2. Neuigkeiten

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Er lief einige Zeit, und doch war es in der Lebensspanne eines Drachens kaum der Rede wert. Die Rufe rissen nicht ab. Sie lotsten ihn zu seinem Ziel: 
Einer riesigen freien Fläche, auf der einige Drachen saßen. Sie alle waren größer als er, schöner. Während sie in bunten Farben leuchteten, hatte Fanyam eine unscheinbare Erdfarbe. Ein Braun, das sich gut in die Umgebung einfügte. So als wäre er nicht hier. Sollte er vielleicht doch wieder gehen?
Aber er war nicht so weit gelaufen, um nun unverrichteter Dinge wieder umzudrehen. Er wollte zumindest erfahren, was der Grund für diese Versammlung war.

Ein Schatten fiel auf die Drachen und eine Stimme erschallte vom Himmel. Im selben Moment brachen die restlichen Rufe ab.

„Es stehen große Veränderungen an.“ Der Schatten glitt herab . Es war ein anderer Drache, er war rot und Fanyam hatte ihn hier noch nie gesehen. Doch er wusste, dass er normalerweise in einer anderen Welt lebte. Sie sah anders aus als die Erde, und doch glichen sie sich stark. Er hieß Araxes und in seiner Heimat war er der Herr über das Wasser.
Fanyam flog all dieses Wissen in den Kopf. Denn sie hatten sich alle schon einmal gesehen. Das war zu der Zeit, bevor sich die Drachen aufgeteilt hatten. Es schien ewig her zu sein.

Die Erde erzitterte leicht, als der Fremde landete. Danach war es einige Augenblicke mucksmäuschenstill. Man hätte eine Stecknadel fallen hören, auch wenn es sie zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht gab. Zumindest nicht in dieser Welt. „Die wahren Götter“, hob er an, „haben sich manchen von uns offenbart. Ich habe die Aufgabe übernommen, die Kunde von unserer Welt in diese hier zu tragen. Und einer von euch wird sie dann in die nächste weitergeben.“

„Warum haben sich nicht einfach alle versammelt? Oder sich uns per Gedanken mitgeteilt? Woher sollen wir wissen, dass das, was du uns sagst, die Wahrheit ist?“ Venturus erhob Einspruch.

„Auch das haben sie manchen von uns gesagt. Zunächst sollen die einzelnen Welten mehr im Austausch miteinander sein. Schließlich ist alles ein großes Gefüge, in dem keine Welt ohne die andere existieren kann. Dann kommen die Götter nur langsam zurück. Sie wollten diese Aufgabe abgeben.“ Araxes' Blick glitt über die anwesenden Drachen.
Auch an Fanyam, der weit abseits stand und sich nicht rührte, blieben die goldenen Augen kurz hängen. Er wusste nicht, ob ihn dieser Blick beruhigen oder weiter aufwühlen sollte. So führte es nur zu noch mehr Chaos in seinem Inneren.

Jetzt sag' schon, was du hier willst. Ich will nicht länger als nötig so nah bei den anderen sein.

Als hätte der rote Drache seine Gedanken erraten, fuhr er fort: „In jeder Welt wird sich demnächst etwas verändern. Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs. Bei uns betrifft das vor allem die Beschaffenheit der Luft. Bei euch verändern sich die Lebewesen. Wobei das eine auch das andere verändert, aber das ist nicht wichtig. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Dinosaurier verschwinden werden. Stattdessen, so sagten sie, werden Menschen die Erde bevölkern und sie werden die vorherrschende Spezies sein.“ Und er beschwor ein Bild in den Köpfen der Drachen herauf. Auch in Fanyams Gedanken schlich sich ein Bild von Dingern, die auf zwei Beinen liefen und weder Schuppen noch Fell hatten. Oder doch. Zu Beginn hatten sie dies. Doch dann, nach und nach, würde es weniger und die Menschen begannen, sich aufzurichten. So lange, bis sie auf zwei Beinen liefen. Die Haare wurden immer weniger.

„Das sollen also die nächsten sein? Das war das Ziel dieser Welt? Das ist doch lächerlich!“ Unruhe machte sich breit.

„Nun denn. Ich habe meine Aufgabe erfüllt. Fast jedenfalls. Wer von euch will in eine andere Welt aufbrechen und den dort lebenden Drachen mitteilen, was das Ziel ihrer Welt ist?“
In Fanyam zog es. Es war die Sehnsucht, etwas anderes zu sehen, als das Altbekannte. Doch dieses Ziehen wurde schnell durch einen Stich ersetzt. Denn selbst, wenn er eine Aufgabe hätte, er könnte sie nicht erfüllen.

„Ich mache es.“ Es war Igil.

„Gut.“ Araxes wandte sich ihm zu. „Komm zu mir und ich zeige dir das Bild, das du den anderen in der Welt zeigen sollst. Das Bild, das die großen Götter dir auf dem Weg in die andere Welt zeigen, ist das, was sie dann weitergeben müssen.“

Als die beiden sich mit ihren mächtigen Schwingen in den Himmel erhoben, folgte Fanyam ihnen mit seinem Blick und fragte sich, wie diese andere Welt wohl aussehen würde.
Die anderen blieben aufgebracht zurück. Die Luft wurde von dem Gebrüll der Drachen erfüllt. Doch die anderen Bewohner der Erde bekamen davon nichts mit. Denn sie befanden sich zwar auf demselben Planeten, jedoch in einer anderen Dimension. Deswegen wussten sie nicht, dass es Drachen gab.
Und trotzdem konnten sie ihre Spuren auf der Erde nicht ganz verwischen. Fußabdrücke oder der ein oder andere Knochen sollten die Zeit überdauern. Und von Menschen gefunden werden. Sie sollten die paar Exemplare, die es gab, für Dinosaurier halten.

Die Drachen beschimpften sich gegenseitig. Es war ein einziges Gebrüll, das Fanyam in den Ohren klingelte und ihn alles andere um sich vergessen ließ.
Er wollte umdrehen und unbemerkt wieder verschwinden. Ausrichten konnte er hier sowieso nichts.
Doch je länger er den streitenden Drachen, die entsetzt über die Entwicklung der Bevölkerung waren, zuhörte, desto stärker wurde dieses Gefühl in seinem Inneren. Am Anfang war es nur ein leichtes Kribbeln gewesen, mittlerweile glich es einem rastlosen Verlangen. Dieses Etwas in ihm musste an die Oberfläche. Jetzt.

Vergessen war der Vorsatz verschwinden zu wollen. Das was er hier vorhatte war wichtig. Das begriff er sogar durch die Vernebelung seiner Gedanken durch die Empörungslaute der anderen.

Innerlich wurde er immer unruhiger. Er wusste zwar, dass er diesem Drängen nachgeben musste, wusste jedoch nicht, wie.

„Vielleicht ist diese Veränderung gar nicht schlecht. Vielleicht können diese ... Menschen etwas, das uns nützen kann." Der Satz war schneller aus ihm heraus, als er denken konnte.
Auch wenn er nicht laut gesprochen hatte, verstummten seine Artgenossen sofort. Langsam wandten sich viele funkelnde Augen zu ihm um und fixierten ihn.
Die Luft, die die Drachen in diesem Moment umgab, war zum Schneiden dick, um es mit menschlichen Worten zu beschreiben.

„Du..." Ein riesiger grüner Kopf senkte sich zu ihm herab. Fanyam hätte fast Angst gehabt, war allein dieser Kopf doch schon größer als er selbst. Die Pupille, die von einer goldenen Iris umgeben wurde, war ein schmaler Schlitz. Die viel zu großen Zähne blitzen. „Was weißt du schon?", knurrte er weiter.

„So jemand wie du will uns sagen, was er denkt? Das ist uns so egal!" Weitere Stimmen erhoben sich gegen ihn. Die Menschen waren nun nicht mehr wichtig.

Und trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit, trotz der Niedermachung, fühlte Fanyam sich gut. Denn dieses Gefühl war mit seiner Äußerung nicht verschwunden. Wenige Augenblicke später fühlte es sich an, als würde er sterben, wenn er das Etwas in ihm nun nicht endlich freigab. Und das machte ihm Mut, denn vielleicht war es das, auf das er die ganze Zeit gewartet hatte.

Er öffnete das Maul und wollte brüllen.

Doch was herauskam war kein Brüllen.

Es war eine Abfolge von Tönen, wie es sie noch nie zuvor gegeben hatte. Tiefe mischten sich mit hohen und es entstand etwas völlig Neues: Eine Melodie, so wollte Fanyam es von nun an nennen. Sie schwebte um die Drachen wie ein dicker, unsichtbarer Nebel, niemand konnte sich ihrer Wirkung entziehen. Und wie aus dem Nichts war es plötzlich mucksmäuschenstill. Niemand rührte sich und Friede legte sich über die Anwesenden. Das bösartige Funkeln verschwand aus ihren Augen und sie blinzelten beschwichtigend.

Vielleicht solltet ihr ihnen erstmal eine Chance geben. Der kleine Drache nutzte den Moment, um zu verschwinden.

Die Melodie der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt