Ice - nie wieder

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Das kalte Plastik unter meiner Fingerkuppe war das Einzige, was zu mir durchdrang. Ansonsten hatte ich das Gefühl, in eine Seifenblase gehüllt zu sein. Keine Emotionen, keine Regung. Als wäre ich taub und blind zu gleich. Vor meinem inneren Auge sein Gesicht, dass ich nicht verdrängen konnte. Sein wunderschönes Gesicht. Trotz der aufgeplatzten Lippe. Trotz des blutunterlaufenen Auges. Blas, ausdruckslos, und dennoch wunderschön. Er sah so verletzlich aus, in diesem großen, weißen Krankenhausbett. Und ich, ich hatte ihn nicht beschützen können. War stattdessen schuld an seinem Unglück. An seinem Schmerz. Schon wieder. Wieso tat ich ihm immer wieder weh, ob ich wollte oder nicht? Wieso nur?

Und dann hatte er meinen Namen gehaucht. In alle dem Wirrwarr aus Schmerzmittel und Gehirnerschütterung, hatte er mich erkannt. Mich angelächelt. Mich. Eine Gänsehaut überzog meine Arme. Meinen ganzen Körper und ließ mich innerlich beben. Ich war schuld. Und ich war nicht gut für ihn. Aber das hatte ich ja schon immer gewusst.

Nachdem ich, gefühlte Stunden, ziellos, wie ein Zombie, durch die Straßen geirrt hatte. Schien ich trotz allem am Ziel zu sein. Was auch immer das Ziel gewesen war, nach dem ich mit dieser Leere in mir drin, das Krankenhaus verlassen hatte.

Zu dem kalten Plastik gesellte sich ein schriller Ton, der sich nur langsam in mein Bewusstsein drängte. Gekonnt ignorierte ich es. Wo war ich eigentlich? Was wollte ich hier? Fahrige Fragen, die auf eine verschrobene Art und Weise gar nicht wichtig schienen, tauchten in meinem Bewusstsein auf und verschwanden wieder. Irgendwie war immer noch alles unwichtig, besser gesagt unwirklich. Nur er, und der Schmerz, den ich verursacht hatte.

„Darling ...!", ertönte es freudestrahlend, nach dem die Tür aufgerissen wurde. Dieses Gesicht ... dieses widerliche Grinsen, was auf seinen Lippen lag. Mit einem lauten Plopp zerplatze meine Seifenblase und tausende von Emotionen prasselten gleichzeitig auf mich ein. Verwirrt konnte ich einen Augenblick lang nur blinzeln. Was wollte ich hier? Warum zum Teufel ... Bevor ich zu Ende denken konnte, lenkte auch schon seine zuckersüß gesäuselte Stimme meine ganze Aufmerksamkeit auf sich.

„Darling, bitte! Die Klingel! Dieses penetrante Geräusch ist doch grässlich!", dabei kräuselten sich seine Lippen zu einem Schmollmund. Ein perfekt einstudierter Augenaufschlag folgte dem Ganzen und ließ meinen Magen rebellieren. Es fehlte nicht viel und ich hätte ihm tatsächlich auf die Füße gekotzt. Wut schoss durch meine Eingeweide und bevor ich mich versah, lagen auch schon meine Finger um seinen weichen Hals. Ja, doch, eigentlich wusste ich schon warum ich hier war.

Erschrocken keuchte Fire auf, ließ mich realisieren, das wir die wenigen Schritte bis zur Rückwand seiner Garderobe zurückgelegt hatten und ich ihn, im wahrsten Sinne des Wortes, an die Wand genagelt hatte. Irgendwie überraschte mich diese Wendung nicht im Geringsten. Eher fühlte es sich so an, als wäre das hier er einzig richtige Ort, an dem ich sein konnte. Das einzig Richtige, das ich tun konnte.

„Spinnst du ...", kam es röchelnd von meinem Gegenüber, dessen Augen mich vor Schreck weit aufgerissen musterten und holte mich erneut eher unsanft aus meinen Gedanken. Man musste mir verzeihen, ich fühlte mich immer noch wie ferngesteuert. Ferngesteuert und in Watte gepackt. Getrieben von einem einzigen Gedanken. Von einem einzigen Wunsch.

Ich hörte seine Worte, aber sie erreichten mich nicht. Wie von selbst drückten meine Finger einfach weiter zu.
„Ice ...", entkam es Fire fast schon tonlos, viel Luft war ihm nicht mehr geblieben. Panisch griffen seine Hände nach meinen Fingern, versuchten verzweifelt diese zu lockern. Ich sah hinab, sah die aufgesprungenen Fingerknöchel. Schluckte. Das waren sie also, die Finger, die Hände, die ihm wehgetan hatten. Noch mehr Wut. Erneut versuchte er, meine Hände wegzuziehen. Aber ich ließ es nicht zu. Nicht einen Millimeter konnte er sie rühren. Wie schnell er doch merkte, dass ich es ernst meinte, dass dies hier kein alberner Scherz war, und das war genau richtig. Denn genau da wollte ich ihn haben.

„B... Bbb ... Bbbittee ...", presste er diesmal schon viel verzweifelter hervor. Gut so ... wie mir schien, befanden wir uns auf dem richtigen Weg.

„Fass ihn nie wieder an!" Jedes Wort kam einzeln, schneidend und eiskalt über meine Lippen, während ich mich seinem Gesicht Zentimeter für Zentimeter näherte. „Nie wieder! Hast du mich verstanden?"

Weit aufgerissenen Augen. Fassungslosigkeit. Erkennen. Angst ... all seine echten Emotionen spiegelten sich nun in seinen Augen. Dieses Mal war er nicht im Stande zu spielen. Hatte er echt gedacht, ich würde es nicht rauskriegen? Wie viele Kerle, mit flammenden Haar, liefen wohl in dieser Stadt herum?

„Ich habe dich was gefragt...", knurrte ich, und ein wenig fester schlossen sich meinen Finger um seinen Hals, schließlich konnte etwas Nachdruck gewiss nicht schaden. Er sollte es nicht wagen, je wieder auch nur in die Nähe von Sam zu kommen. Nie wieder!

Lukas brachte keinen Ton mehr heraus. Seine Augen füllten sich sogar mit Tränen. Hoffte er auf Mitleid? Jetzt? Und von mir? Ich unterdrückte das Bedürfnis aufzulachen. Aber es war auch nicht mehr nötig, meine Botschaft schien anzukommen, denn plötzlich nickte er, so gut es eben in dieser Position ging.

„Brav ...", lobte ich ihn, wie einen kleinen Jungen und lockerte etwas meinen Griff, ließ ihn aber nicht gänzlich los. Das war meine Situation, ich allein hatte die ganze Kontrolle. Und das sollte er zu jeder Zeit spüren. Er hatte genug gespielt. Genug angestellt. „Wenn du ihm noch einmal wehtust, bist du tot! T-O-T", betonte ich jeden Buchstaben einzeln. „Hast du das auch verstanden." Kurz schien er zu zögern, doch augenblicklich überzeugten ihn meine sich erneut schließenden Finger.

„Ja ...", quetschte er schrill hervor. „Gott, ja ..." Das wollte ich hören und nichts anderes. „Gut.", meine Nasenspitze berührte fast die seine. Ich konnte seinen Atem auf mir spüren und es widerte mich an. Er widerte mich an. Egal, was einmal zwischen uns gewesen sein mochte, jetzt war es endgültig vorbei. Lukas hatte es zu weit getrieben, er hatte es schlicht und ergreifend verschissen.

„Wenn du auch nur in die Nähe von Sam kommst, oder jemand, den du schickst ...", meine Augen bohrten sich in die seinen und ein bösartiges Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Werde ich dich Suchen und glaube mir, ich werde dich finden, egal, in welchem Loch du dich verkrochen hast. Und es wird mir eine Freude sein, das hier zu Ende zu bringen. Und wenn du dich mir näherst, dann zerstör ich deine Karriere. Dann war es das mit Fire und du stehst nie wieder, auf einer der Bühnen auf dieser Welt." Die Angst in seinen Augen befriedigte mich. Nur so war ich mir sicher, dass er verstanden hatte. Dass er nicht dumm genug war, seine Karriere, sein Leben aufs Spiel zu setzten.

Erneutes Nicken, ihm schien seine sonstige und gelassene Plauderlaune abhandengekommen zu sein. Aber auch so hatte ich genug. Ich wollte nur noch weg hier, in der Hoffnung, ihn nie wieder zu sehen. Abrupt ließ ich ihn los, als hätte ich mich an ihm verbrannt. Vor Schreck rutschte er ein Stück die Wand hinunter.

Ich hatte genug, hier war meine Arbeit getan. So dumm, sich mir erneut in den Weg zu stellen, war nicht mal er. Also wandte ich mich um und spazierte, mit einem erfüllenden Gefühl, aus der Wohnungstür. Endlich hatte ich etwas getan, um Sam zu beschützen. Viel zu spät. Ich wusste es ja selbst. Aber dennoch ...

„Du liebst ihn ...", ertönte es rau, fast tonlos und doch total niedergeschlagen hinter mir. „Ich wüsste nicht, was dich das anginge ...", erwiderte ich. Er war es mir nicht einmal mehr Wert, mich nochmal nach ihm umzusehen. Und so ging ich hinaus in die dunkle Nacht.

Illusion of IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt