Ein erstes Mal

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Am nächsten Morgen wurde ich etwas unsanft aus den Federn gerissen. Ein lautes Geräusch sorgte dafür, dass mein Hasenohr ruckartig nach oben schoss. Selbst als ich mich mit einem Ruck umdrehte und mein Kissen auf meine Ohren drückte, konnte ich dieses hässliche, unangenehme Geräusch nicht überhören. Wurde da jemand gefoltert oder warum war dieser Ton so grässlich?

Als das nächste Zischen ertönte, sprang ich aus dem Bett. Orientierungslos blieb ich für ein paar Minuten am Rand sitzen und rieb mir meine Augen, bis ich das unbekannte Geräusch einem lauten Schnarchen zuordnen konnte. Es kam eindeutig von nebenan, dort wo Shanks wohl tief und sehr laut schlief. Ich seufzte. „Hatte Ben das nicht erwähnt...?", fragte ich mich selbst und stand auf. Schnell ging ich ins Bad und führte meine Morgenroutine durch, danach stand ich fertig angezogen im Raum. Mit einem letzten wehleidigen Blick zum Bett verließ ich die Kajüte.

Mein erster Weg führte mich in die Küche. Ganz scheu streckte ich meinen Kopf durch die Tür und beobachtete die Köche ein wenig bei ihrer Arbeit. Am Ende wurde ich vom Chefkoch persönlich entdeckt. Grinsend drückte er mir gleich eine Tasse Kaffee in die Hand. „Guten Morgen, Sagi! Die Nacht gut überstanden? Mich wundert es, dass du schon so früh wach bist." Der Koch lehnte sich ein wenig gegen die Küchenzeile links neben der Tür. Als ihm eine seiner blonden Locken ins Gesicht fiel, pustete er sie einfach wieder weg.

Ich musste zuckte nur mit den Schultern und musterte kurz die Dämmerung durch ein Bullauge mir gegenüber. „Der Käpt'n schnarcht...", murmelte ich dann. Einstimmig ertönte von den Köchen ein einstimmiges Seufzen. Verwirrt blickte ich zum Chefkoch, welcher nur kicherte. „Du hast eine Kajüte neben ihn? Freiwillig? Tja, da musst du jetzt durch. Brauchst du noch mehr Kaffee?" Er klopfte mir auf die Schulter und deutete auf meine leere Tasse. Ich hatte das Getränk wieder auf einmal leer getrunken.

„Nein danke... ehm. Wie heißt du noch gleich? Ich habs vergessen...", peinlich berührt kratzte ich mir am Hinterkopf, während mir der Blonde die Tasse abnahm und laut lachte. „Tom. Ich heiße Tom." Mit roten Wangen und einer Entschuldigung auf den Lippen verabschiedete ich mich von Tom, während er hinter mir weiter lachte.

Erst als ich aus der Kombüse draußen war, verschwand der Scham. Mein nächster Weg führte mich ans Deck. Während ich über ein paar Alkoholleichen der letzten Feier stieg, musterte ich den Hautmast. Mit Freude stellte ich fest, dass alles an Ort und Stelle geblieben war. Ich kletterte trotzdem die Takelage nach oben und inspizierte die Klebestellen. Als meine Finger über den getrockneten Leim strichen, war ich wirklich zufrieden mit mir. Im besten Fall blieb das Wetter heute noch so schön windstill wie jetzt gerade und dann konnte von mir aus jedes Unwetter kommen, was die Neue Welt so zu bieten hatte.

Anstatt jedoch hinunter zu klettern, blieb ich einfach hocken und genoss die warme Sonne auf meiner Haut. Ich schloss sogar die Augen, auch wenn ich sie nach einer höheren Welle wieder öffnete und mich ins Holz festkrallen musste, um mein Gleichgewicht wieder zu finden. Mit klopfenden Herzen zog ich am Ende meine länger gewordenen Hasenkrallen aus dem Holz und seufzte.

„Hey Sagi, richtig? Sag mal, hast du einen Typen mit roten Hosen und Glatze gesehen? Er sollte meine Ablöse sein!" Die tiefe Stimme ließ mich zum Krähennest gucken. Tatsächlich hockte ich fast direkt neben dem Ausguck und blinzelte dem Mann entgegen. Ich kannte ihn nicht, wie ich feststellen musste. Aber ich war ja noch nie gut in Bekanntschaften schließen oder Gesichter merken. „Also viele liegen noch auf dem Deck und wach sind eigentlich nur ein paar Köche und die Nachtwache...", antwortete ich schließlich. Der Pirat mit dem gestreiften Hemd brummte unzufrieden. „Ich müsste dringend mal wohin ... und ich brauch Schlaf...", brummte er.

Kurz überlegte ich. Ich hatte ganz vergessen, dass es bestimmte Schichten und Arbeiten auf einem Schiff gab. Und ich hatte mich noch nicht erkundigt, wann ich Schicht im Krähennest oder Nachtdienst hatte. Also konnte ich genauso gut jetzt damit anfangen. Ich hatte sowieso nichts anderes vor.

„Dann geh runter. Ich kann die Schicht übernehmen. Weißt du, wer danach kommt?" Die Gesichtszüge des Piraten erhellten sich schlagartig. „Ja! Rick vom Navigatorenteam. Er würde zur Mittagszeit hier auftauchen." Ah, Rick kannte ich. Wenigstens etwas. Nickend kletterte ich also in das Krähennest und stand dem Mann kurz gegenüber. Er grinste und reichte mir seine Hand. „Danke! Ich bin im übrigen Mirco und gehöre zum Ärzteteam. Linux und du sind Freunde oder? Dann werden wir uns wohl noch öfter sehen." Der Braunhaarige grinste breit, schüttelte meine Hand und kletterte dann über den Rand des Ausgucks. „Eine Decke liegt zwar da, aber bei dem Wetter denke ich nicht, dass du sie brauchst. Dein Job ist im Prinzip ganz einfach. Wenn ein Schiff zu sehen ist, schreist du Schiff in Sicht. Wenn du es als ein Marineschiff identifizieren kannst, dann sind es eindeutig Feinde. Da das hier der vordere Hauptmast ist, musst du nur in Richtung Bug sehen. Der hintere Hauptmast ist für das Heck verantwortlich. Die zwei kleineren Masten jeweils für die Seiten. Klar?" Ich nickte breit grinsend. „Ja, das schaffe ich." „Gut!" Mirco hob den Daumen nach oben, dann verschwand er schon nach unten.

Ich drehte mich derweil in Richtung Osten, der mittlerweile aufgehenden Sonne zu, da wir in diese Himmelsrichtung segelten. Meine Augen musterten den Horizont. Als ich nichts erkannte, drehte ich mich in die anderen Himmelsrichtungen, erkannte aber ebenso wenig etwas. Zudem musterte ich die anderen Masten, auch wenn ich den Hintersten aufgrund des großen zweiten Hautmast nicht wirklich erkennen konnte. Dafür hatte ich eine wunderbare Sicht auf die glänzende Goldverzierung der Galionsfigur.

Dämlich grinsend stützte ich mich am Rand des Krähennest ab und sah wieder aufs Meer hinaus. Soweit ich mich erinnerte, war das hier mein erstes Mal im Krähennest. Bisher blieb ich davon verschont. Naja, eher hatte mir keiner vertraut. Als ich noch als Mädchen reiste, wollte mir sowieso nur jeder an die Wäsche. Ich musste putzen und Wäsche waschen. Kochen. Eben solche „typischen Frauensachen". Dann kam die Werft. Und jetzt war ich noch als Kerl unterwegs, auch wenn ich mir gar keine Mühe mehr gab. Dass ich immer übergroße Overalls anzog, war einfach zu meinen Angewohnheiten geworden. Auch, dass ich meine Stimme automatisch tiefer stellte, sobald ich mit jemanden anderen außer Linux redete.

Mal von meinen ganzen Angewohnheiten abgesehen, die ich dank des nicht vorhandenen Benehmens der Werftarbeiter abgeguckt hatte.

Gedankenverloren strich ich über mein Kopftuch, unter welchem sich meine empfindlichen Ohren befanden. Wenn ich sie nicht abband, dann wurde es häufig sehr unangenehm laut. Oder ich erschreckte mich von banalen Geräuschen. Vor allem bei kommenden Kämpfen musste ich daran denken, sie mir so wegzubinden, sonst könnte ein Pistolenschuss oder gar die Kanonen für eine Orientierungslosigkeit sorgen, die mir das Leben kosten könnte.

„Pirat sein ist nicht leicht...", murmelte ich und kratzte mir kurz die Nase. Dann streckte ich mich und knackte mit meinen Fingern. Ich sollte diesen Job hier ernst angehen. Immerhin wollte ich nicht dafür verantwortlich sein, wenn wir überrannt wurden.

Und so saß ich meine Zeit im Krähennest ab, lief ab und an die wenigen Schritte im Kreis um den Mast herum, winkte den anderen Männern an Deck zu und dehnte meine Glieder, bis ich ein schnaufen von unten hörte. Der Ruf zum Mittagessen war schon länger verklungen, deshalb schob ich meinen Kopf über den Rand des Ausgucks zur Takelage und erkannte, wie Rick nach oben kletterte. Als er nahe genug war, streckte ich ihm meine Hand entgegen und zog ihn ins Krähennest. „Ahhh, danke. Deine Ablöse ist da." Er schlug mit mir ein, dann war es an mir, nach unten zu klettern. „Danke. Es war alles ruhig.", berichtete ich stolz grinsend. „Gut. Ich hoffe mal, dass es auch so bleibt. Es scheint auch so, dass die Reparatur von Gestern immer noch erfolgreich war, oder?", Rick richtete wie auch schon gestern sein Freibeuterhemd. Offenbar war es sein Tick, so wie meiner es war, immer mal wieder mein Kopftuch zu überprüfen. „Ja. Alles sitzt an Ort und Stelle.", antwortete ich, bevor ich mich verabschiedete und wieder nach unten kletterte.

Als erstes suchte ich das nächste Klo auf. Ich musste dringend meinen Kaffee wieder los werden. Danach ging ich zur Kombüse. Nur noch sehr wenige Piraten hockten hier, die meisten hatten wieder zu tun. Wenige davon lagen mehr am Tisch und ruhten sich wohl noch von ihrem gestrigen Kater aus.
Ich nahm mir einen Teller und bediente mich am Buffet. Verschiedene belegte Sandwiches lagen bereit, aber auch aufgeschnittenes Obst und Gemüse. Ich entschied mich, einen Salatteller zu kreieren. Diesen stellte ich auf einen der freien Tische, dann holte ich mir noch etwas zum trinken. Da ich nichts mehr vor hatte, ließ ich mir Zeit beim essen.

Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich die Schritte, die sich mir näherten, gar nicht wahrnahm. Deshalb erschreckte ich mich auch so, als sich eine Hand um meine Schulter legte. „Ahhhh Sagi!" Linux bemerkte sofort, dass ich zusammengezuckt war. Er brach in Lachen aus. „Sag nicht, ich hab das ach so tolle „Ich höre alles" Genie erschreckt?!" Er klopfte vor Lachen auf den Tisch, während ich meine Augen zusammenzog und ihn beleidigt mit der Gabel anpickste. „Sei leise! Ich war in Gedanken!"

„Ich glaube eher, du bist komplett zu einem Hasen mutiert. Warum isst du so viel Salat?!" Der Arzt sprach das letzte Wort so abfällig aus, dass ich nun dran war mit einem Kichern. „Weil Gemüse gesund ist und gut schmeckt? Solltest du als Arzt das nicht wissen?" Der Blonde zuckte immer noch abfällig mit den Schultern. „Ich verordne es auch. Aber ich muss mich doch selbst nicht dran halten. Ich hab vorhin lieber diese belegten Hühner-Sandwiches gegessen."

Grinsend verdrehte ich die Augen und stopfte mir das letzte Salatblatt in den Mund. „Wie geht's eigentlich deinem neusten Patienten? Ist er wieder ansprechbar?"

Erneut verzog mein bester Freund sein Gesicht und seufzte laut auf. „Ja... ich versteh immer noch nicht, wie man so tollpatschig sein kann. Er hat dein Level buchstäblich gesprengt!" „Deshalb mag ich ihn, obwohl ich ihn nicht kenne.", kommentierte ich gut gelaunt. Linux schüttelte den Kopf. „Du bist doch nur erleichtert, dass es jemanden gibt, der schlimmer ist als du." Ich zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Kann schon sein. Auf jeden Fall wird es so noch lustig." „Bis er wieder von einer rollenden Kanone über Board geworfen wird.", mischte sich Ben mit ein.

Ich drehte mich zu dem Vizen um, der mit einer dampfenden Tasse auf uns zu kam und sich mit an den Tisch setzte. Während ich etwas kicherte, verformten sich Linux Augen zu schlitzen. „Er hat was geschafft?!" „Das ist noch gar nichts. Er hat auch schon mal das gesamte Segel in Brand gesetzt." „Und dann ist er noch in der Crew?", fragte ich und verschränkte meine Arme vor meiner Brust. Ein brennendes Segel war sogar für mich nicht mehr so witzig.

Immerhin musste ich schon das Ersatzsegel benutzen. Wir hatten zwar noch ein paar, aber nicht unbegrenzt viele davon herumliegen. Ben seufzte in seine Tasse. „Ja, er ist noch hier. Shanks hat der Mutter des Jungen einen Gefallen geschuldet..." Ich zog meine Augenbraue hoch, genauso wie Linux. Wir sahen uns einen Moment an, bevor wir gleichzeitig fragten. „Der ist Shanks Sohn?!"

Nousagi steht für Hase [One Piece]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt