6. Bestimmung

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Er flog über die Welt.
Ja Fanyam flog, er flatterte nicht mehr. Denn nun hatte er herausgefunden, wo sein Platz war. Was seine Bestimmung war.

Mit einem mächtigen Blick erfasste er alle Lebewesen auf der Erde.

Er holte tief Luft und spürte, wie sie in seine Lungen strömte. Und mit der Luft kam neue Kraft.

Dann stimmte er sie an. Die Melodie, die er den Drachen vorgesungen hatte. Danach war es friedlich geworden um ihn herum. Und er hatte sich inspiriert gefühlt.

Weshalb sollte er also dieses Gefühl nicht weitergeben?
Vielleicht würde es den anderen Lebewesen auch helfen, ein besseres Leben zu führen.

So flog er weiter, über jeden Winkel des Landes und des Wassers. Den ganzen Tag und die ganze Nacht und noch einige Tage und Nächte mehr.

Er sang weiter seine Melodie, ohne eine einzige Unterbrechung. Fanyam musste in dieser Zeit weder fressen noch schlafen - falls Götter das überhaupt müssen.
Diese Abfolge der Töne füllte ihn voll aus. Es gab nichts anderes mehr.

Er hatte sie selbst gefunden: Damals, bei der Versammlung, hatte er die Musik erfunden. Später in seiner Höhle, als er auf die neue Welt gewartet hatte, war er von seiner Fantasie durch die eintönigen Tage und Nächte getragen worden.
Das Träumen und die Hoffnung, irgendwann fliegen zu können und den Menschen ein besseres Leben zu schenken, hatten ihn gefunden.
All das sammelte sich nun in ihm, bevor er es in die Welt trug. Er wurde sich all dem bewusst.

So wurde sie geboren, die Melodie der Drachen.

Einige Tage später, als er über jedem Flecken Erde gesungen hatte, gab es eine erste Wirkung.
Die Welt hatte sich verändert. Das Licht der Sonne spiegelte sich auf jeder Wasseroberfläche, die er sah. Es war ein wunderschöner Anblick, der zum Träumen anregte.
Das Rascheln der Blätter im Wind war nicht länger nur ein Geräusch, es war ein Rauschen, das beruhigend wirkte. Auf ihn und auf alle anderen. Vor allem auf die Menschen.
Das Plätschern der Flussläufe und Bäche war nun mehr ein Sprudeln, das so viel in sich trug. Nicht umsonst heißt es heute Vor Ideen sprudeln.
Und der Schnee, der irgendwann aus den Wolken fallen würde, sollte langsam hinunter fallen und die Welt mit seiner weißen Decke sanft umhüllen. Für die Menschen würde eine schneebedeckte Welt von nun an eine entspannte und entschleunigte sein.

Das war er gewesen. Er, der kleine, nichtsnutzige Fanyam, hatte die Welt schöner gemacht. Und das Beste: Die großen Götter ließen ihn gewähren. Er hatte also alles richtig gemacht.

Als er nun zu den anderen Drachen zurückkehrte, zollten sie ihm Respekt.

„Ich hätte nie gedacht das Mal zu sagen, aber wir haben dich gebraucht. Und alle haben das zu spät gemerkt." Raventos neigte den Kopf vor ihm.

Und plötzlich kam er sich nicht mehr klein und unbedeutend vor, sondern mindestens so groß wie sein Gegenüber. Der Drache, der ihn immer am meisten verachtet hatte, verneigte sich vor ihm!

„Man sollte Unscheinbare niemals unterschätzen!", gab er zurück. Noch während er das sagte, flog er in die anderen Welten, um ihnen seine Melodie zu schenken. Er konnte fühlen, dass das sein Auftrag war.
Denn warum sollte diese hier die einzige Welt sein, in der es all diese schönen Dinge gab?

Die Melodie der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt