Kapitel 8: Wo ich Zuhause bin

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Ich will nach Lavena rufen, doch es ist nur ein heißeres Krächzen zu hören. Ich klammere mich noch immer an Caryla und spüre, wie sie leicht schwitzt, wie ihre Muskeln sich unter mir bewegen, als sie versucht zu ihrem Gefährten aufzuschließen. Ihre sportlich geschnittene Mähne peitscht mir ins Gesicht, so nah halte ich mich an ihrem Hals. Mein Kopf ist ganz leer, als ich mich frage, ob ich wirklich Angst habe. Alles scheint so weich und friedlich und verschwommen und einfach nicht mehr endlich. Als hätte das Aufsteigen auf Caryla eine Reaktionskette ausgelöst, die unumkehrbar ist. Der Galopp der Stute ist weich und der Regen in meinem Gesicht warm, fast möchte ich nach dem anstrengenden Tag einfach einschlafen. Einschlafen inmitten dieses Sturmes und bei diesem Pony. Und nie wieder aufwachen. Zuhause, schießt es mir durch den Kopf. Hier ist mein Zuhause. Ein greller Blitz jagt über den Himmel. Wie bizarr alles aussieht und trotzdem wunderschön. Nur eine Sekunde später dröhnt der Donner über die Landschaft. Er reißt mich aus meiner Trance und ich blicke mich erschrocken um. Ich setze mich auf, soweit ich es schaffe und versuche mich an meine Reitstunde zu erinnern und alles umzusetzen, an das ich mich noch erinnere. Der Sturm ist stärker geworden und ich gebe es nicht gern zu, aber meine Furcht wächst von Sekunde zu Sekunde. Es kommt mir vor, als wäre ich schon seit Stunden über die Landschaft geflogen wie in einem unendlichen Kreis gefangen. ,,Schneller Caryla! Bitte, lauf schneller!" rufe ich durch den Sturm. Ich weiß nicht ob meine Stute mich gehört hat, aber im nächsten Moment beschleunigt sie auch schon. Ich sehe Sunnys helles Fell durch den Regenschleier leuchten, er wirkt wie von einer Laterne angestrahlt, obwohl es von Minute zu Minute dunkler wird. Wolkentürme verdecken die Abendsonne und verschlingen scheinbar alles noch vorhandene Licht. Ein kühler Schauer läuft mir über den Rücken. Es ist nur der Regen, der dich zittern lässt, rede ich mir ein, aber so ganz glaube ich mir das nicht. Dann wird meine Aufmerksamkeit von Lavena zu sich gezogen, denn sie wedelt wie verrückt mit einem Arm. Als sie merkt, dass ich zu ihr sehe, zeigt sie nach vorne. Und tatsächlich, ich sehe die Lichter des Hofes. Die Pferde scheinen unsere Erleichterung zu spüren und jagen -falls das überhaupt noch geht- noch schneller über die dunkle Wiese durch den Regenvorhang auf die Lichter zu. Als wir ankommen liegt der Hof hell erleuchtet da, aber niemand erwartet uns, alle sind bei ihren Pferden und Ponys. Ich atme erleichtert auf. Ein Drama von der Sorte "Mutter" brauche ich nun wirklich nicht. Wie springen von unseren Pferden und ich plumpse direkt in eine Pfütze, so sehr zittern meine Knie. Lavena kichert hysterisch. Scheinbar bin ich nicht der Einzige der komplett unter Adrenalin steht und darüber muss ich lachen. Kurz darauf sind die Pferde fertig gemacht und trocknen unter dem Solarium. Lavena und ich haben noch kein Wort gewechselt, wir haben die Pferde in stiller Eintracht fertig gemacht und als wir uns jetzt ansehen, fängt sie einfach an zu lachen und ich kann nicht anders als mitzulachen. Die ganze Anspannung fällt von mir ab. Ich lasse mich einfach fallen und finde mich lachend in einem Haufen Heu wieder. Keine Ahnung warum, aber Lavena schmeißt sich kurzerhand dazu und irgendwann bekomme ich Schluckauf vor Lachen. WIr liegen einfach da und lachen. Oke, ich denke wir können uns offiziell in die Klapse einweisen lassen. Lavena scheint ähnliche Gedanken zu haben ,,Wenn jetzt jemand herkommt... und uns hier liegen sieht...", ihre Aussage wird immer wieder von Lachern unterbrochen und als sie sich endlich durch den Satz gekämpft hat, ich pruste auch ich los. Die Vorstellung ist einfach zu komisch. Dann fallen mir meine Eltern ein und ich stöhne genervt. Das gibt Ärger. Aber als ich mein Handy anschalte, bemerke ich, dass ich bisher nur 15 Minuten zu spät wäre. Das bedeutet, dass wir ungefähr 20 Minuten durch den Sturm geritten sind und 10 Minuten die Pferde fertig gemacht haben. Ich schreibe meine Mutter schnell, dass es wegen dem Sturm noch etwas dauern könnte, bis ich nach Hause komme, den ich werde sicher nicht auf meinem Drahtesel durch einen Gewittersturm strampeln. Meine Mutter antwortet direkt, sie habe sich Sorgen gemacht und würde mich in einer Viertelstunde abholen komm. Ich bedanke mich schnell, dann gehe ich und hole Caryla aus dem Solarium. Lavena hat mich vorhin eingeweiht, wie der ,,Pferdefön in cool", wie sie es vorhin genannt hat, funktionier. Caryla ist wieder schön trocken und sieht äußerst zufrieden aus. Ich grinse und bringe sie in ihre Box, wo schon ihr Abendheu auf sie wartet. Als ich mich umdrehe, sehe Lavena an Carylas Boxentür lehnen. Sie grinst und wirft mir etwas zu. Als ich es fange, erkenne ich, dass es ein Pferdeleckerli ist. Ich grinse in mich hinein und gebe das Flugobjekt Caryla, die es mit einem Happs und einem Brummeln verschwinden lässt. Bevor ich nach draußen gehe, um auf meine Mutter zu warten, verabschiede ich mich leise vor der fantastischen Ponystute, die heute so mutig durch diesen Sturm galoppiert war und mich sicher zurück auf den Hof gebracht hatte. Irgendetwas, wie Stolz, kribbelt mir dabei über den Rücken. Dann gehe ich durch das Stalltor und stelle mich unter dem Vordach unter, um zu sehen, wann meine Mutter kommt. Lavena kommt um die Ecke. Sie schiebt ein Fahrrad und als sie meinen erstaunten Blick sieht, meint sie:,,Meine Eltern arbeiten noch, die können mich nicht abholen." Aus dem Augenwinkel sehe ich meine Mutter auf den Hof fahren und grinse. ,,Du fährt einfach bei uns mit", sage ich und ziehe sie kurzerhand mit mir mit.

Als ich am Abend im Bett liege, bekomme ich kein Auge zu -wie könnte es auch anders sein, nach so einem Tag. Wie kann es nur sein, dass ich dachte, wir reiten schon stundenlang durch den Regen, wo wir doch gerade mal 15 Minuten geritten sind. Und wieso habe ich mich so sicher gefühlt? Ich meine, ja ich hatte einen Helm auf, aber ich kann doch gar nicht reiten geschweige denn im gestreckten Galopp über ein Feld preschen. Ich habe so etwas noch nie gemacht und es hat sich trotzdem so vertraut angefühlt... Ich glaube, ich muss mal wieder mit Oma reden! Gleich morgen nach der Schule am besten.

ElfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt