10. Kapitel

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Aragorn bestand jedoch darauf, dass sie beide in dem größten Raum schliefen, zur Sicherheit. In den beiden hinteren Räumen fanden sie Decken, die zwar von Motten nicht verschont geblieben waren und muffig rochen, jedoch noch nicht vollständig nutzlos waren. Sie machten ein Feuer im Kamin und aus den gefundenen und den eigenen Decken Betten, die im Verhältnis zu den Schlafplätzen der vorherigen Tage ein Luxus waren. „Was glaubst du, wer hier gelebt hat?", fragte Legolas schließlich, als sie nahe am Feuer saßen, aßen und tranken. Aragorn betrachtete nachdenklich die Flammen. „Ich weiß es nicht. Aber, wer immer es auch war, entweder sind diejenigen tot oder schon lange fortgegangen."„Da magst du Recht haben...", meinte der Elb und sah besorgt aus dem staubigen Fenster. „Aragorn ... es dauert nicht mehr lange, bis wir im Düsterwald ankommen. Was dann? Was soll ich dort?"Der Mensch musterte ihn erstaunt.„Du freust dich kein bisschen darauf, nach Hause zu kommen."„Nein."„Auch nicht, wenn du daran denkst, sie wiederzusehen?"Er sprach den Namen nicht aus, dennoch wusste Legolas, dass er von Lalwen sprach. Das war die Frage, die er sich selbst auch stellte. „Es ist ... es ist recht seltsam, Aragorn. Als ich fortging, dachte ich, es gäbe nichts auf der Welt, dass ich mehr liebe als sie. Aber ... wenn ich sie liebe, müsste ich sie dann nicht vermissen? Ich habe seit ich ging nur einmal an sie gedacht, und das war gestern, als mir bewusst wurde, dass ich sie nicht vermisse. Ich will nicht zurück. Heißt das, sie ist mir egal? Ich meine, kann das sein? Kann sie mir egal sein, einfach so? Kann es sein, dass ... dass ich sie nicht mehr liebe? Kann es sein, dass ich sie nie wirklich geliebt habe?"Aufmerksam hatte der Mensch zugehört. Nun sah er den Elben nachdenklich an. „Du hast nicht an sie gedacht? Kein einziges Mal außer gestern?"„Nein. Nie."„Naja, ich denke ... du hast sie sicher geliebt, als du mir von ihr erzählt hast. Ich konnte es dir ansehen. Aber denke daran, wie lange du nun schon weg bist... vielleicht war es nur eine leichte Verliebtheit, die schnell vorübergeht. Dann ist sie ohnehin nicht die Richtige. Aber, Legolas, von ihr ganz abgesehen. Du musst zurück. Du bist der Prinz, du kannst nicht einfach gehen und nicht mehr wiederkommen."„Ich weiß. Aber ich will meinen Vater nicht sehen, und wenn ich ehrlich bin, will ich sie auch nicht sehen. Wie soll ich ihr das alles erklären? Ich bin gegangen, ohne ihr etwas zu sagen, und nun komme ich zurück und sage, ich liebe sie nicht. Wieso kann mir das nicht erspart bleiben?"„Wenn ich ganz und gar nicht mitfühlend wäre, würde ich sagen, du bist selbst schuld. Aber du tust mir schon ein wenig leid, wenn ich daran denke, wie Arwen reagieren würde ... Reagieren wird."„Reagieren wird?", fragte Legolas erstaunt. Er wollte doch nicht wirklich... Doch, das wollte er.„Ja. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Wenn du das überstanden hast, werde ich nach Bruchtal reiten und es ihr sagen. Ich werde ihr sagen, dass es vorbei ist. Du weißt, was ich dir über sie erzählt habe. Wahrscheinlich werden mir noch wochenlang die Ohren wehtun von ihrem Geschrei, aber ich werde wieder frei sein. Endlich. Und Elrond wird zufrieden sein."Legolas stellte sich still die Frage, ob diese Entscheidung wohl etwas mit Siara zu tun hatte, doch er fragte Aragorn nicht. Er wunderte sich auch nicht, dass die mittlerweile bekannte Eifersucht wieder hochkam. Was die Eifersucht jedoch bewirkt hatte, war, dass er, als er sich sicher war, dass Aragorn schlief, in eines der beiden hinteren Zimmer ging, ein Fenster öffnete und begann nachzudenken. Über alles, was ihn in letzter Zeit beschäftigte. Kalte, feuchte, nach Regen riechende Luft schlug ihm ins Gesicht. Er lehnte sich auf die Fensterbank und sah den Regentropfen zu. In Gedanken nannte er sich selbst einen Feigling. Weil er vor seinen Gefühlen davonlief. Er dachte nach über Aragorn. Etwas hatte sich verändert, dessen war er sich sicher. Warum nur war er so eifersüchtig auf Siara gewesen? Und warum hatte es ihn gefreut, zu hören, dass er sich offiziell von Arwen trennen wollte? Die diskussionsfreudigen Stimmen seines Kopfes meldeten sich wieder. Die eine sprach aus, was Legolas selbst eigentlich schon wusste, sich aber nicht eingestehen wollte. ‚Ich liebe ihn', sagte die Stimme aufgeschlossen, und trotz des energischen Widerspruchs der anderen Stimme wusste er, dass es die Wahrheit war. Weshalb sonst hätte er ihn verträumt beobachten sollen, als der Mensch schlief? Weshalb sonst wäre er eifersüchtig auf Siara gewesen? Weshalb sonst war er in diesem Moment der Versöhnung versucht gewesen, ihn einfach zu küssen? Es war auch wirklich eindeutig, wie er sich nun eingestand. So oft hatte er schon über Aragorns braune Augen nachgedacht, die er als so wunderschön empfand. Über das Lachen, das ihn so tief bewegte. So fühlte es sich also an. So fühlte es sich an, einen Mann zu lieben. Es war gar nicht so unvorstellbar, wie Legolas vor gar nicht allzu langer Zeit noch gedacht hatte. Was hatte ihn an der Vorstellung der Beziehung Thranduils zu Ethuil eigentlich so gestört? Er wusste es nicht mehr. Traurig sah er zum Mond auf, der zwischen den Wolken gerade noch zu erkennen war. Aber ... es war doch hoffnungslos, oder? Aragorn würde seine Gefühle doch niemals erwidern. Doch nicht Aragorn, der schon so viele Frauen gehabt hatte, der genauso entsetzt über die Geschichte Thranduils gewesen war wie Legolas. Er konnte es ihm nicht sagen, denn dann würde er ihn verlieren. Und das war das, was er am allerwenigsten wollte. Für nichts wollte er die Freundschaft zu Aragorn aufgeben. Lange stand Legolas dort, sah den Regentropfen zu, wie sie auf der Erde aufkamen, und dem Mond, wie er hinter den Wolken verschwand und wieder auftauchte. Er bemerkte nicht, dass im Nebenzimmer Aragorn aufwachte, was seinen Elbensinnen im Normalzustand sicher nicht entgangen wäre. Er bemerkte auch nicht, wie kalt es im Zimmer mittlerweile geworden war, und er fror nicht. Aragorn jedoch spürte den kalten Luftzug, der durch die undichte Tür zu ihm drang. LegolasElbensinne registrierten nicht, wie der Mensch sich der Tür näherte, und auch nicht, wie er sie öffnete. Erst die Stimme des Braunhaarigen holte ihn zurück in die Realität.„Legolas?"Der Elb drehte sich zu ihm um, sah ihn jedoch nicht an. Aragorn ging auf ihn zu.„Was ist los?", fragte der Mensch besorgt.„Nichts. Alles in Ordnung.", log Legolas, immer noch ohne ihn anzusehen. Er spürte, wie Aragorns Hand sein Kinn sanft nach oben drückte und ihn zwang, in die braunen Augen zu sehen.„Das stimmt nicht, und das weißt du, Legolas. Ich will dir helfen, was ist los?"Der Elb antwortete nicht. Er versank in dem schönen Braun der Menschenaugen, und es war ihm egal, ob der Mensch seine Gefühle nun erahnen konnte. Bei dem Gedanken daran, dass er ihm nun so nah war, und doch keine Chance hatte, und dank seiner Verwirrung ließ er alle elbische Kälte fallen. Seine blauen Augen füllten sich mit Tränen und diese suchten sich Wege über seine Wangen. Er wollte nicht, dass Aragorn seine Tränen sah, und wandte schnell das Gesicht ab. Doch es war zu spät, der Mensch hatte sie schon gesehen. „Legolas ... sag mir doch, was bedrückt dich so sehr?"Die raue Hand des Menschen drückte sein Gesicht zurück, sodass er ihn wieder ansehen musste. „Ich kann es dir nicht sagen", brachte der Elb zwischen den Tränen hervor. „Es gibt nichts, das du mir nicht sagen könntest."Als Antwort schüttelte Legolas nur den Kopf. Das konnte er ihm wirklich nicht sagen.

I never meant to cheat on you (Deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt