Sam - Dunkelheit

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Ein nervtötendes Piepen drang in mein Bewusstsein. Immer noch im Dämmerzustand versuchte ich den verfluchten Wecker zu finden. Konnte dieser kein Erbarmen zeigen? In meinem Kopf pochte es und mit jedem Piep wurde es schlimmer. Wo zur Hölle war nur mein Nachtkästchen, mit dem beschissenen Wecker? Immer weiter tastete ich meine Umgebung ab, fand ihn aber nicht.

Genervt stieß ich die Luft aus meiner Lunge und bereute es im selben Augenblick. Ein Stich fuhr mir quer durch die Brust, so dass ich nur noch keuchen konnte.

Was zur Hölle war los mit mir?

Erneut versuchte ich einzuatmen, diesmal behutsamer, den fiesen Schmerz noch lange nicht vergessen. Es stach trotzdem, nicht ganz so, als würde man eine Klinge in die Brust gerammt bekommen, dennoch schmerzhaft.

Ich hielt inne, konzentrierte mich und öffnete langsam ein Augenlid. Linste vorsichtig in die Umgebung und riss überrascht meine Augen auf, als mir klar wurde, wo ich mich befand.

Ein Krankenhaus? Wie zum Henker kam ich in ein Krankenhaus? Vorsichtig sah ich mich um, das Stechen in der Brust, das Dröhnen im Kopf machen es mir nicht gerade leicht. Dennoch stützte ich mich auf meine Ellbogen und hob meinen Oberkörper an. Augenblicklich wurde mir schlecht und alles verschwamm vor meinen Augen. Die Welt sagte goodbye und bevor ich mich versah, war ich wieder in den tiefen Abgründen meiner selbst.

***
„... so leid...", drang eine vertraute Stimme an mein Ohr. Schwammig, wie aus weiter Ferne. Ich kannte sie, woher nur kannte ich sie? Sie kam mir so vertraut, so wichtig vor. Mühselig versuchte ich, auf die Stimme zuzugehen. Den Menschen zu suchen, dem sie gehörte. Aber da war nichts, alles lang in Schwärze getaucht. Als hätte jemand ein Tintenfass umgestoßen.

„...nie wieder...", waberten die Worte durch die Dunkelheit, ich hatte das Gefühl, nach ihnen greifen zu können, und doch blieb ich hier alleine, in meiner Einsamkeit.

„Sam...", hallte mein Name in meinem Bewusstsein, in jedem Buchstaben konnte ich das Flehen, die Verzweiflung spüren. Eine Sehnsucht in mir erwachte, ich wollte raus hier, raus aus diesem schwarzen Loch. Hin zu dieser dunklen, rauen Stimme. Die mir so vertraut war, so wichtig...

Da, war da nicht eine Berührung? Tief hörte ich in mich hinein. Ich hatte doch was gespürt, ich konnte mich nicht irren. Und tatsächlich, wieder, diesmal ein Streicheln ... Wärme ...

Piep... Piep... Piep...

War das mein Wecker? Ich wollte nicht aufwachen, wollte hierbleiben, bei dieser Stimme, bei dieser Wärme ... sie tat so gut ...

Piep... Piep... Piep...

Es war ausweglos, ich verlor. Die Realität wollte mich wieder, es gab kein Zurück, jeglicher Widerstand war zwecklos.

„Sam?", wieder war da mein Name, diesmal viel näher, auch die Wärme an meinem Arm nahm zu. War vielleicht alles gar kein Traum?

„Oh Gott ... Sam ...", ertönte seine samtene Stimme, als ich vorsichtig meine Augen aufschlug. Mir blieb der Atem weg. Über mir schwebten eisblaue Augen. Augen, nach denen ich mich sehnte, die ich immer und zu jeder Zeit vermisste.

„Ice ...", krächzte ich mit trockenen Stimmbändern, meinen Unglauben zum Ausdruck bringend. Was machte Ice hier? Hier in meinem Zimmer? Hier bei mir? Ich versuchte mich aufzurappeln, hob den Kopf und senkte ihn augenblicklich, nach dem ein Schmerz durch meinen Oberkörper fuhr. War ich vor einen Laster gelaufen? Das würde zumindest die Schmerzen in meiner Brust erklären.

„Ssscchhhh ... Sachte Kleiner!", sanft drückte er mich zurück ins Kissen. „Sonst tust du dir noch weh!" „Ach ne ...", schoss es mir sarkastisch durch den Kopf. Was war hier los? Hatte ich mir den Kopf gestoßen und lebte jetzt in einer meiner Phantasien? Ice und ich? Zusammen bei mir?

Piep... Piep... Piep...

Wenn nur dieses nervende Piepen und diese Schmerzen nicht wären, dann, ja dann könnte es gar nicht besser gehen. Vor allem jetzt, wo diese wunderschönen, blauen Augen immer näher kamen. Paralysiert, von diesem Anblick, konnte ich ihnen nur entgegen starren.

„Es tut mir so leid! Verzeih mir, bitte ... bitte ... verzeih mir ...", wisperte seine Stimme und seine Lippen senkten sich auf die Meinen. Eiskalt und bebend. Müde senkten sich meine Lieder. Ich durfte nicht einschlafen, es war viel zu schön. Hier bei ihm. Der Schmerz vergessen. Seine kalten Lippen, die immer wieder bebend meine berührten, seine Finger die mir zitternd eine Strähne aus dem Gesicht strichen, aber am schönsten seine Stimme, die um Verzeihung flehte. Die durch mich hindurch drang, alles in mir vibrieren ließ. Was gab es da zu verzeihen? Ich würde ihm alles vergeben, egal was es war. Solange er einfach nur bei mir blieb. Mich weiter berühren, küssen, lieben würde ...

Doch das schienen mir die Götter nicht zu gönnen. Zogen all ihre Fäden, lockten mich zurück in die Dunkelheit. Seine Stimme wurde leiser ... so als würde ich im Blau des Ozeans umhertreiben, immer weiter weg von ihm. Immer tiefer. Seine Berührungen fahrig, verblasend ...

„Ice ...", hauchte ich mit letzter Kraft, wusste nicht, ob dieses Wort, überhaupt meine Lippen verließ, bevor die alles verschlingende Dunkelheit mich mit ihrem Samt umschloss und vergessen ließ.

Illusion of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt