10 - Nachrichtenflut

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Die Zeit, in der ich Dan nicht sehe, zieht sich quälend langsam wie ein altes Kaugummi in die Länge. Am liebsten würde ich jede freie Sekunde mit ihm verbringen, um ihn noch besser kennenzulernen, aber leider lässt das mein Studium nicht zu. Außerdem bezweifele ich, dass Dan diesen Wunsch teilt.

„Man, Stella", meckert Amy genervt, nachdem ich bereits zum dritten Mal meinen Latte Caramel umgestoßen habe. „Wo bist du bloß mit deinen Gedanken heute, hm?"

Ich schüttele abwehrend den Kopf, ehe ich die braune Flüssigkeit, die sich über den ganzen Tisch verteilt, mit einer Serviette aufwische.

Es ist Montag und das bedeutet, dass ich Dan fast eine Woche lang nicht gesehen habe. Ständig schweifen meine Gedanken zu ihm und auch mein Körper lechzt förmlich nach seiner Nähe und seinen Berührungen.

Ungefähr so muss es sich anfühlen, wenn man von Drogen oder Alkohol abhängig ist.

„Hab' nur schlecht geschlafen", winke ich schließlich ab. „Erzähl mir lieber, wie es mit dir und Tanja läuft."

Sofort erhellt sich Amys Gesicht. Ein verträumtes Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen und ihre Augen funkeln verräterisch.

„Erinnerst du dich noch daran, dass Tanja mal zu mir meinte, sie sei ein Tomboy?"

Ich nicke, denn schon damals hatte ich keine Ahnung, was das sein soll.

„Ich habe Tanja danach gefragt und sie hat mir erklärt, dass Frauen, die sich nicht entsprechend ihrer typischen Geschlechterrolle verhalten, als Tomboy bezeichnet werden. Das bedeutet also, dass sie sich eher männlich, statt weiblich verhält."

„Und hast du ein Problem damit?", möchte ich von meiner besten Freundin wissen.

„Nein, natürlich nicht!", antwortet Amy wie aus der Pistole geschossen. „Mich nervt es nur ein bisschen, dass sie unsere Beziehung erstmal geheim halten möchte."

Im Einklang stoßen wir ein Seufzen aus.

Ich persönlich stelle es mir ziemlich blöd vor, meine Beziehung geheim halten zu müssen. Wenn ich meinen perfekten Partner gefunden habe, möchte ich diesen unbedingt mit der ganzen Welt teilen.

Ich verstehe nicht richtig, was Tanjas Problem ist.

Ob sie sich vielleicht noch nicht geoutet hat?

„Du solltest unbedingt nochmal mit Tanja darüber reden", sage ich Amy meine ehrliche Meinung. „Zusammen werdet ihr bestimmt einen Kompromiss finden."

Amy nickt, bevor sie sich über den Tisch beugt und mich umarmt. Dieses Mal ist ausnahmsweise sie diejenige, die den Latte Caramel umstößt.

Einen neuen Kaffee und eine halbe Stunde später finde ich mich auf dem Campus der Universität wieder. Auch wenn ich heute überhaupt keine Lust auf meine Vorlesungen habe, zwinge ich mich dazu, den Hörsaal zu betreten und mich in der letzten Reihe niederzulassen.

Falls es zu langweilig werden sollte, bin ich wenigstens nah am Ausgang.

Ricardo hat sich leider für heute krankgemeldet, sodass auch er mir keinen seelischen Beistand leisten kann.

‚Oh man, das kann ja was werden ...'

Wie schon erwartet ist die Vorlesung total öde. Immer wieder entflieht mir ein müdes Gähnen und immer wieder muss ich mich zusammenreißen, nicht für eine winzige Millisekunde die Augen zu schließen.

Um mich irgendwie von der eintönigen Stimme des Professors abzulenken, fische ich mein Handy aus der Hosentasche und öffne den Chat mit Dan.

Das letzte Mal haben wir am Donnerstag miteinander geschrieben. Also schon viel zu lange her.

Eigentlich möchte ich darauf warten, dass sich Dan bei mir meldet, schließlich habe ich ihm das letzte Mal als Erste geschrieben, aber auf Dauer wird mir diese Denkweise bestimmt nur unnötig Steine in den Weg legen.

Das ist auch der Grund, weshalb ich meine Prinzipien über Bord werfe und eine Nachricht an Dan verfasse.

Guten Morgen, Mister Lewis,
wie geht es dir? Ich habe schon lange nichts mehr von dir gehört.
Hoffentlich habe ich dich mit meiner Wasserattacke nicht in die Flucht geschlagen ...
Melde dich gerne, wenn du Zeit hast.
Stella

Kurz überlege ich, ob ich die Nachricht so abschicken kann, ehe ich auf senden klicke.

Zu meiner großen Überraschung ist Dan nur zwei Sekunden später online und schreibt mir eine Antwort zurück.

Guten Morgen, Wattebäckchen,
ich hatte die letzten Tage viel mit meiner Firma zu tun. Entschuldige, dass ich mich nicht gemeldet habe. Lass es mich mit einem Date wiedergutmachen, okay?

Hinter dem Fragezeichen hat Dan ein Herz-Smiley hinzugefügt.

Ich kann nicht verhindern, dass sich ein überglückliches Strahlen auf meine Lippen schleicht, denn wie es scheint, hat Dan immer noch Interesse an mir. Andernfalls würde er mich nicht zu einem dritten Date einladen, oder?

Meine Finger zittern vor lauter Nervosität, als ich eine Antwort eintippe.

Schon gut, du musst dich nicht rechtfertigen. Zu einem Date sage ich aber natürlich nicht „Nein". Wann und wo?

Wieder lässt Dans Nachricht nicht lange auf sich warten.

Wie wäre es mit Samstag um 18 Uhr? Ich hole dich wieder ab.

Samstag? Das dauert ja noch gefühlt eine halbe Ewigkeit.

Auch wenn ich Dan am liebsten sofort sehen würde, stimme ich seinem Vorschlag zu. Besser spät als nie, richtig?

Dank dem Nachrichtenaustausch mit Dan endet die Vorlesung schneller als gedacht. Hastig schultere ich meinen Rucksack und eile dann als Eine der Ersten aus dem Hörsaal.

Jetzt stehen noch zwei Seminare auf dem Plan, bevor ich zurück in mein Studio fahre und ein paar Aufträge für die Firma abarbeiten muss.

‚Dann mal los!'

-

Der Tag ist unfassbar anstrengend und ich bin froh, als ich abends mit einem Glas Weißwein auf meinem Balkon sitze. Die Sonne geht gerade langsam unter und erinnert mich daran, wie ich vor ungefähr einer Woche gemeinsam mit Dan am Strand saß.

Irgendwie ist es merkwürdig, dass ich mich ihm schon nach so einer kurzen Zeit so verbunden fühle, oder?

Ich seufze und krame mein Handy hervor.

Statt Dan anzurufen, wie ich es am liebsten tun würde, wähle ich Tillys Nummer. Es ist schon viel zu lange her, als wir das letzte Mal miteinander telefoniert haben.

Auch wenn ich hier in Perth Amy an meiner Seite habe, vermisse ich Tilly riesig. Sie kennt mich schließlich besser als jeder andere und war selbst in meinen dunkelsten Zeiten bei mir.

Es tut weh, sie nicht umarmen und nach ihrer Meinung fragen zu können.

Leider nimmt Tilly meinen Anruf nicht entgegen, weshalb ich mein Handy frustriert zurück in die Hosentasche schiebe.

Ich muss akzeptieren, dass sich die Entfernung auf die Freundschaft von Tilly und mir ausgewirkt hat. Umso mehr freue ich mich, wenn sie mich in den nächsten Semesterferien endlich besuchen kommt, damit wieder alles normal werden kann.

Kaum ist dieser Gedankengang verblasst, vibriert mein Handy.

Innerlich habe ich die Hoffnung, dass mich Tilly zurückruft, aber stattdessen wird mir eine neue Nachricht von Dan angezeigt.

Begleitet von meinem rasenden Herzen öffne ich unseren Chat und muss schmunzeln, als ich sehe, dass er mir ein GIF geschickt hat.

Zu sehen ist ein animierter Bär, der ein rotes Herz hinter seinem Rücken hervorholt und dieses dann grinsend in die Kamera streckt. In dem Herzen steht ‚Süße Träume'.

Ich kann nicht verhindern, dass mir ganz warm wird.

Es ist schön, dass Dan so aufmerksam ist und mir eine gute Nacht wünscht.

Schnell suche ich ein ähnliches GIF heraus, ehe ich mein Weinglas leere und mich abschließend erschöpft in mein Bett kuschele.

Feierabend für heute!

Im Takt deines HerzensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt