Der Vollmond erschien hell leuchtend vor meinem Fenster und ließ die Schatten in meinem Zimmer tanzen. Doch um diese Schönheit in ihrer ganzen Pracht zu würdigen, fehlte mir eindeutig der Nerv. Ich war müde, wie so oft in den letzten Wochen. Saß hier alleine auf meiner Fensterbank und starrte in die Leere, während meine Finger, wie von selbst, die Akkorde auf meiner Akustikgitarre fanden. Ich spielte oft und schlief umso weniger, nur um diesen Träumen zu entfliehen.
Wie Scrooge und seine Geister, kamen mir da in den Sinn, während die Melodie sich verselbständigte und immer melancholischer wurde. Wie hatte der Geist gesagt? „Ich trage die Kette, die ich im Leben geschmiedet habe" Und auch ich schmiedete meine Kette Glied für Glied, so dass sie sich jetzt schwer um mein Herz wand und mich zu ersticken drohte.
Tief sog ich die kalte Luft ein, die durch das offene Fenster strömte und ignorierte die Kälte in meinen Gliedern. Es war eindeutig zu kalt für Späße, wie nachts stundenlang auf der Fensterbank, im offenen Fenster zu sitzen und doch half mir diese Kälte, der damit einhergehende Schmerz, mich selbst zu ertragen.
Mühsam wagte ich den Versuch meine Gedanken fort von Scrooge und seinen Geistern, fort von meinen Geistern zu führen. Ein Versuch ... ich lachte bitter auf. Mehr als das würde es wohl nie werden. Und so ließ ich zu, erlaubte ihnen zu machen, was sie wollten. Etwas, nur ein klein wenig zu träumen. Von rehbraunen Augen, von einer Zukunft, die ich nicht haben würde. Schlagartig wurde auch die Melodie, die zu mein Ohr, ja bis hin in mein Herz drang, sanfter. Fast schon lieblich, bis ein Schrillen mich plötzlich erschrocken zusammenzucken ließ.
Überrascht öffnete ich die Augen und versuche mich etwas zuordnen. Das schrille Geräusch schien nochmal an Intensität zuzunehmen, nach dem ich es als Türglocke lokalisiert hatte. Irgendjemand, dessen letzte Stunde gerade geschlagen hatte, schien nichts Besseres vorzuhaben, als sich an meine Klingel zu lehnen. Angepisst, weil mich dieses nervtötende Geräusch bereits in den Wahnsinn trieb, schwang ich meine Füße von der Fensterbank. Stelle die Gitarre beiseite und begab mich zu der in den Boden eingelassenen Wendeltreppe, hinab in meine eigentliche Wohnung, um dem Übel auf den Grund zu gehen.
Mit jedem Schritt wurde dieses penetrante Läuten lauter und mein Geduldsfaden kürzer. Bis ich letztendlich vor meiner Tür stand und sie wütend aufriss.
„DU ARSCH!!!", wurde ich da auch schon wirklich herzallerliebst begrüßt und gleich darauf, um scheinbar diesen netten Worten Nachdruck zu verleihen, hart an die Brust gestoßen. Die Überraschung über diesen Übergriff und über die Person, die mal wieder einfach so in mein Leben platze, ließ mich nach hinten taumeln, bis ich an die Wand stieß.
„DU ... DU ... DU ...!", schrie mich Sam weiter an und überbrückte die wenigen Schritte bis zu mir. Von der Nähe total überrumpelt, hob ich reflexartig, in Abwehrhaltung, die Hände vor die Brust. Ich konnte aber gar nicht so schnell schauen, da hatte er meine Handgelenke gefasst und mich an die Wand gepinnt. Sein wutverzerrtes Gesicht schwebte nur Zentimeter von meinem. Seine Augen aufgerissen, die Wange gerötet und seine Lippen zu einem dünnen Strich verzogen. Es dauerte ein, zwei Wimpernschläge, bis die kalten Finger, die sich fest um meine Handgelenke schraubten, in mein Bewusstsein drangen.
„Du tust mir weh ...", presste ich die angestaute Luft aus meiner Lunge. Mehr von der Situation überfordert, als das er mir wirklich Schmerzen bereitete. „Wirklich?", wollte Sam sarkastisch wissen und kam mir noch ein Stück näher. „Du tust mir auch weh ...", hauchte er, so dass sich unsere Lippen fast berührten, so nah war er mir gekommen. Mein Herz stockte, drohte endgültig stehen zu bleiben. „Immer ...", setzte er hinzu und presste seine kalten, bebenden Lippen hart auf meine. Die Welt schien still zu stehen und ich zu sterben. Nur für einen Moment, eine endlose Ewigkeit und doch viel zu kurz. Da löste sich Sam genau so abrupt von mir, wie er gekommen war, drehte sich um und wollte wieder in der Nacht verschwinden.
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Illusion of Ice
Random„Scheiße!", fluchte ich blinzelnd und starrte fassungslos die eisblauen Augen vor mir an. Wie zum Henker konnte das sein? Zwei gottverdammte Jahre, in denen ich zuerst gesucht, dann verflucht und zuletzt versucht hatte zu vergessen. Und jetzt das, o...