schliesslich auch noch Lehrer.

„Ja. Nicht so ungeduldig", meint er schmunzelnd. Dann fährt er etwas leiser fort: „Vor zwei Jahren ist Mom gestorben und zu Hause lief es dann so gar nicht mehr. Weil Vater arbeiten gehen musste und Lya keine fremden Menschen an sich ran liess, musste ich meine Schwester sozusagen alleine grossziehen. Sie war damals ja gerade einmal 5."

„Oh nein Liam! Das tut mir so Leid." Ich schliesse ihn in eine Umarmung. Gerade ist es mir komplett egal, wie sehr er sich verändert hat. Ich weiss wie sehr er seine Mutter geliebt hat. Er hat bestimmt sehr gelitten.

„Ist schon gut Emily. Du bist ja nicht Schuld", wiederholt er meine Worte von vorhin und löst sich aus der Umarmung.

„Trotzdem." Mitleidig sehe ich ihn an.

„Ich habe es dir auch gar nicht wegen deinem Mitleid erzählt. Es war mehr der Auslöser der ganzen Sache. Nach Mom's Tod, hat sich so viel verändert. Die ganze Stimmung im Haus hat sich verändert. Vorher war alles so fröhlich und danach war die Luft so bedrückend im Haus. Lya verarbeitet das alles ziemlich schlecht. Deswegen habe ich versucht zuhause möglichst glücklich zu sein oder wenigstens so zu wirken. Damit es für meine Schwester etwas leichter ist. Aber irgendwo musste ich auch etwas Druck ablassen und dafür war die Schule halt der beste Ort. So habe ich Tristan und Zac mitgezogen und ja wie es jetzt ist", erzählt er weiter.

„Mhm", nuschle ich. „Auf eine Art verstehe ich dich. Mir gings damals als Luca und Levin weggegangen sind auch scheisse und nach der ersten Trauer war ich extrem aggressiv. Aber du solltest damit aufhören Liam. Es ist nicht richtig andere Menschen zu verletzen, wenn es dir selbst nicht gut geht. Es wird dadurch nicht besser." Eindringlich schaue ich ihn an. Er senkt den Blick und meint leise: „Wahrscheinlich hast du recht. Ich kann's ja mal versuchen."

Erleichtert lächle ich ihn an. „Das ist gut. Du kannst unsere Freundschaft ja als ansporn nehmen. Wenn du's nicht schaffst, gibt es Kontaktabbruch", sage ich scherzhaft. Er mustert mich kurz, bis er mein Schmunzeln sieht. Dann weiss er auch, dass es nur scherzhaft gemeint ist.

Vorhin stand ein erneutes Ignorieren durchaus noch auf der Liste des Möglichen. Ich habe ihm das vorhin ja auch noch gesagt. Jetzt kann ich es mir aber kaum noch vorstellen. Das Reden mit Liam tut gut und ich glaube er wird sich ändern. Inzwischen sind wir schon an meiner Strasse angelangt. Etwas beschäftigt mich noch. „Wie geht es Lya denn jetzt?", spreche ich meine Sorge aus.

„Es geht ihr gut. Das letzte Jahr war ganz schlimm. Sie hat sehr oft geweint und sie hatte viele Albträume. Doch mit der Zeit wurde es immer weniger und jetzt im Moment weint sie nur noch sehr selten und die Albträume sind soweit ich weiss komplett weg."

„Das freut mich sehr. Ich muss sie unbedingt mal wieder sehen." Ob sie wohl noch genauso anhänglich ist wie früher? Damals ist sie mir und Liam immer hinterhergerannt.

„Ja klar. Sie würde sich bestimmt freuen. Sie kann sich einfach nicht mehr so genau an dich erinnern. Sie war ja erst 3 Jahre alt damals."

„Ja stimmt."

Ich bleibe vor unserem Haus stehen. „Hier wohne ich seit Neustem."

„Sieht schön aus", komentiert er das Grundstück.

„Ist es", erwidere ich. Nach einer kleinen Weile verabschiedet Liam sich und geht. „Bis am Nachmittag", rufe ich ihm noch nach. Dann gehe ich rein und wärme mir mein Essen auf. „Super gemacht Emma", rede ich mit mir. Natürlich habe ich das Essen verbrannt. War ja klar.

***

Am Nachmittag laufe ich wieder zur Schule. Dort angekommen werde ich von einer ungeduldigen Maia erwartet.

„So, jetzt will ich eine Erklärung!", fordert sie. „Ich und Liam kennen uns von früher. Wir haben aber den Kontakt verloren, als ich umgezogen bin und jetzt bin ich zurück und er hat si-. „Tststs redet ihr gerade über mich?" Gespielt enttäuscht schaut er uns an.

„Wir doch nicht. Wie kommst du nur darauf?", sage ich unschuldig. Seine Mundwinkel ziehen sich in die Höhe. Maia sieht Liam misstrauisch an und nicht nur sie schaut zu uns. Mindestens die Hälfte der Leute, die auf dem Schulhof sind, starren uns überrascht an.

Das kann ja heiter werden.

Rückkehr  - Wenn alte Wege sich wieder treffenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt