Nach dem ausgelassenen Tag mit meinen Freunden vergeht die Zeit wie im Flug. Für die Schule stehen viele Prüfungen an und ich renne gefühlt nur noch zwischen Stall, Schule und Eisdiele hin und her. So langsam ist es eigentlich schon zu kalt, um Eis essen zu gehen, aber Manu überredet mich doch jede Woche mindestens ein Mal, mit ihm und Samu in der Rialto vorbeizugehen. Es ist Freitagabend, die erste Novemberwoche und sitze ich in meinem Zimmer und versuche ein Referat für Geschichte vorzubereiten. Erfolg habe ich eher weniger, denn meine Gedanken schweifen die ganze Zeit ab. Ich muss die ganze Zeit an meine Freunde, die Pferde und Ponys, meine Reitstunden und Lavena denken. Sie hilft mir immer und nach der Reitstunde gibt sie mir Tipps "von einem leidenden Reitschüler zum Anderen", wie sie es nennt. Manchmal nimmt sie mich mit auf Ausritte, denn allein darf ich noch nicht ins Gelände. Allerdings mein Silvi, sie würde bald mal mit mir ausreiten und wenn ich es gut mache, kann ich in Zukunft auch allein ausreiten gehen. Außerdem sagt meine Reitlehrerin, ich würde gute Fortschritte machen, aber als ich mit meiner Oma darüber geredet habe, hat meine Oma mir verraten, dass es trotzdem sehr lange dauern wird, bis ich mich als guten Reiter bezeichnen sollte. Sie meint, dass Reiter immer wahnsinnig hohe Ansprüche an die Fähigkeiten von sich selbst, aber auch zum Teil von Anderen haben und ich außerdem erstmal eine fundierende Dressurgrundausbildung brauche. Aber sie hat auch gesagt, dass ich im nächsten Sommer vielleicht schon Springen lernen kann, wenn ich mich gut anstrenge und Caryla auch bereit ist. Ich wünschte, dass wir wirklich irgendwann über die großen Hindernisse segeln können. So wie Lavena mit ihrem Sunny. Die beiden springen über die großen M-Hindernisse, als wären es Cavaletti und sehen völlig losgelöst von Schwerkraft aus. Es ist schlichtweg wunderschön, den beiden beim Training zuzusehen. Lavena hat gemeint, bald würden die Hallenturniere wieder anfangen und sie möchte diesen Winter unbedingt bei ein paar starten. Und wenn möglich auch bei ein paar Dressurturnieren, damit Sunny uns sie mehr Routine bekommen. Aber ich glaube, die beiden würden auch ohne Routine das Turnier total gechillt rocken. Lavena ist so schön und vor allem nimmt sie mich als Mensch wahr. Die meisten übersehen mich immer oder übergehen mich, weil sie mich nicht als interessant genug wahrnehmen. Ein kleiner, komischer Pferdejunge, was soll man mit so jemandem machen? Aber Lavena sieht mich als Mensch an, genau wie Manu, Samu oder meine Oma. Bei ihr fühle ich mich wohl und ich glaube, ich habe mich Hals über Kopf in sie verliebt. Sie ist ein Geschenk des Himmels an die Erde, finde ich. "Jo, es gibt Abendessen, kommst du bitte?!", reißt mich das Rufen meiner Mutter aus meinen Gedanken. "Jaja, Mama, ich komm gleich!" brülle ich zurück und fasse einen Entschluss. Ich werde nochmal darüber nachdenken, ob ich Lavena wirklich so mag, und wenn ja, werde ich mit ihr reden. Punkt.
Ich bin noch an den Stall gefahren, um Caryla von der Weide reinzuholen. Ich meine, ja oke, das ist definitiv eine Ausrede, um noch ein wenig Zeit im Stall zu verbringen und außerdem hat Oma sie heute eh nur ablongiert, da kann ich sie ruhig noch ein wenig besuchen gehen. Kurzum beschließe ich, sie noch ein wenig Bodenarbeit machen zu lassen, als ich sehe, dass die Halle frei ist. Caryla freut sie wie Schmitt's Katze, als ich sie zuerst ein wenig freilaufen lasse während ich ein paar Pylonen hole. Dann rufe ich sie zu mir und wir üben das "Bluetooth-Halfter". Dabei ist Caryla immer total brav und kommt mit. Das Slalom ignoriert sie gekonnt und stiefelt einfach über die Hütchen. Ich höre ein Lachen, das nicht meines ist -ich heule fast vor Lachen -und drehe mich. Im Halleneingang steht Lavena und grinst mich an. Sofort muss ich lächeln und werde vielleicht ein kleines bisschen rot, aber ich glaube, sie hat es nicht gesehen, weil ich das Hallenlicht ausgelassen habe und es draußen mittlerweile schon dämmrig ist. Lavena hat scheinbar das Gleiche gedacht, denn plötzlich wird es hell und Caryla prustet erstaunt los. "Kann ich Sunny hohlen und mitmachen?", fragt Lavena mich und ich nicke. Fünf Minuten später sind wir zu viert und Sunny fetzt mit meinem Pony durch die Halle, die beiden verstehen sich gut, und wir haben beschlossen, die beiden einfach rumtoben zu lassen. Jetzt stehen wir an der einen kurzen Wand und sehen unseren Pferden beim Spaß haben zu. Die meiste Zeit lachen wir uns kaputt, weil die beiden Vierbeiner so einen Aufstand um nichts machen. Da stehen sie einen Moment friedlich nebeneinander, im nächsten Augenblick rasen sie buckelnd durch die Halle, weil Caryla Sunny's Schatten entdeckt hat oder umgekehrt. "Du bist echt ein cooler Stallkumpel, Jo", sagt dieses tolle Mädchen neben mir auf einmal und mich trifft beinahe der Schlag. Hat sie das gerade wirklich gesagt? Im gleichen Moment erinnere ich mich an die Bedeutung von "Kumpel" und meine Begeisterung wird kleiner. Trotzdem sage ich "Und du bist auch eine super Stallkumpeline", aber der Satz hat einen Beigeschmack wie Asche im Mund. Am liebsten würde ich ihr sagen Du bist die tollste Person, die mir je begegnet ist, Manu, Samu und meine Oma mal ausgenommen. Du bringst mich zum Lachen und ich weiß, das ist oberflächlich, aber du bist wunderschön! Aber das sage ich nicht, dafür bin ich ein viel zu großer Überdenker. Und ich habe auch einfach Angst und ich weiß, dass das normal ist, aber es ist trotzdem blöd. Caryla kommt zu uns und versucht ein Leckerli aus meiner Jackentasche zu klauen. Ich mache einen Schritt zu Seite und Caryla gibt auf, wobei sie aber fordernd vor mir stehen bleibt, um sich ein Leckerli zu erbetteln. Sunny schlurft müde hinterher und bettelt bei seiner Besitzerin. Ich lasse Caryla auf Kommando flehmen und gebe ihr dann ein paar Leckerlis. Auch Sunny bekommt nach einer kurzen Weile seine Leckerlis und beginnt seinen Kopf an Lavena's Jacke zu schrubben. Ich bekomme kaum noch Luft vor Lachen, aber eine klitzekleine Enttäuschung, dass ich nicht mit ihr so geredet habe, wie ich es wollte, macht sich in meinem Magen breit.
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Elfe
Teen FictionJo ist klein, aber was ist schon Größe... Als seine Oma, eine ehemals erfolgreiche Reiterin, sich ein Pony kauft, ernennt sie ihren Enkel kurzerhand einfach zum Reiter der Stute. Doch Jo hat in der Schule eigentlich schon genug Probleme, denn klein...