Kapitel 13

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„Hier wohnst du?"

Ich stand vor einem riesigen Haus, das man eigentlich gar nicht so bezeichnen konnte. Die Villa hatte einen weißen Anstrich und wurde von einem Panoramafenster geschmückt, das fast die ganze Front einnahm. Ein Balkon erstreckte sich quer über die Ecke des zweiten Stocks und wurde von einer Säule gestützt, die im gigantischen Garten mündete, der einmal um das Haus führte. Und als wäre das nicht genug mussten wir mit Jasons Auto erst ein Tor passieren, um überhaupt auf das Grundstück zu gelangen. Schlussendlich landete das Auto in einer Tiefgarage, die voll von Lamborghinis und weiteren viel zu überteuerten Autos war. Ein gepflasterter Weg führte uns zu der Haustür an der Seite der Villa. Ich meine, ich wusste, dass Jasons Familie reich war, das hatte mir schon das Sportauto und die Informationen, die Lia aus ihm herausbekommen hatte, verraten, aber als wir dann in das Viertel der Reichen kamen, in dem jede Villa prunkvoller und protziger war als die andere, erkannte ich erst das ganze Ausmaß des Unterschieds zwischen uns. Im Gegensatz zu ihm lebten meine Familie und ich in einem einfachen Familienhaus. Da sah man mal wieder den Unterschied in der Klassengesellschaft.

„Eifersüchtig?", fragte Jason, der neben mir stand und sichtlich amüsiert über mein beeindrucktes Gesicht war. „Nein, warum sollte sich?", antwortete ich schnaubend, worüber er nur mit den Schultern zuckte. „Kann sich halt nicht jeder ne Villa leisten." Empört schnappte ich nach Luft und war versucht mich gleich wieder umzudrehen und alle guten Vorsetzte, die ich mir im Fall Jason gesetzt hatte, über den Haufen zu werfen. „Arschloch", flüsterte ich leise.

„Was hast du gesagt?"

„Nichts, nichts."

Skeptisch ging er schließlich zur Haustür, aber anstatt wie jeder normale Mensch Schlüssel zu holen, legte er einfach seinen Finger auf einen Sensor und die Tür öffnete sich mit einem leisen Surren. Ich musste unwillkürlich an Lia denken, die mich in dieser Situation noch mehr dazu bestärkt hätte, mich an ihn ranzuschmeißen, und schmunzelte. Sie würde diese Gelegenheit sich einen reichen Jungen zu krallen auf keinen Fall verstreichen lassen.

Ich folgte Jason ins Haus. Nach einem kleinen Flurabschnitt, in dem ich meine Schuhe abstellte, begrüßte mich eine gewaltige Eingangshalle, an deren Wänden rechts und links Treppen nach oben führten, wie man es sonst nur aus Schlössern kannte. Weiter geradeaus konnte man durch eine Fensterfront auf die andere Seite des Gartens schauen, die gefühlte Kilometer weit reichte. Wenn mich nicht alles täuschte, erkannte ich neben einem Pool nahe dem Pavillon, der weiter auf der rechten Seite des Gartens stand, noch einen kleinen Teich, der von Schilf umrundet war.

„Kommst du dann mal?", ertönte Jasons Stimme von der rechten Treppe. Erst jetzt fielen mir die beiden breiten Gänge auf, die sich jeweils vor den Treppen befanden und in weitere Abschnitte der Villa führten, auf. Durch eine Glastür meinte ich im vorbeigehen eine Art Musikzimmer zu sehen, dessen Mitte ein riesiger Flügel schmückte, während die Wände mit den verschiedensten Instrumenten und Alben geschmückt waren. Wer wohl aus Jasons Familie die meiste Zeit darin verbrachte?

Ich ging die Stufen weiter nach oben und betrachtete die an der Wand hängenden Bilder. Die meisten davon waren Gemälde, die wahrscheinlich viel zu teuer waren, aber keines davon kam mir bekannt vor. Ich war sowieso kein großer Kunst Fan und verstand nicht wie Leute mit Bildern, die aussahen, als hätte sie ein 3-jähriges Kind gezeichnet, Millionen verdienen konnten. Weiter oben gingen die Gemälde jedoch in Fotografien über. Die meisten zeigten irgendwelche Landschaften, doch zwischendurch hing immer mal wieder ein Familienfoto. Eines stach mir besonders ins Auge. Es war in einem schlichten, braunen Rahmen und war nicht sehr auffällig, doch irgendwas daran zog mich wie magisch an. Es zeigte eine zwei kleine Jungen, die exakt identisch aussahen. Beide hatten dieselben schwarzen Haare und die gleichen, noch kindlichen, Konturen. Auch ihre Kleidung war einstimmig. Und doch hatten sie ihre Unterschiede, die man nur beim genauen Betrachten des Bildes sah. Umso mehr wunderte ich mich, dass es mir auffiel. Der rechte Junge hatte sanfte meeresblaue Augen, woran ich erkannte, dass es sich um Jason handeln musste. Er hatte den Arm um seinen Zwillingsbruder geschlungen, dessen Augen im Gegensatz zu Jasons in einem klaren, dunklen Braun waren. Goldene Sprenkel spiegelten sich darin. Auch hatte Jasons Bruder ein kleines Muttermal unter seinem Auge. Laut Lia sollte er auch bald auf unsere Schule gehen.

Verschwunden und VergessenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt