Sam - Déjà-vu

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„Hey Kleiner!" Vor Schreck rutschte mir mein Whiskyglas aus der Hand und landete krachend auf dem Tresen. Ich hatte nur dem dicken Glas zu verdanken, das es dabei nicht in tausend Stücke zersprungen war. Ohne darauf zu achten, drehte ich mich überrascht der rauen Stimme zu. Mit ihr hatte ich ganz und gar nicht gerechnet.

„So ganz allein hier?", wollte er wissen und war mir dabei so nahe, dass ich seinen warmen Atem an meinem Ohr spüren konnte. Ein Schauder durchlief meinen Körper und ich schloss kurz die Augen. Ja, war ich den im falschen Film? Oder träumte ich vielleicht mal wieder? Passierte wieder sehr oft in letzter Zeit.

„Die Sprache verschlagen, Kleiner?", mit einem süffisanten Lächeln nahm er einfach so auf dem Barhocker neben mir Platz. Ich schluckte, wusste nicht, wie mir geschah. Das Ganze war so surreal. Traum, oder doch Realität?

„Hab dich noch nie hier gesehen Kleiner ... Neu hier?", säuselte er, beugte sich so nahe an mein Ohr, das seine Lippen mein Ohrläppchen streiften. Ich keuchte, wollte von ihm abrücken. Abstand zwischen uns bringen. War aber nach wie vor hypnotisiert von dem eisblau seiner Augen.

„Soooo schweigsam...", wieder war da diese tiefe, raue Stimme an meinem Ohr, die ich so vermisst hatte. Die mir durch und durch ging. Das hier konnte nur ein Traum sein. Oder ich hatte zu tief in Glas gesehen. Aber eigentlich war diese hier erst mein Zweiter. Und eigentlich wartete ich auf Manu, oder etwa nicht?

„Sprich mit mir, Kleiner! Ich liebe es, deine Stimme zu hören!", hauchte er, griff mir ans Kinn und unser Blick traf sich erneut. Mein Herz setzte aus. Ich öffnete den Mund, ohne recht zu wissen, was ich darauf erwidern sollte. Paralysiert, ihm erneut verfallen.

„Was zum ...", setzte ich an, Manu hatte mich reingelegt, ganz eindeutig, kam aber nicht weiter. Kurzerhand zog er mich zu sich heran und presste seine Lippen auf die meinen. Mein Herz blieb mir stehen. Überrascht krallte ich mich in sein T-Shirt, um den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren und das, obwohl ich saß. Dieser Kerle brachte mich noch ins Grab. Und irgendwie hatte ich gerade gar nichts dagegen. Mein Hirn nur noch Matsch, mein Herz am Überquellen. Für diesen Augenblick wäre in der Tat ich gestorben...

„Ich...", stammelte ich atemlos, als sich unsere Lippen trennten. „Ich weiß ...", erneut ließ er mich nicht ausreden, sondern küsste mich wieder. Leidenschaftlicher und ich schmolz dahin, war Wachs in seinen Fingern, die gerade unaufhörlich meinen Haaransatz kraulten und mich in unseren Kuss stöhnen ließen. „...was du vorhast!", beendete ich den Satz, nachdem er spitzbübisch grinsend von mir abließ.

„Und klappt es?", wollte Gabriel mit einem schiefen Grinsen wissen, was seine Augen noch mehr zum Strahlen brachte. Diese gottverdammten Augen! Mein Untergang...

„Ich weiß nicht...", fing ich an, kam aber wieder nicht dazu, meinen Satz zu vollenden. Lachend verschloss er ihn einfach wieder. „So... recht...", versuchte ich einzelne Worte an seine fordernden Lippen zu nuscheln. Statt mir zuzuhören, nutze seine Zunge die Gelegenheit und schlüpfte in meinen Mund. Ich krallte mich fester in sein Shirt. Musste mich festhalten.

Scheiße! Es war gelogen. Und wie es klappte. Ich war ihm erneut verfallen. Zappelte in seinem Spinnennetz und wollte hier nie wieder weg! Was die Schmetterlinge in meinem Bauch nur noch so wild um sich schlagen ließ.

„Das ist nicht nett...!", beschwerte ich mich, sobald ich wieder mehr Luft zum Atmen hatte. „Wenn du „nett" suchst ...", seine Augen blitzten mich, in der immer wieder von Lichtblitzen durchbrechenden Dunkelheit, an. „Dann solltest du dir deinen nächsten Freund bei den Pfarrfindern suchen und nicht in einem Darkroom...!", spottete er, während seine Finger immer noch meinen Nacken kraulten. Tausende elektrische Impulse jagten durch mein Nervensystem. Elektrisierten mich.

„Wer sagt, das ich auf der Suche bin?", jetzt war es an mir spitzbübisch zu grinsen. „Du kommst hier her, knutscht mich nieder und lässt mich nicht zu Wort kommen...", wieder fiel er mir ins Wort. „Kleiner...", seine Finger fuhren von meinem Nacken vor zu meinem Kinn, bevor sie mich fest packten. „Ich bin ein Rockstar, ich darf das!", versicherte er arrogant, nur um mich erneut zu küssen. Rau, hart, ausgehungert. Und ich erwiderte ihn. Wollte ihn. Schmolz dahin.

„Komm!", forderte er mich auf, kaum hatten sich unsere Lippen getrennt und rutschte vom Hocker. Griff mich am Handgelenk und zog mich zielstrebig Richtung Ausgang. Das alles so schnell aufeinanderfolgend, dass ich nicht einmal Zeit hatte zu Atem zu kommen, geschweige denn einen klaren Gedanken zu fassen.
„Was machst du nur mit mir?", seufzte ich und sog die frische Luft ein, die uns draußen vor dem Heaven erwartete. Gabriel blieb weder stehen, noch beantwortete er meine Frage. Er zog einfach weiter an meinem Handgelenk und führte mich weg von dem Trubel vor dem Club.
„Wohin...?" „Ist das denn wichtig?", fiel er mir ins Wort. Als wir alleine auf der Straße waren, wurde er langsamer und wir gingen nun schweigend nebeneinander her. Mir lag so viel auf dem Herzen, was ich hätte sagen wollen, oder sollen, doch ich blieb still. Genoss seine Nähe neben mir. Seine Finger, seine Wärme an meiner Hand. Seinen Geruch. Einfach alles.

Nach einer Weile des Schweigens, was überraschenderweise gar nicht schwer zwischen uns lastete, spürte ich, dass sich der Druck an meinem Handgelenk änderte und seine Finger streichelnd tiefer fuhren und sich mit meinen verhakten.

„Du hast vergessen, mich im Darkroom zu vögeln ...", durchbrach ich die Stille und spielte auf unsere damalige Begegnung an, die er hier gerade fast exakt nach inszeniert hatte. „Das war nicht das, was mir wichtig war..." seine Stimme klang rauer wie sonst. Bescherte mir Gänsehaut. „Und das wäre?", frage ich vorsichtig. Seine Finger drückten die meinen, bevor er innehielt, sich mir zuwandte und mir mit seinem schönen Blau in die Augen sah. Meine Knie wurden weich. Zwei Jahre, und ich war immer noch verliebt. Immer noch, wie am ersten Tag.

„Zeit ... Zeit mit dir!" Ein schüchternes Lächeln umspielte kurz seine Mundwinkel, dann zog er mich auch schon weiter. Wieder schweigend liefen wir weiter durch die Nacht.

„Sehen wir uns wieder...", wisperte ich den Satz, der mich seit zwei Jahren, wie ein Schatten, tagein und tagaus verfolgte. Mich nächtelang nicht schlafen ließ und immer noch verrückt machte. Um das Déjà-vu perfekt zu machen. Denn nichts anderes war dieser Abend für mich. Der mir erneut zeigte, dass mich dieser Mann innerhalb weniger Augenblicke in seinen Bann zog und mit Sicherheit nicht so schnell wieder losließ. Außerdem begann es zu dämmern und das war das schreckliche Ende, von vor zwei Jahren. Eine Wiederholung dessen würde ich nicht verkraften. „Oder...", stockend brach ich ab, wollte mir ein „oder" nicht einmal ausmalen.

„Was heißt hier wieder?", wollte er grinsend wissen. Blieb stehen, zog mich zu einem Kuss zu sich heran und nahm mir meine Angst. „Ich hatte nicht vor, dich heute noch alleine zu lassen ... nicht jetzt und nie wieder, wenn du mich lässt..."
„Okay...", flüsterte ich in die Dämmerung hinein. Gefangen von seinem Anblick. Von diesem Augenblick. „Okay...", wiederholte er, beugte sich vor und küsste mich erneut.

Hand in Hand gingen wir in den nahenden Morgen und in unsere gemeinsame Zukunft.

*Ende*

Illusion of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt