1. Kapitel

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Wieder stand sie dort am anderen Ufer dieses kleinen Flusses, wie schon die vielen Tage zuvor. Seit Wochen stand sie jeden Tag dort und beobachtete ihn, egal was er tat. Auch wenn er nichts tat, was meistens der Fall war. Sie glaubte wohl, er würde sie nicht bemerken, doch genau das hatte Legolas, Prinz des Düsterwaldes, schon längst getan. Er wusste seit Langem, dass sie ihm zu dieser Stelle folgte, und es machte ihm nichts aus. Im Gegenteil, er hatte Gefallen daran gefunden, für ihn war es zu einem Spiel geworden, sie jeden Tag aufs Neue irgendwie zu beeindrucken. Eigentlich wunderte es ihn, dass sie immer noch dachte, sie würde unbemerkt bleiben, wie sie dort halb hinter dem Baum stand, denn er war der Meinung, die Änderung seines Verhaltens war offensichtlich.

Jedenfalls hatte er lange, seit er sie zum ersten Mal bemerkt hatte, darüber nachgedacht, warum die (für Elbenverhältnisse) junge Elbin ausnahmslos jeden Tag hier war und ihn beobachtete. Aragorn, der ja weitaus mehr Erfahrung mit Frauen hatte als Legolas, hatte ihm einmal gesagt, manche Frauen waren so. Er hatte gesagt, manche Frauen taten das, wenn sie verliebt waren. Diese Erkenntnis hatte Legolas zunächst erschreckt. Er hatte nie gedacht, dass sich einmal eine Elbin seines Volkes in ihn verlieben könnte. Er hatte gelernt, vorsichtig zu sein bei denen, die wussten, wer er war, denn die Aussicht, einmal Königin zu werden, stellten viele vor die Liebe. Und diejenigen, denen das egal war, dachten gar nicht erst daran, dass der Prinz vielleicht der Richtige sein könnte, weil sie wussten, wie unrealistisch eine Zukunft mit ihm war. Das und die Tatsache, dass er selten aus dem Düsterwald herauskam, hatten dazu geführt, dass er, nun schon mehr als 2000 Jahre alt (die genau Zahl ist unwichtig), noch keine einzige Beziehung gehabt hatte, noch nie mit einer Frau geschlafen hatte. Sein Vater war eigentlich ganz froh darüber. Thranduil, König des Düsterwaldes, wollte, dass sein Sohn eines Tages eine würdige Elbin heiratete, nicht irgendeine aus dem Volk. Er hatte Legolas gesagt, was er davor tat, war ihm ziemlich egal, nur sollte er nicht schlecht auffallen.

Also hatte er nach vielen Grübeleien beschlossen, sie endlich anzusprechen. Heute. Jetzt. Hier. Was konnte denn schon passieren? Langsam erhob er sich und schlenderte aufs Wasser zu, wo er Ausschau nach einer ganz bestimmten Stelle hielt. Als er sie gefunden hatte, sprang er elegant (schließlich beobachtete sie ihn) über ein paar Steine, die aus dem Wasser ragten, hinüber ans andere Ufer. Er stand nun dort im Gebüsch und beobachtete lächelnd, wie die junge Elbin sich verwirrt umsah, da er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Jetzt, als er sie aus der Nähe sah, stellte er fest, dass sie wirklich hübsch war. Gut, schön waren die meisten Elben, doch sie gefiel ihm wirklich. Ein letzter vorsichtiger Blick, dann trat er aus seinem Versteck heraus. Sie bemerkte ihn nicht, da sie gerade mit dem Rücken zu ihm stand. Legolas schlich an sie heran, und als er direkt hinter ihr stand, räusperte er sich. Die Elbin sprang vor Schreck in die Höhe, dann drehte sie sich vorsichtig zu ihm um. Als sie den, der vor ihr stand, erkannte, wurde sie rot.

„Oh", machte sie nur verlegen. Legolas lächelte. „Habe ich dich erschreckt?" „Ja, allerdings!" „Dann tut mir das Leid. Sag, wie ist dein Name?" Erstaunt und noch immer rot sah sie ihn an. „Lalwen", sagte sie dann unsicher. Wieder lächelte Legolas. Er fand ihre Unsicherheit einfach nur süß. „Ein schöner Name ist das." „Danke", murmelte sie und wurde noch einen Tick roter. „Nun, Lalwen", begann Legolas die Frage, wegen der er eigentlich herübergekommen war, „mich würde wirklich interessieren, was so reizvoll daran ist, mich Tag für Tag hier sitzen zu sehen." Der Schreck in ihren Augen war unübersehbar. Sie hatte sich also wirklich unbemerkt gefühlt. „Ihr habt mich gesehen?" „Ich weiß schon lange, dass du jeden Tag hier bist.", erklärte er ihr noch immer lächelnd. „Aber gestört hat es mich nicht." „Nicht?" Das schien sie zu wundern. Legolas mochte dieses Unsichere. Außerdem gefielen ihm ihre Augen. „Nein. Der Gedanke, es wert zu sein, beobachtet zu werden, ist eigentlich recht angenehm. Aber zurück zu meiner Frage. Was ist so interessant an mir?" Lalwen sah verlegen zu ihm auf. Nebenbei bemerkt war sie immer noch rot. „Ihr seid schön", flüsterte sie. „Ach ja?" Eine gewisse überragende Schönheit lag in der Natur der Elben, jedoch gab es natürlich auch Elben, die mit noch größerer Schönheit gesegnet waren. Dass Legolas einer davon war, wusste er selbst, aber es tat gut, das ausgerechnet von ihr zu hören. „Der schönste Elb, den ich jemals gesehen habe." „Danke. Aber weißt du eigentlich, Lalwen, dass du wirklich hübsch bist?" „Ach was..."

Der Prinz setzte einen strengen Blick auf. „Widersprich mir nicht!" Lalwen machte zunächst einen erschrockenen Eindruck, doch als Legolas anfing zu lachen, lachte sie mit. Ihm gefiel ihr Lachen. Ihm gefiel einfach alles an ihr. Sein Blick blieb an ihren Augen hängen, was sie natürlich bemerkte. „Starrt Ihr mich an?", fragte sie grinsend. „Vielleicht", antwortete er, nicht ganz bei der Sache, da er damit beschäftigt war, eben das zu tun. „Das war ein ja" Endlich schaffte er es, wegzusehen. „War es gar nicht." „Und ob." Legolas erwiderte darauf gar nichts.

Sie trafen sich am folgenden Tag wieder, an der selben Stelle, und auch am darauf folgenden. Ungefähr eine Woche später saßen sie wieder am Ufer des Flusses. Lalwen beobachtete die Strömung des Flusses, doch Legolas war wieder einmal von ihrem Anblick gefesselt. Er konnte es nicht begreifen, was mit ihm passierte, er wusste nur, dass er sich nicht dagegen wehren wollte. Was er jedoch nicht wollte, war, dass sie jedes Mal bemerkte, wie er sie ansah. Er wusste ganz genau, dass es sie unglaublich freute. Dass sie erkannt hatte, wie sehr er sie mochte. So bemerkte sie es auch nun. Lächelnd ließ sie den Fluss Fluss sein und sah Legolas in die Augen. Er versank wieder in den schönen grünen Augen, die ihn so faszinierten.

Sie wussten beide nicht, wie. Ihre Gesichter kamen sich immer näher, bis sich schließlich ihre Lippen berührten. Irgendwann lösten sie sich voneinander. „Du bist ... unglaublich", flüsterte Lalwen. Legolas sah ihr wieder in die Augen. „Ich liebe dich." Lalwen strahlte ihn überglücklich an. „Ich dich auch." Er strich ihr sanft über die Wange. Dann küsste er sie ein zweites Mal.

I never meant to cheat on you (Deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt