2. Außer Betrieb

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Kilian unerwartetes Auftauchen im Musikraum hatte mich emotional aufgewühlt und längst weggesperrte Dämonen in meinem Unterbewusstsein geweckt

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Kilian unerwartetes Auftauchen im Musikraum hatte mich emotional aufgewühlt und längst weggesperrte Dämonen in meinem Unterbewusstsein geweckt.

Ich werde so monströs werden, wie ich muss, hörte ich meine eigene Stimme vor Wut bebend in meinen Gedanken echoen. Für meine Rache würde ich alles tun. Alles.

Tja, dieses Racheversprechen hatte ich erfüllt. Zumindest teilweise, aber wirklich besser fühlte ich mich dadurch nicht. Im Gegenteil, die erwachten Schuldgefühle seit Kilians Unfall zerfraßen mir kontinuierlich die Seele - wie Würmer, die sich durchs Fruchtfleisch eines fauligen Apfels wanden.

Ich bin wirklich ein Idiot, schoss es mir durch den Kopf, während meine Finger unruhig über die Klaviertasten glitten und hin und wieder einen klaren Ton erzeugten. Das war meine eine große Chance endlich mit ihm zu reden, mir Klarheit zu verschaffen. Und ich verbockte es. Natürlich.

Ein Seufzer entwich meinen Lippen und am liebsten würde ich mit der Stirn auf die Tasten knallen, um dieses beschissene Selbstmitleid abzuschütteln.

Aber vermutlich würde es ohnehin nicht funktionieren, deshalb entschied ich mich lieber dafür meine Notenblätter zusammenzuklauben und in meinem Rucksack gleiten zu lassen, dessen einen Gurt ich mir über die Schulter warf und zügig aus dem Musikraum marschierte.

Die Gänge waren menschenleer, wie eigentlich immer um diese Zeit. Höchstens der Hausmeister begegnete mir manchmal, der leise Liedchen pfiff und ansonsten stumm seiner Arbeit nachging.

Warum hab ich ihn eben nicht einfach gefragt?

Das Gewicht auf meiner Schulter fühlte sich auf einmal tonnenschwer an. Was lächerlich war, weil sich kaum etwas im Rucksack befand. Wie hätte ich ihn fragen sollen? Es wäre ja doch ziemlich komisch rübergekommen, wenn ausgerechnet ich ihn über diesen Vorfall ausgequetscht hätte. Ich blieb stehen und spürte wieder dieses Brennen in den Lungenflügeln, wie damals.

Fast hatte ich wieder diesen Geruch in der Nase. Diese unvergleichliche Mischung aus Desinfektionsmitteln und Krankheit. Tod und Verzweiflung - ich schluckte und versuchte diesen ekelhaften Geschmack aus meinem Mund zu bekommen, der sich dort plötzlich verbreitete.

Zweifelsohne war es die mitunter schlimmste Zeit meines Lebens gewesen. Stundenlang hatte ich in der Notaufnahme herumgesessen, war bei jedem Neuankömmling einen halben Herzinfarkt gestorben, nur um festzustellen, dass es gar nicht er war. Und während ich dort gesessen und mir die Nägel blutig gekaut hatte, waren Krankenschwestern auf mich zugekommen und hatten sich erkundigt, ob sie mir irgendwie helfen konnten. Ich hatte jedes Mal verneint und behauptet; ich würde einfach nur auf jemanden warten - was genauso genommen sogar der Wahrheit entsprochen hatte.

Nach stundenlangem Rumsitzen wurde ein Arzt eingeschaltet, der darauf bestanden hatte, meine Eltern zu verständigen. Doch seine Worte waren überhaupt nicht zu mir durchgedrungen, ich hatte dem Mann in Weiß nicht zugehört - denn in diesem Augenblick hatten sich alle meine Sinne auf das näher kommende Sirenengeräusch konzentriert. Den Kittelträger einfach stehen lassend, hatten meine Beine sich automatisch auf den Ausgang zubewegt. Die Tür war aufgeschwungen und das Rettungsteam; bestehend aus zwei Notärzten und einigen Helfern waren hereingestürmt. Auf der Trage hatte eine scheinbar leblose Gestalt gelegen. Meine Lungenflügel hatten sich schmerzhaft zusammengezogen und das Brennen, welches folgte, war schlichtweg unerträglich gewesen. Der Arzt hinter mir hatte mich sofort grob beiseitegeschoben und ein paar Befehle in Richtung zweier Pflegerinnen gebellt, die gerade angerannt kamen. In mir hatte sich eine schreckliche, unnatürliche Leere manifestiert, die sich explosionsartig in mir ausgebreitet hatte; mich vollends verschlang, kaputt machte.

KilianWo Geschichten leben. Entdecke jetzt