Kapitel 13 - Nikolai

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Ich betrete das Loft und nehme direkt eine komische Atmosphäre wahr.
"Hallo Nik, wo warst du?", fragt Kyrell. Er steht in der Küche und gießt sich Scotch in sein Glas. Es ist gerade mal 13 Uhr.
"Ich war bei Emely. Du weißt schon, das Betthäschen, wie du sie immer nennst", lüge ich.
Er starrt mich ernst an. Ahnt er etwas?
"Deine kleine Freundin war hier. Wie war noch gleich ihr Name?"
Er kommt näher und ich atme unfreiwillig den Duft von Zigaretten und Alkohol ein.
"Aria", haucht er in mein Ohr.
"Aria war hier? Wieso?", frage ich überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass sie nochmal hier aufkreuzen würde. Sie ist echt mutig.
"Es ging um euer Treffen am Wochenende, ich habe nicht zugehört, um ehrlich zu sein. Ich war zu sehr abgelenkt von ihrer Schönheit. Sie hat wirklich was zu bieten, Nik. Was hast du vor mit ihr?"
Ich senke den Blick, um seinen auszuweichen, aber das hilft nicht. Kyrell kommt mir noch näher.
"Im Ernst. Was führst du im Schilde?"
Okay, ruhig atmen, Nik. Lass dir nichts anmerken.
"Nichts. Mir gefällt ihre Sturheit. Wenn ich sie ins Bett bekommen habe, bin ich fertig mit ihr", lüge ich. Ich habe weitaus mehr Absichten, was Aria angeht. Mein Gefühl sagt mir, dass sie keine Frau für nur eine Nacht ist.
Kyrell fängt an zu lachen und tritt einen Schritt zurück.
"Und dafür der Aufwand? Du könntest jede haben, du bist ein Marino..." Er trinkt sein Glas aus und stellt es ab. "Das ist einer der wenigen Vorteile, ein Teil von dieser beschissenen Familie zu sein."
Ich blicke in sein hasserfülltes Gesicht.
"Wo ist dein Stolz hin, Kyrell? Du warst immer stolz darauf, ein Marino zu sein."
"Das ist doch alles nichts wert, wenn man eh nur hintergangen wird..."
Scheiße. Er weiß es. Woher auch immer, aber er weiß es. Dass ich bei meinem Vater war und ihm meine Absichten mitgeteilt habe.
"Mein Vater hat Krebs, Nik. Und wie erzählt er es mir? Am Tisch vor allen anderen. Ich wusste nicht einmal wie ich reagieren soll. Ich bin doch sein Sohn!"
Erleichtert atme ich auf. Er redet gar nicht von mir.
"Ich schätze er wusste nicht, wie er es dir sagen soll. Du kennst deinen Vater doch", erwidere ich.
Kyrell nickt nachdenklich.
"Wo bleibt eigentlich deine Freude darüber, dass du Nachfolger wirst? Wir sollten das feiern", schlage ich vor.
Mir muss es irgendwie gelingen, dass Kyrell nicht mehr so misstrauisch ist und mehr Vertrauen aufbaut.
"Was hast du im Sinn?", fragt er.
"Eine Party hier im Club. Nur für dich. Wie wäre das?"
Er lächelt. Das ist ein gutes Zeichen. "Okay. Wenn du alles planst."
"Du kannst dich auf mich verlassen", versichere ich ihm.

Kyrell ist mit einer Flasche Scotch in seinem Zimmer verschwunden. Ich hingegen muss hier raus. Ich fahre zum Campus, um zu sehen, ob es Aria gut geht. Wer weiß, womit Kyrell ihr gedroht hat. Ihm traue ich alles zu.
Der Campus ist leer, als ich ankomme. Leider weiß ich nicht, wo Aria ihr Zimmer im Wohnheim hat, aber das finde ich schon raus.
Irgendwann begegne ich einem Typen, der mir mit seinem Basketball entgegenkommt.
"Hey! Kann ich dich was fragen?"
Er zuckt hilflos zusammen. "Ich habe kein Geld!", erwidert er verängstlicht. Stimmt, das habe ich ja ganz vergessen.
Wenn die Leute uns sehen, denken sie immer zuerst, dass wir sie ausrauben wollen, oder etwas anderes kriminelles mit ihnen vorhaben.
"Ich will auch kein Geld. Ich will wissen, wo Aria wohnt."
"Aria?", fragt er überrascht.
"Kennst du sie oder nicht?"
"Hm, lass mich überlegen. Brünette mit großen Titten, oder?"
Ich starre in sein dummes lächelndes Gesicht. Dann trete ich näher an ihn heran. Mein Glück, dass ich ein Kopf größer bin als er.
"Wenn du mir nicht auf der Stelle sagst, wo ihr Zimmer ist, dann überlege ich mir das nochmal mit dem Geld", sage ich leise.
Er nickt hastig. "Im Wohnheim B, Zimmer 235."
"Geht doch."

Ich laufe den langen Gang runter, bis ich die goldene 235 an einer Tür sehe. Dann klopfe ich an und warte.
Es dauert, bis mir ein fremdes Mädchen die Tür öffnet. Sie hat hellbraune mittellange Haare, grüne Augen und ist größer als Aria.
Erst sieht sie mich irritiert an, dann reißt sie ihre Augen weit auf. Sie weiß, wer ich bin. Natürlich, jeder weiß, wer ich bin.
"Hi", sagt sie leise.
"Hi, ist Aria da?"
"Ähm...sie ist gerade im Bad...du bist Nik, oder?"
Ich reiche ihr meine Hand, um nicht unhöflich zu wirken. "Nikolai Marino, aber ich schätze, dass weißt du bereits."
Sie nickt und grinst beschämt.
"Ich bin Jen, ich sag ihr mal bescheid, dass du da bist."
Sie schließt die Tür und ich höre gedämpfte, aber laute Stimmen aus dem Zimmer. Anscheinend diskutieren die beiden miteinander.
Irgendwann geht dann doch die Tür auf und Aria steht vor mir. Jedes Mal haut mich ihre Schönheit aufs Neue um.
"Was willst du?", fragt sie resigniert.
"Du warst im Club."
Sie nickt, kommt heraus und schließt die Tür. Jetzt stehen wir beide auf dem Gang. Anscheinend will sie mich nicht herein beten.
"Ich wollte sichergehen, dass alles okay ist. Kyrell kann ziemlich...unhöflich sein. Du kennst ihn ja", sage ich.
Sie verschränkt die Arme vor der Brust. "Danke, das ist lieb von dir. Mir geht es gut."
Das ist das erste Mal, dass Aria mich anlächelt und ich hätte nicht erwartet, dass es so eine starke Wirkung auf mich haben könnte. Auf einmal fühle ich mich unsicher und schwach, aber auf eine positive Art und Weise.
"Also, was wolltest du mir sagen?", frage ich, nachdem ich mich wieder gefangen habe.
"Ach ähm...ich dachte ich hätte am Wochenende schon was vor und müsste dir absagen, aber ich konnte meine Termine verlegen."
Ich lächle zufrieden. "Bild dir bloß nicht zu viel darauf ein", schimpft sie dann und verdreht die Augen.
"Keine Sorge, das würde ich nie wagen", erwidere ich.
"Also, dann bis Samstag, Aria. Ich hole dich ab."
"Ich kann auch hinfahren, wenn du mir sagst, wo wir uns treffen."
"Ich hole dich ab."
Ich schenke ihr einen letzten Blick, drehe mich dann um und gehe.

The Midnight Caller - Gefährliche LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt