Ice- It's (my) fucking life

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Überall flackerten Lichter. Bunt, grell, aufdringlich. Brannten sich in die Pupillen, ließen das Auge nicht zur Ruhe kommen. Strengten furchtbar an und ließen alles im Zwielicht erscheinen. Hier war nichts, wie es war. Das Licht verflog, erhellte Gesichter, nur um sie kurz darauf in den Schatten zu verbannen, und schon waren sie vergessen. Nichts war von Bedeutung, selbst das Licht empfand es so und verweilte nie länger als nötig. Huschte von einem Eck ins andere. Erhellt da etwas, dort jemanden, nur um einen Moment später zu verschwinden. In Dunkelheit zu hüllen. Wie Schein und Rauch ...

Ich sog an meiner Zigarette, schmeckte den Rauch, der meinen Mund, meine Lunge füllte, wusste, dass es mich eines Tages umbringen würde, und musste grinsen. Eines Tages … Ab und an, in Nächten wie diesen, sehnte ich diesen Tag herbei. Diesen Tag, der all das erträglich machen würde. Der mich mit sich riss, mich fliegen ließ. Ein letztes Mal. Hielt kurz inne, ließ den Rauch in meiner Lunge verweilen, bevor ich ihn wieder in die Freiheit stieß.
Wieder kam es langsam auf mich zu, dieses flüchtige Licht, nur um mich zu blenden, zu verhöhnen. Langsam senkte ich meine Lider, schloss die Augen und trotze ihm. Ich hatte gewonnen, für einen klitzekleinen Augenblick, lag das Glück auf meiner Seite. Konnte mir nichts anhaben, mich nicht blenden, nicht mit mir Katz und Maus spielen und ich war gehüllt in den Schutz der Dunkelheit.

Das Licht war fort, wie ich schon sagte, nur ein kurzer, erbärmlicher Sieg, denn dafür rückten die anderen Eindrücke immer näher. Brachen über mir zusammen. Die Wände vor meinem geistigen Auge, kamen von allen Seiten, erdrückten mich nahezu. Die Masse an Menschen. Ihr Stimmengewirr und ihr Gestank. Wieso war ich überhaupt noch hier? Wieso lief ich nicht einfach davon? Einfach weit weg! Aber ich wusste wieso. Ich konnte nicht. Ich durfte nicht. Ich lachte. Bitter. Dachte ich zumindest, aber kein Laut verließ meine Kehle. Das Glas in meiner Hand hingegen wurde immer schwerer, passte sich der Temperatur meiner Finger an und verschmolz mit meinem Körper. Wir wurden eins. Auch das Dröhnen der Musik wurde immer lauter. Kroch in mich hinein. Vibrierte. Wo hatte dieser Club, bitte schön, nur diesen grauenhaften, untalentierten DJ her? Das Gejaule zwischen den einzelnen, meist sowieso schlecht ausgesuchten Songs, war kaum zu ertragen. Und das nannte sich dann ein erstklassiger Club? Das ich nicht lachte!

Um mich von dieser beschissenen Musik abzulenken, erhob ich schwerfällig mein Glas und führte es an meine Lippen. Kühl und glatt fühlte es sich an. Leicht kippte ich es und fühlte das Nass auf meinen Lippen, auf meiner Zunge und wie es schließlich langsam meine Kehle hinab rann und ein Brennen nach sich zog. Whiskey! Ich liebte Whiskey! Ab und an war er mein engster Freund, mein einziger und treuster Vertrauter. Müde legte ich meinen Kopf in den Nacken, konzentrierte mich jetzt auf das Dröhnen, das Vibrieren, das in leichten Schwingungen über den Boden in meinen Körper drang, mein Herz schneller schlagen ließ und mir die Nackenhaare aufstellte. Es ödete mich an. Selbst die größte Konzentration sorgte nicht dafür, dass ich entschwand, zumindest nicht so, dass ich diesen ganzen Scheiß, wenigstens für einen kleinen Augenblick vergaß.

Das Gewicht einer Person schmiegte sich schwer an meine Seite. Sofort drang mir ein aufdringliches Parfüm in die Nase. Zu blumig, zu süß, zu viel. Ich brauchte die Augen nicht zu öffnen, es war zu offensichtlich. Konnte nur eine dieser hirnlosen Groupieschlampen sein, die für den heutigen Abend in meinen persönlichen Backstagebereich durfte, um mir, wie mein Manager versicherte, mein wohlverdientes Rockstardasein zu versüßen.
Da war sie auch schon, ihre Zunge, die sich heiß und feucht an meinem Hals hinauf schlängelte, an meinem Ohrläppchen leckte, hineinbiss und daran saugte. Mich schaudern ließ. Genauso ihre Hand, die sich gleichzeitig Richtung Süden befand, nur um in meiner Hose zu verschwinden. Beides sorgte für eine Gänsehaut, aber auf eine ganz und gar nicht angenehme Weise. Es widerte mich an. Ich verstand es nicht, was wollte sie von mir? Was würde ihr diese Nacht nutzen? Ansehen? Befriedigung? Merkte sie nicht, dass ich kein Interesse an ihr hatte? Oder war das egal? Hauptsache sie konnte der Welt morgen erzählen, wenn sie befingern durfte. Was für sinnlose, erbärmliche Träume! Reine Zeitverschwendung! Immerhin gab es kein Wiedersehen. Zumindest für mich waren auch doppelte Treffen kein Wiedersehen. Die Puppen hatten kein Gesicht, sie hinterließen nichts als ihren widerwärtigen Parfümgestank, der nach so einem Abend an mir haftete, und dieser verflog Gott sei Dank, sobald ich mich unter die heiße Dusche stellte. Oh wie ich mich danach sehnte ...

Ihre Wärme, ihren Geruch und ihre Berührung auszublenden war noch schwieriger als die Musik, das Licht und den ganzen Club. Gut, dass mein Körper noch Reste an Adrenalin aufwies, das durch meinen Kreislauf rauschte und mein Schwanz keine Probleme damit hatte, von den geschickten Finger eines dummen Püppchen bespaßt zu werden. Nur mein Geist machte ab und an Ärger, aber ich strengte mich an, musste das hier noch zu lange ertragen, über mich ergehen lassen. Für die Karriere, für die Musik. Also ließ ich mich fallen, hatte keine Wahl, summte „Where Did You Sleep Last Night“ natürlich Cobains Version und versuchte zu entfliehen. In irgendwelche Gedanken. In die Vergangenheit. Ganz gleich … solange ich nur nicht im Hier und Jetzt festsitzen musste.

Ich wollte nie so bekannt werden, dieser Ruhm war mir egal. Das, was ich wirklich wollte, war Musik zu machen. Gehört zu werden. Auf den großen Bühnen dieser Welt zu stehen. Aber alles forderte seinen Preis, sein Opfer, seinen rechtmäßigen Platz. Und nicht wenige hielten mich für überheblich, mein jetziges Dasein, mit dieser aufgetakelten Barbiepuppe im Arm, die mir all meine Wünsche zu erfüllen versuchte, nicht als Geschenk zusehen.

Aber so war es. Ich wollte es nicht.

Illusion of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt