Sie trommelt auf dem Lenkrad. Wie jeden Morgen hört sie Radio, doch heute sind alle Radiosender übersäht von dem großen Ereignis. Die Erde hat nur noch einen Tag zu leben. Es ist Unsinn zu glauben, dass alle Lebewesen auf einmal sterben. Wenn überhaupt es eine Verringerung des Sauerstoffgehalts gäbe, dann wäre der Tod wohl eher schleichend. Schon oft gab es Katastrophen, die später gelöst wurden, denkt sie.
Katrina biegt auf die Brücke ab. Sie führt über die neue Schnellstraße, die vor kurzem eingeweiht wurde. Da sie in die Innenstadt möchte, hat sie freie Fahrt. Die meisten versuchen aus der Stadt zu fliehen als würde sie jeden Moment in ein Loch fallen. Katrina glaubt nicht an die Ausrottung. Klar wird es eine Veränderung der Atmosphäre geben, aber nicht so drastisch.
Sie fährt weiter und spielt währenddessen mit ihrer Halskette. Ihre beste Freundin hat sie ihr zum Geburtstag geschenkt. Katrina lässt ihren Blick über die Stadt wandern. Viele würden sie als verrückt bezeichnen, zur Arbeit zu fahren als wäre nichts. Sie hat kein Problem damit, denn sie mag ihre Arbeit.
Katrina kommt der Wache auf der anderen Seite immer näher. Auf der Gegenfahrbahn gibt es schon jetzt einen langen Stau. Auf ihrer Seite ist alles frei. Schon jetzt freut sie sich nicht auf den Rückweg.
Sie fährt in die nächste Nebenstraße hinter der Brücke und muss anhalten, um ein Krankenwagen durchzulassen. Die Stadt ist auf den Beinen und Katrina weiß, dass es noch schlimmer wird. Sie ist nur froh, wenn sie endlich ankommt.
Keine fünf Minuten später parkt sie im Innenhof des Bürogebäudes ein. Sie fährt zehn Stockwerke nach oben und begrüßt freundlich ihre Mitarbeiter. Wie sie es sich gedacht hat, sind nicht einmal die Hälfte gekommen. Die Menschen müssen wirklich Angst haben. Katrina setzt sich kopfschüttelnd in ihren Stuhl und startet den Computer.
Aus dem Aufenthaltsraum tönt leise die Stimme eines Nachrichtensprechers. Katrina seufzt und meldet sich an ihrem PC an. Sie hat jede Menge Arbeit auf dem Tisch liegen. Sie ist für die Buchhaltung dieses Unternehmens verantwortlich. Ihr fällt auf, dass zumeist die jüngeren Mitarbeiter fehlen. Anscheinend wollen sie ihr Leben genießen. Da Katrina nicht an die Auslöschung glaubt, kann sie auch hier sitzen.
Nach einer Stunde holt sie sich im Aufenthaltsraum eine Tasse Kaffee. Ihre Chefin sitzt an einem Tisch. Katrina lässt sich auf den Stuhl fallen. "Wie geht es dir?"
"Ich bin unruhig. Es ist als müsste ich eigentlich zuhause bei meiner Familie sein" , seufzt die Chefin und trinkt ihren Tee. Sie ist die einzige, die Tee trinkt. Katrina kippt sich einen Schwapp Milch in die Tasse.
"Vielleicht solltest du nach Hause gehen. Heute hat es ohnehin keinen Sinn, es sind zu wenige da." Katrina lächelt ihre Chefin an, dann kehrt sie zurück zu ihrem Arbeitsplatz. Gegen Mittag verabschieden sich immer mehr Mitarbeiter und schon bald sind sie nur noch zu dritt. Ihr Kollege Benny und ihre Freundin Amelie.
Als sie ihre zweite Tasse Kaffee holt, steht Benny vor dem Fernseher. Er wirkt wie erstarrt und Katrina legt ihre Hand auf seine Schulter. Plötzlich sackt er nach vorn wie eine Puppe und Katrina lässt die Tasse fallen. Sie kann ihn davor bewahren sich den Kopf an der Wand aufzuschlagen. Aus dem anderen Zimmer kommt Amelie gelaufen.
"Was ist passiert?"
"Keine Ahnung. Er ist einfach bewusstlos geworden." Katrina lässt Benny auf dem Boden und kniet sich neben ihn. Er atmet gleichmäßig und sie fühlt seine Stirn. Es deutet nichts auf Fieber hin.
Katrina ist eine der wenigen Ersthelfer in der Firma. Sie weist Amelie an einen Krankenwagen zu rufen. Aufgrund des Chaos in der Stadt, wird es wohl länger dauern. Katrina bettet Bennys Kopf auf ein Sitzkissen und versucht ihn aufzuwecken. Sein Körper ist warm wie an einem heißen Sommertag. Das Büro ist jedoch auf 22 Grad gekühlt.
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Ein letzter Tag
Short StoryDie Welt steht still als der Sprecher der UN die Katastrophe ankündigt. Die Erde wird untergehen und keiner kann sich retten. Ein letzter Tag ist übrig. Wie ist es den letzten Tag seines Lebens zu leben?