5. Kapitel

312 19 0
                                    

Es war mitten in der Nacht, draußen tobte der Sturm. Es regnete wie aus Gießkannen und der Wind pfiff laut. Aragorn war schnell eingeschlafen und lag friedlich, in seinen Mantel gewickelt, in einer Ecke. Legolas jedoch konnte bei diesem Lärm nicht schlafen. Er saß da, an die Felswand gelehnt, er war müde und fror, und er verfluchte sich dafür, aus Bruchtal weggegangen zu sein. Dort hätte er ein warmes Zimmer gehabt mit einem weichen Bett... Zu spät. Es war nicht mehr zu ändern. Der Elb ermahnte sich selbst, nicht so wählerisch zu sein. Das würde ihn nicht weiterbringen. Neben ihm drehte Aragorn sich leise um. Nun konnte Legolas sein Gesicht sehen. Ungewollt betrachtete er seinen schlafenden Freund, wie gefesselt starrte er auf dessen Gesicht. ‚Süß, wie er schläft', dachte er. Im selben Moment erschrak er über sich selbst. ‚Was bitte, Legolas?!' er zwang sich, den Blick abzuwenden, und erhob sich seufzend. Diese seltsamen Gedanken schob er auf die Müdigkeit und die Erschöpfung. Leise, um Aragorn nur nicht zu wecken, ging er auf den Ausgang der Höhle zu. Die beiden Pferde waren ebenfalls wach. Sie standen gerade so in der Höhle, dass sie im Trockenen waren. Anscheinend machte ihnen der Lärm nichts aus. Lange stand er bei den Tieren und sah den Regentropfen, die als lange Schnüre vom Himmel fielen, zu. Seine Gedanken schweiften wieder ab. Er dachte daran, wie er Aragorn beobachtet hatte. Er wusste genau, dass seine Gedanken nichts mit der Müdigkeit zu tun gehabt hatten. ‚Was stimmt nur nicht mit mir? Was ist mit mir los?' Der Wind pfiff um die Ecke und die kalte Luft holte Legolas zurück in die Realität. Fröstelnd kehrte er zurück in den hinteren Teil der kleinen Höhle, wo der Mensch noch immer friedlich schlief.

Am nächsten Morgen wurde Legolas durch ein Rütteln an seiner Schulter geweckt. Anscheinend war er doch noch eingeschlafen. Er öffnete verschlafen die Augen. Das erste was er sah, war Aragorn, der neben ihm kniete und ihn wach gerüttelt hatte. „Na endlich, Schlafmütze!", meinte Aragorn lächelnd. „Schlafmütze? Wer ist als erstes eingeschlafen?", entgegnete Legolas. Er blickte hoffnungsvoll nach draußen. Noch eine Nacht wollte er nicht in dieser staubigen, feuchten, kalten Höhle verbringen. Der Sturm hatte sich gelegt, doch es regnete noch immer. Wenigstens waren nicht mehr ganz so viele dunkle Wolken am Himmel wie noch am Abend zuvor. „Selbst schuld. Beeil dich, reiten wir weiter, bevor der Regen wieder stärker wird. Ich möchte es heute mindestens noch zu den Bergen schaffen..." Gequält raffte sich der Elb auf und ging auf sein Pferd zu. Aus einer Tasche am Sattel zog er eine Wasserflasche und trank einen großen Schluck. Aragorn saß schon auf seinem braunen Pferd. „Fertig?" Legolas nahm noch einen Schluck, nickte, packte die Flasche ein und saß auf. „Los geht's." Sie ritten weiter nach Osten, auf das Nebelgebirge zu. Es war sehr wahrscheinlich, dass sie es an diesem Tag noch erreichen und den Hohen Pass überqueren würden. Jedenfalls, wenn nichts dazwischen kam. Eine Gruppe streitsüchtiger Menschen beispielsweise.

Sie hatten nur noch wenige Meilen vor sich, bis sie das Nebelgebirge erreichen würden. Es war kein richtiger Wald, den sie gerade durchquerten, eigentlich nicht einmal ein Wäldchen. Den Weg durch diese Ansammlung von Bäumen, wie man es eigentlich bezeichnen sollte, hatten sie nur gewählt, weil er der kürzeste war. Sie waren gerade etwa in der Mitte des Wäldchens angelangt und führten ihre Pferde neben sich, als sie angegriffen wurden. Etwa 14 Menschen kamen aus dem Gebüsch gestürmt und umzingelten sie. Einige zielten mit gespannten Bögen auf sie, andere hielten Schwerter umklammert. Legolas spannte blitzschnell ebenfalls seinen Bogen und zielte auf den, der ihm am nächsten stand. Aragorn zückte sein Schwert. Legolas sah einen der Angreifer von hinten auf Aragorn zukommen. „Aragorn!", zischte er. Zu spät. Der Mann hatte Aragorn bereits umklammert und drückte ihm sein Schwert an die Kehle. Legolas verlagerte sein Ziel auf ebendiesen Angreifer. „Wenn du schießt", sprach der Mann, „sterbt ihr beide." Der Elb ließ sich nicht beirren. Er zielte weiter auf den Menschen. Er war bereit, für Aragorn zu sterben, genauso wie Aragorn auch für ihn sterben würde. „Lass ihn los!", sagte Legolas laut. Der Fremde grinste. „Nein." Alle Bögen um sie herum waren nun auf Legolas gerichtet. Der Fremde drückte seine Klinge fester auf Aragorns Kehle. Dieser sah Legolas an. In seinen Augen konnte der Elb ganz deutlich die Todesangst erkennen. Das war es, was ihn dazu veranlasste, den Pfeil abzuschießen. Er traf den Fremden in die Magengegend. Das Schwert des Angreifers fiel zu Boden. Aragorn befreite sich blitzschnell aus dessen Griff. Der Verwundete keuchte vor Schmerz, hob dann zornentflammt sein Schwert auf und ging auf Aragorn los. Noch ein Pfeil von Legolas. Direkt ins Herz. Der Mann sank auf die Knie. Er keuchte. Ein schmerzerfüllter Laut aus seiner Kehle. „Siara". Dann sank er in sich zusammen. Er war tot. Die restlichen Angreifer sahen sich geschockt und verängstigt an. Zunächst glaubte Legolas, sie würden sich zurückziehen, doch dann überwiegte der Zorn über den Mord an ihrem Anführer. Sie hoben ihre Schwerter und stürmten auf sie zu, schossen wahllos Pfeile in die Richtung, in der Legolas und Aragorn standen. Legolas wich geschickt den Pfeilen der Menschen aus. Das wäre ja noch schöner. Ein Elb würde sich niemals von einem Menschen erschießen lassen! Jedoch ließen sich Menschen von Elben erschießen. Auch wenn Legolas nicht bezweckte, möglichst viele der Angreifer zu töten, wehren musste er sich schließlich. Zwei weitere Fremde starben durch seine Pfeile. Einer durch Aragorns Schwert. Einer der Fremden, eher klein und zart, jedoch auch kräftig, hatte sich der Schlacht enthalten und schweigend neben dem Leichnam des Anführers gekniet. Dieser eine stand nun auf, erblickte die drei weiteren Toten und rief seinen Leuten laut „Halt!" zu. Legolas und Aragorn sahen ihn noch irritierter an als die Fremden. Diese Stimme ... das war kein Mann. Der, der dort stand, musste eine Frau sein. „Stop! Hört auf, zu kämpfen! Wir haben Antaro verloren! Wir haben drei weitere Kämpfer verloren! Und wofür? Für nichts! Es sind gerade vier Menschen völlig umsonst gestorben! Hört auf! Diese beiden Männer, die wir angegriffen haben, was haben sie uns getan? Lasst sie ziehen, oder nehmt sie gefangen! Hört auf, euch gegenseitig abzuschlachten!" Sie zog sich den Helm vom Kopf. Ein blasses Gesicht. Die Augen rot, sie hatte um den Anführer, um Antaro, geweint. Blond. Jung. „Wie alt, schätzt du?", raunte Aragorn Legolas zu. „Höchstens 16", antwortete der Elb.

I never meant to cheat on you (Deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt