Sam - zu viel von allem

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Kleine Tropfen, gleich Tränen liefen die Scheibe hinab. Bahnten sich ihren Weg, bündelten sich, nur um immer schneller zu werden, bis sie sich endlich im freien Fall befanden und im Waschbecken zerschellten.

Das Läuten der Tür lenkte meinen Blick ab von dem Schauspiel auf meinem beschlagenen Badezimmerspiegel. Seufzend sah ich auf die Uhr, die zu meiner rechten an der Wand hing.
„Du bist zu früh!", entkam es mir frustriert. Schnell wischte ich mit dem Handballen über den Spiegel und sah hinein. Der Schmerz, die blauen Flecke waren verflogen. Nur dieses Gefühl in mir, dieser Frust, diese Sehnsucht waren geblieben und sorgten dafür, dass sich alles in mir drin taub anfühlte. Wie lange war es her, als ich nach einer Nacht endlich aus dem Krankenhaus entlassen worden war? Zwei, drei Wochen? Ich konnte es nicht gewiss sagen. Alles verschwamm zu einem Einheitsbrei. Eine unendlich lange Zeit, ohne ihn. Wieso war er dann bei mir Krankenhaus? Hatte um Verzeihung gebeten? Mich geküsst? Wieso? Nur, um wieder zu verschwinden?

Erneut läutete es an meiner Tür. Müde schloss ich die Augen. Irgendwie war ich nur noch müde, verkroch mich am liebsten im Bett und labte mich im Vergessen. Das alles veranlasste Manu dazu, meinen Retter in Not zuspielen. Mal wieder! Mir fiele die Decke auf dem Kopf und ich bräuchte ganz dringend einen Tappentenwechsel, warf er mir also heute Morgen in der Arbeit theatralisch an den Kopf und beschloss, dass dieser Zustand endlich, man könnte glatt meinen das es sich hierbei um Jahre handelte, ein Ende haben musste. Also entschloss sich mein Chef, der sich auch noch guter Freund schimpfte, ich müsse unbedingt ausgehen. Party machen. Einen saufen. Oder zwei oder drei. Was ich davon hielt, interessierte ihn nicht die Bohne. Wenn es sein müsste, würde er mich an den Haaren in den Club schleppen, waren seine letzten Worte, bevor er wütend die Tür zuknallte und mich schmollend in meinem Büro zurückließ.

Wieder wurde auf die Klingel gedrückt. Dieses Mal schien sich Manuel anzulehnen, denn dieses penetrante Geräusch hörte und hörte nicht auf.

„Scheiße auch ...", fluchte ich meinem Spiegelbild zu und machte mich auf den Weg zum Peiniger meiner Geduld. Derweil läutete und läutete und läutete es. Irgendwann würde ich ihn umbringen, schwor ich mir im Gehen. Irgendwo im Wald verscharren. So wäre es für alle das Beste.

„MANUEL!!!", schrie ich wütend gegen den Lärm der Klingel an, während ich die Tür aufriss. „WAS SOLL DER SCH ..." Meine Worte blieben mir im Halse stecken, als ich realisierte, das nicht Manu, sondern ein Riese vor meiner Tür ausharrte. Augenblicklich verstummte der Lärm.
„Hi ...", durchbrach Rene die entstandene Stille und schon landete seine große Pranke zur Begrüßung auf meiner Schulter, was mich kurzerhand nach hinten Taumeln ließ.

Scheiße, scheiße, scheiße ... ich öffnete meinen Mund, um seinen Gruß zu erwidern, blieb aber still. Eisblaue Augen, warme Lippen ... alle das, was ich vergessen wollte, prasselte ungebremst auf mich ein. Brachte mein Herz zum Stolpern.

„Na endlich!", ertönte die Stimme des Verräters und Manu blitze hinter dem Riesen hervor. Als hätte er Angst, dass sein hübsches Gesicht ganz zufälligerweise mit meiner Faust kollidieren könnte. Wieso, wieso nur um alles in der Welt brachte er Rene mit? Hatte er nicht Ablenkung versprochen? Und da brachte er mir den Bodyguard, von meinem ganz persönlichen Teufel, mit? Langsam sollte er sich echt mal Gedanken um seine Einfälle und Entscheidungen machen.

„Sam?", riss mich Manu strahlend aus meinen Gedanken und schnippte mir vor dem Gesicht herum. Das hatte er eindeutig von mir abgeschaut.
„Hhhi...", entkam es mir keuchend, als ich mich meiner Erziehung erinnerte, und atmete tief ein. Wann hatte ich die Luft angehalten?

„Bist du soweit? Rene ist mit dem Wagen da und nimmt uns mit! Das wird ein Spaß!", verkündete Manu voller Freude und klatschte in die Hände. Nahm er seit neustem Drogen? Irgendwie teilte ich gerade nicht so ganz seine Meinung. Rene schien mein Unbehagen zu spüren, denn er strich sich räuspernd durch die Haare und entschuldigte sich mit der Ausrede, schon mal das Auto startklar zu machen, um uns etwas Zeit zu gönnen.

Illusion of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt