4. Die Lücke

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Doch eines Tages werde ich fliegen können. Das nahm er sich fest vor. Dieser Gedanke manifestierte sich in seinem Kopf. Und er leitete ihn.

Und so zog erneut einige Zeit ins Land. Eine Zeit, in der sich die Menschen weiterentwickelten, Fanyam seine Artgenossen am Himmel vorbeiziehen sah und er feststellte, dass es in dieser Welt eine Lücke gab. 

Dank seiner Winzigkeit konnte er sich in derselben Dimension aufhalten wie alle anderen Lebewesen um ihn herum, ohne dabei gesehen zu werden. Doch trotzdem konnte er die Drachen noch immer sehen, denn er war einer von ihnen. Auch wenn die anderen das nicht anerkennen wollten.

Er sah Menschen, die um ein Feuer herum saßen. Es waren vier Männer, drei Frauen und vier Kinder.
Die Kinder waren damit beschäftigt, mit ihren Händen in der Erde zu graben. Sie wirbelten Staub auf.
Es war nur eine kleine Gruppe von Menschen.

Und doch, so dachte Fanyam, wirkte allein diese kleine Ansammlung von Menschen so zerbrochen.

Die Menschen am Feuer unterhielten sich mit seltsam klingenden Lauten, es war keine Sprache. Noch nicht.

„Warum sollen die Menschen nicht auch sprechen können?", fragte er sich selbst.
Vielleicht war es das, was den Bewohnern dieser Welt fehlte. Die Sprache, die sie miteinander verband.
Fanyam würde es vorschlagen, auch, wenn niemand ihn beachten würde. Es lag nicht in seiner Natur, aufzugeben.

Er stellte es sich vor, wie es wäre, wenn die Menschen sprechen könnten wie die Drachen.
Nein, das wäre nicht richtig. Noch nicht. Und nicht alles. Es wurde immer noch etwas fehlen.

Die Gruppe der Menschen teilte sich. Die Männer nahmen Stöcke, deren Spitzen sie angespitzt hatten, und entfernten sich von den Frauen. Diese blieben zurück und beobachteten ihre Kinder beim ... Ja, bei was eigentlich? Er wüsste nicht, dass das, was die kleinen Menschen da taten, einen Namen hatte. ...Spielen, kam ihm in den Sinn. Ja, so sollte es nun heißen. 

Es dauerte eine Weile bis er begriff, was er da gerade getan hatte. Er, Fanyam, der kleine unscheinbare Drache, hatte etwas benannt! Er konnte es kaum fassen.

Am liebsten hätte er seine Freude darüber laut hinausposaunt. Doch das ging nicht, hätten ihn die Menschen sonst entdeckt. Nun flog er, wenn auch nicht so, wie er es eigentlich immer gewollt hatte.

„Aber Spielen sollte etwas anderes sein, als bloß Löcher zu buddeln. Es sollte ... Spaß machen und ...", sagte er leise. Es fehlte noch immer etwas. Fanyam saß dort und rührte sich nicht. Was war es, das er suchte? Er wusste es nicht. Er spürte lediglich, wie sich diese Lücke, die er seit langer Zeit spürte, vergrößerte.

In diesem Moment kam es Fanyam so vor, als hätte er endlich das kleine Zahnrädchen gefunden, das ihm die ganze Zeit über gefehlt hatte. Das seine Maschinerie endlich in Gang setzte.

Nein, kein Mensch, kein Lebewesen, wirkte vollkommen. Und diese Welt auch nicht, genauso wenig wie alle anderen Welten. Ihnen allen fehlte noch etwas. Etwas, das die anderen nicht sahen.
Vielleicht, weil sie zu groß waren. Sie hatten ihren Kopf zu weit oben, um das Grundlegende zu sehen.

Deswegen erinnerte er sich an das Gefühl, mit den anderen verbunden zu sein. Irgendwie musste er die Verbindung wiederherstellen können.
Nein, er war vielleicht nicht so wie die anderen.
Aber das machte ihm nichts. Er konnte beobachten, das reichte ihm.
Es machte ihm auch nichts, dass die anderen ihn nicht ernst nahmen.
Das hatte er sich immer wieder gesagt. So lange, bis es die Wahrheit geworden war. Doch nun stand er darüber, trotz seiner geringen Größe.

Er dachte an die Drachen und meinte, eine lose Verbindung zu spüren.

Der kleine erdfarbene Drache fuhr so mit dem fort, was er konnte. Mit dem, was sonst niemand konnte. Er beobachtete, ohne wahrgenommen zu werden.

Er war der einzige, der die Menschen wirklich kannte. Er sah den Menschen vorerst weiter zu.

***

Bald darauf fasste Fanyam einen Entschluss: Er würde mit den anderen wieder in Kontakt treten. Und wenn sie es nicht wollten, würde er es trotzdem tun.

Denn durch seine Beobachtungen und dadurch, dass er diese, seine, Lücke nun endlich gefunden hatte, wusste er, dass er eine wichtige Rolle spielte. Nur weil er es nicht von Anfang an getan hatte, hieß das nicht, dass er sie nicht innehatte.

Nein, er hatte lange auf diesen Auftritt gewartet. Doch nun war seine Zeit gekommen. Er war lange genug unsichtbar gewesen. Nun würde er ins Licht treten. 

Also rief er die anderen zusammen. Und hoffte, dass es ihm gelingen würde. Während er seine Gedanken zu den Drachen aussandte, lief er los.

Zu seiner Überraschung konnte er ein wenig flattern. Und wenn es aus heutiger Sicht eher an ein Huhn erinnerte und eines Drachen noch lange nicht würdig war, überkam Fanyam dabei ein beflügelndes Gefühl.

Er hielt nicht an, ehe er in der Nähe der Versammlung der anderen angekommen war. Natürlich waren sie schneller als er gewesen. Mit mächtigen Schwingen konnte man eine Strecke nunmal schneller zurücklegen als mit winzigen Beinen. Doch er war zu der Überzeugung gelangt, dass es nicht darauf ankam, als Erster sein Ziel zu erreichen. Sondern in welcher Verfassung. Was nützte es, als Erster im Ziel zu sein, wenn man außer Atem war? Er war vielleicht langsamer, hatte sich dafür aber genau überlegt, was er nun tun würde. 

Er stand vor den anderen. Sie wirkten aufgebracht und verwirrt, schienen nicht zu wissen, wer sie zusammengerufen hatte.

Fanyam erhob seine Stimme.



Die Melodie der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt