18. Dezember 18.48 Uhr

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"Es war verantwortungslos diesen Mann auf dich loszulassen."
Ethan schwieg kurz, er biss sich auf seine immer noch von Wut durchströmte Zunge und beschloss freundlich zu bleiben.
"Sie konnten ja nicht wissen, wer er wirklich war."
Herr Meyer schien auf eine Ausführung seiner Worte zu warten.
"Er hat sich penetrant selbst belogen, also konnte er sein Umfeld blenden. Er hat seine Scheiße einfach selbst geglaubt."
Das mit dem nett bleiben hatte ja einwandfrei funktioniert, doch Herr Meyer grinste ihn nur an.
"Du bist sehr erwachsen für dein Alter. Vielleicht nicht in Bezug auf deine Wortwahl, aber in der Analyse von Menschen."
Ethan lief rot an, mit Komplimenten umzugehen war keine seiner Stärken. "Sind denn noch andere Eltern da?"
Er gab sich größte Mühe seine Unsicherheit zu überspielen.
"Tatsächlich ja, aber wir sollten realistisch bleiben. Du wirst nicht mit allen Verwandten oder Angehörigen sprechen können. Außerdem solltest du Rücksicht auf dich selbst nehmen, du musst nichts tun, was du nicht möchtest."
"Ich möchte aber."
"Bist du ganz sicher? Ich kann nicht für die Reife von Erwachsenen garantieren, dass ist dir hoffentlich bewusst."
"Ja, ich weiß. Trotzdem."
Er wollte es so unbedingt, so unbedingt Leuten Hoffnung schenken.
"Wer ist denn da?"
"Es ist Toms... Betreuerin, und Valentins Eltern."
Der Name Valentin versetzte Ethan einen Stich in der Magengegend. Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und gab sich einen Ruck.
"Toms Betreuerin?"
"Ja, er ist einer Therapeutin, die auf Kinder spezialisiert ist, anvertraut worden. Jedenfalls ist das alles was ich weiß, er wurde ja erst mit acht Jahren gefunden. Unter uns: Sie hat ihn sehr ins Herz geschlossen, wirkt fast wie eine zweite Mutter."
Ethan nickte verständnisvoll.
„Darf ich fragen wie man ihm gefunden hat?"
„Das dürfte ich dir leider nicht sagen, selbst wenn ich es wüsste."
Nach einigen Sekunden, in welchen sich ihrer beider Stille zu einem Berg unausgesprochener Fragen und Antworten aufgehäuft hatte, ergriff Herr Meyer erneut das Wort.
„Ich kann mir vorstellen, dass dich Toms Geschichte interessiert, aber wir sollten es fürs erste darauf beruhen lassen."
Das verstand Ethan gut, obgleich der irrationale Teil seines Hirns immer noch auf die Klärung einiger Fragen pochte. Wo war Tom gefunden worden? Wusste man etwas über seine Herkunft? War sein Name schon immer Tom? Doch der rationale Teil gebot dem Irrationalen das Schweigen.
„Okay, also kann ich dann mit ihr oder Valentins Eltern sprechen?"
„Natürlich, gerne. Valentins Eltern sind nur durch Zufall hier in der Gegend, anscheinend Geschäftliches. Sie wollen so schnell wie möglich zurück nach Russland fliegen. Dementsprechend solltest du vielleicht zuerst mit ihnen reden."
„Wissen sie denn schon was passiert ist?"
„Ja... Sie wollen die Leiche auch in Russland beerdigen lassen."
Die kleine, dürre Gestalt in Ethans Armen. Schwarze Haare auf kalter, toter Haut. Der metallische, unausstehliche Geruch von Blut. Ethan fröstelte.
„Bringen Sie sie wieder her?"
„Ja, genau, sofort."
Herr Meyer machte Anstalten den Raum wieder zu verlassen, doch bevor die Tür hinter ihm zuging, fiel dem Jungen noch eine Kleinigkeit ein.
"Wussten Sie, dass Herr Schröding Professor der Psychologie war?"
Verblüfft hob Herr Meyer die Augenbrauen.
"Nein, er hatte es nicht erwähnt."
Die Tür fiel ins Schloss.

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