Kapitel 11

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Zurück zum Hier und Jetzt. Unsicher hebe ich meinen Bick und starre zu meinen Brüdern. Es ist so unglaublich, dass sie hier stehen. Ich dachte ich sehe sie nie wieder. Auf der einen Seite bin ich so glücklich, auf der Anderen sehr wütend auf sie.

„Es tut uns leid Emma", äussert Luca. Schuldbewusst sehen die Beiden mich an.

„Spart euch die Entschuldigung. Wieso habt ihr das gemacht? Wieso seit ihr gegangen? Anfangs dachte ich ihr braucht einfach eine Auszeit und kommt dann schon wieder. Tage lang habe ich vor dem Fenster gesessen und gewartet, dass ihr den Weg in unsere Einfahrt entlang lauft. Mich so umarmt, wie früher. Doch ihr seit nie gekommen. Ihr habt keine Ahnung wie es ist, wenn man nicht mal weiss ob seine Brüder noch leben. Wie es ist ins Kinderheim zu müssen, weil man keine Verwanten mehr hat, die auf dich aufpassen können. Ihr habt keine Ahnung wie es ist. Also wieso? Wieso habt ihr das getan?" Den Schluss meines Monologes habe ich nur noch geflüstert.

„Du warst im Heim?", fragt Levin verwirrt.

„Ja. Ganze drei Jahre lang und das hätte ich nicht müssen, wärt ihr da gewesen. Ihr wart damals schon volljährig. Ihr wart alt genug um von mir das Erziehungsrecht zu erhalten, aber ihr wart nicht da. Also..."

Luca schaut mich geschockt an. „Was ist mit Oma passiert?"

„Ihre Demenz wurde schlimmer. Jetzt ist sie in einem Altersheim hier in der Nähe." Levin stöhnt frustriert auf. „Scheisse Em. Es tut uns echt leid okay. Wir mussten-"

„Ich habe gesagt es interessiert mich nicht, dass es euch leidtut. Wieso? Ich will nur wissen wieso!"

„Wir haben damals, als wir noch bei euch waren ziemliche Scheisse gebaut. Angefangen hat alles ziemlich harmlos. Wie viele Jugendliche haben wir aus Spass etwas Gras geraucht. Dadurch sind wir mit den falschen Leuten in Berührung gekommen. Wir gingen immer weiter und weiter. Irgendwann wollten wir aussteigen wirklich. Sie also das war so ne Gang, die hätten uns sogar gelassen. Wir sollten nur noch etwas Letztes erledigen. Der Auftrag war ein Päckchen voll Koks einem Händler zu überbringen", fängt Luca an zu erzählen.

Ich bin geschockt. Sie haben gedealt! Ich schüttle immer wieder den Kopf. Das kann doch nicht wahr sein.

„Seid ihr eigentlich komplett bescheuert? Wie konntet ihr das nur tun?"

„Wir haben es nur gemacht, damit wir nachher aus der Sache raus sind", versucht sich Luca zu verteidigen. „Aber so wie es jetzt klingt, habt ihr vor dem Auftrag schon ähnliche Sachen gemacht." „Ja, aber es war nie so viel und auch nur Gras."

„Trotzdem ich fassse es nicht. Wie konntet ihr nur?" „Ich weiss es doch auch nicht Em. Wir waren 16. Zu jung um zu wissen, was wir genau angerichtet haben und nachdem wir weggegangen sind, haben wir nie mehr was von dem Zeug angerührt. Jedenfalls hat Luca das Päckchen in seinen Rucksack getan. Doch dieser wurde uns kurz vor der Übergabe geklaut. Das Problem war, dass wir der Gang jetzt Geld schuldeten. Zu viel geld, um es zurück zahlen zu können. Doch sie wollten es unbedingt. Sie haben gedroht uns und unserer Familie, also euch etwas anzutun. Daraufhin sind wir verschwunden. Wir wollten nicht, dass ihr da hineingezogen werdet. Und ja", vervollständigte Levin Lucas Erklärung. Sie sind weggegangen, um mich und Oma zu schützen. Das erklärt so einiges. Wieso haben sie nur mit diesem Quatsch angefangen?

„Wo wart ihr eigentlich die ganzen Jahre?"

„Wir hatten in der Schule damals solche Brieffreunde von anderen Ländern. Wir haben den Kontakt mit ihnen nie ganz verloren und verstanden uns super mit ihnen. Anfangs sind wir dann bei ihnen untergekommen. Später dann haben wir Nebenjobs angenommen und konnten uns eine Wohnung leisten", erzählt Luca. „Und seit wann, seid ihr wieder hier?", frage ich. „Seit ungefähr eineinhalb Jahren. Wir wollten einfach etwas Gras über die Sache wachsen lassen. Wir wollten euch besuchen, aber du und Oma wart weg und die Nachbarn wussten auch nichts. Oder haben zumindest nichts gesagt." Das was Levin gesagt hat, kann gut sein. Wir hatten mit den Nachbarn noch nie ein gutes Verhältnis gehabt, ausser natürlich mit Liam und seiner Familie, aber sie sind, wie ich letztens erfahren habe, vor zwei Jahren in ein etwas kleineres Haus ebenfalls hier in Chicago gezogen.

„Wie wollen wir jetzt weiter machen? Wir können nicht so tun, als wäre nichts passiert. Das wäre komisch und ich kann euch auch noch nicht verzeihen, aber ich will euch nicht nochmals verlieren. Also was wollen wir tun?", sprech ich meine letzte Frage aus. „So tun, als wäre nichts passiert, ist wirklich nicht die Lösung. Aber vielleicht können wir ja zum Anfang einfach einmal pro Woche etwas zusammen machen. Und uns wie wieder neu kennenlernen", schlägt Luca vor. Ich nicke zustimmend. „Das klingt toll. Aber etwas müsst ihr mir noch versprechen: Geht nie wieder einfach so. Okay?"

„Versprochen", antwortet Levin prompt. Im selben Moment in dem auch Luca versprochen sagt.

Wir reden noch ein bisschen und tauschen Nummern aus, damit wir das nächste Treffen vereinbaren können. Danach verabschiede ich mich von den Beiden und gehe nach Hause. Dort muss ich Jenny die ganze Geschichte erklären. Sie sollte wissen, dass ich noch Geschwister habe und auch Maia ruft im Verlauf des Abends noch an. Auch ihr beichte ich die ganze Wahrheit.

Rückkehr  - Wenn alte Wege sich wieder treffenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt